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Das hier ist das Gruppenbild von der Abschiedsfeier für Segeltour. (Foto: EMS/Sahaja)
Das hier ist das Gruppenbild von der Abschiedsfeier für Segeltour. (Foto: EMS/Sahaja)
13. Juni 2023

Von Insel-Paradies und Gemeinschaft

Christine

Christine

Südkorea
Kirchliche Jugend- und Gemeindearbeit
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Und auf einmal waren es nur noch 2 (Monate)

Jetzt ist die Hälfte meines Freiwilligendienst vorbei und dass schon ziemlich lange. Und gefühlt ist plötzlich in der letzten Zeit mehr passiert, als in der ersten Hälfte zusammen. So bin ich sechsmal geflogen, Segelboot und Kayak gefahren, habe wichtige Personen der EKD und den Chef der EMS getroffen, gedolmetscht für ein Schweizer Ehepaar, eine Mini-Straßen-Performance veranstaltet und ein bisschen Japanisch und Chinesisch gelernt. Aber hier in diesem Blog möchte ich euch erstmal meine nächste Arbeitsstelle vorstellen und was ich über mich herausfand durch den Umzug, außer dem Fakt, dass ich mich in das Meer verliebt habe.

Ich war in den letzten 2 Monaten in Gangjeong. Das liegt auf Jeju, der größten Insel Südkoreas. Die Insel ist ein bekannter Ort, um seine Flitterwochen zu verbringen. Als ehemalige Vulkaninsel gibt es dort einen großen Berg in der Mitte, den Hallasan, und ganz viel Strand und Palmen und Blumen und Gewächshäuser. Es war wirklich eine schöne Abwechslung zu den Straßen und Hochhäusern in Seoul. Das Wetter war plötzlich auch viel besser und ich habe sofort einen heftigen Sonnenbrand bekommen. Und zum ersten Mal wohnte ich zusammen mit koreanischen Leuten.

Die Organisation, bei der ich mitgearbeitet habe, „The Frontiers“, ist schon seit knapp 13 Jahren in Gangjeong aktiv. Deswegen haben sie ein Grundstück gepachtet und eine eigene Containersiedlung aufgebaut. Dort können bis zu 13 Leute schlafen mit Gemeinschaftsküche und gemeinsamem Badezimmer sowie einem kleinen Hof mit großem Esstisch und einem Container als Office. Ich teilte mir ein Zimmer mit Shikcho. Sie ist Part der Crew, die gerade mit dem Boot ‚Jonah’s Whale‘ von Jeju nach Okinawa (in Japan) und Taiwan und dann wieder zurück nach Jeju segelt. Die ganze Reise soll 100 Tage dauern, gestartet sind sie am 2. Juni. Die Vorbereitung dieser Reise war auch die große Aufgabe, an der ich die letzten Monate mitgearbeitet habe.

Aber vielleicht sollte ich vorher das Warum erklären. ‚The Frontiers‘ sind eine Non-Profit-Organisation, die sich für Friedensarbeit und Krisenhilfe in verschiedenen Ländern der Welt einsetzt. Das Ganze startete mit einer Gebetsgruppe im Jahre 1993 für die verschiedenen internationalen Krisen. Je mehr in den News nach leidenden Menschen gesucht und für sie gebetet wurde, desto mehr wuchs auch das Bedürfnis, wirklich etwas für diese Menschen vor Ort zu tun. Und so wurden die ersten Mitglieder nach Ost-Timor, Afghanistan, Irak und über die Jahre in verschiedene andere Länder geschickt, um kurzzeitig humanitäre Erste Hilfe zu leisten und teilweise auch längerfristige Camps aufzubauen. Jeju ist der erste Ort, an dem die Frontiers Präventionsarbeit betreiben statt auf eine Krise zu reagieren. In Gangjeong wurde nämlich gegen den Willen des Großteil des Dorfes eine Marinebasis gebaut. Durch Bestechung und die Unterstützung der Regierung konnte sie trotz großer Proteste und mehrerer Klagen fertiggestellt werden.

Die Frontiers sind eine der wenigen Gruppen, die auch nach der Fertigstellung noch weiter in Gangjeong blieben und demonstrieren. Sie sind eine der wenigen evangelischen Menschenrechts- und Friedensaktivisten in Korea. Einer der Gründer, Professor Kang, war unter den Pastoren, die ich in Seoul kennengelernt habe, auch relativ bekannt. Er musste zweimal ins Gefängnis wegen Behinderung von Bauarbeiten und Hausfriedensbruch. Da die Marinebasis von der koreanischen Armee ist, wurde ihm auch von vielen koreanischen Christen vorgeworfen, nicht patriotisch zu sein. Die koreanische Kirche hatte eine prominente Rolle in der National- und Demokratiebewegung während der Besetzung durch Japan und der Militärdiktatur nach dem Koreanischen Krieg. Deswegen sind weite Teile der koreanischen Kirche immer noch sehr patriotisch eingestellt. So wurde mir erklärt, dass die Frontiers viele ihrer langjährigen Spender verloren, als sie 2011 offiziell anfingen, sich in Gangjeong zu engagieren. Auf der andren Seite waren die Pfarrer, die im ökumenischen Department mit mir in Seoul gearbeitet haben, sehr unterstützend. Einer der Pfarrer stellte die Verbindung zu den Frontiers her, sodass ich dort einen Teil meines Freiwilligendienstes absolvieren konnte.

Ein wichtiger Teil des täglichen Lebens ist weiterhin der Protest. So gibt es die Mahnwache um 7 Uhr morgens und den Humanchain-Marsch um 12 Uhr, jeden Tag außer Sonntag. Dazu werden in der sogenannten Friedensakademie verschiedene Kurse zur Geschichte von Gangjeong oder Südostasien, zur Friedensarbeit und deren Methoden angeboten, aber auch Yoga und Kayakfahren . Mit den 7 anderen „Studenten“ lebte ich auch zusammen. Und, ehrlich gesagt, war das mehr das Highlight. Die Community. Die in Gangjeong gebliebenen Friedensaktivisten haben ihre eigene kleine Bubble, in der jeder jeden kennt, man sich gegenseitig unterstützt und immer wieder zusammenkommt, miteinander isst, sich austauscht über die verschieden Events, die vorbereitet werden und so weiter.

Und das ist eine der Sachen, die ich in diesem Freiwilligendienst über mich gelernt habe. Ich bin ein Community-Mensch. Bevor ich nach Korea kam, habe ich immer wieder gehört oder selbst davon geredet, dass einer der grundlegenden Unterschiede zwischen deutscher und koreanischer Gesellschaft darin besteht, dass der Fokus nicht auf dem Einzelnen sondern auf der Gruppe liegt und ich genau diesen Unterschied gerne erleben würde. Aber als ich die ersten Monate in Seoul verbrachte, hatte ich nicht wirklich das Gefühl, viel Gemeinschaft oder Gruppenfokus zu spüren. Ich lebte zum ersten Mal komplett allein und durch die Sprachbarriere fühlte ich eher den Abstand zu allen andern. Dazu war Seoul diese riesige Stadt mit so vielen Menschen, in der gefühlt jeder einfach nur sein eigenes Ding drehte. Natürlich habe ich mich nach einiger Zeit daran gewöhnt. Ich habe mich eingelebt, angefangen, den Freiraum, den mir meine Wohnsituation und auch meine Arbeit gaben, bewusst zu nutzen und auch zu genießen. Als die Zeit kam, dass ich zum nächsten Ort umziehen musste, war ich traurig. Ich hatte endlich dass Gefühl so angekommen zu sein, dass ich jetzt auch ein Teil von Gruppen war und werden könnte.

Und dann bin ich zu den Frontiers gekommen. Plötzlich hatte ich jemanden, mit dem ich jeden Tag zusammen gegessen habe, wo ausgemacht wurde, wer sich um welche Hausarbeiten kümmert, wo spontan Geburtstagsfeiern vorbereitet werden, es auffällt, wen jemand nicht bei den täglichen Aktivitäten dabei ist. Und ich habe es augenblicklich geliebt. Auch wenn ich nicht mehr mein eigenes Zimmer hatte, oder zum Zähneputzen manchmal durch den strömenden Regen laufen musste. Ich habe es geliebt, abends für alle Brot zu backen, ich habe es geliebt, mit fünf Leuten hinten auf einer Truckladefläche zu fahren, um beim Bootreparieren zu helfen, ich habe es geliebt, abends spät noch Stimmen zu hören und einfach aus dem Bett zu gehen und sich dazusetzen zu können. Eine der Staffmembers von den Frontiers, Sahaja, meinte, nachdem ich die erste Woche bei ihnen gelebt hatte, dass ich mich nicht wie eine “Europäerin“ verhielte. Ihrer Erfahrung nach kümmerten sich die Freiwilligen vor mir (von einer anderen Organisation als der EMS) vor allem um ihre eigene Arbeit und halfen nur, sobald man sie gefragt habe.

Nun ich bin mir nicht sicher, ob man das wirklich so verallgemeinern kann und ob das die Auswirkungen von individualisierten oder gruppen-fokussierten Gesellschaften sind. Ich weiß für mich aber jetzt zumindest, dass Handlungen, die ich als selbstverständlich und „gute Erziehung“ angesehen hatte, vielleicht ein Charakterzug und auch ein Bedürfnis sind. Und deswegen habe ich mich ganz bewusst für ein Studentenwohnheim entschieden, in dem ich in Deutschland wohnen werde. Ich freue mich schon sehr darauf, mein Alltagsleben mit anderen zu teilen und nicht nur für mich alleine zu sorgen, sondern Teil einer fürsorgenden Gemeinschaft zu sein.

Abschließend möchte ich euch noch kurz etwas von „Jeong“ erzählen. Das ist eins der koreanischen Konzepte. Es ist schwer zu erklären (wie mir von koreanischen Personen gesagt wurde), aber im Großen und Ganzen steht es für die Gemeinschaft und das Miteinander zwischen Menschen. In einer Form ist es die Selbstverständlichkeit von kleinen Nettigkeiten und dem Teilen untereinander. Für mich ist es das Teilen und Anbieten des eigenen Essens oder Snacks an jeden beistehenden unter Freunden, oft gleich mit Füttern verbunden. Vielleicht war ja Jeong dass, was ich in Jeju so sehr lieben gelernt habe. Und der wichtige Unterschied zwischen meiner Zeit in Seoul und in Jeju war, dass ich mich selbst als Teil einer Gruppe angesehen habe. In Seoul habe ich Jeong bestimmt auch erlebt, aber weil ich selbst die Haltung hatte, dass ich eine „Außenseiterin“ (Ausländerin) bin, habe ich es nicht so richtig anerkannt. Denn für Jeong braucht es immer zwei Menschen.

안녕히 계새요! Bleiben Sie wohl behütet.

Christine Zobel (최리나)

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Hier ein Bild von der Mahnwache, begleitet von einer speziellen Audio wird sich 100 Mal für Frieden, Natur und alle Menschen verbeugt (Foto: EMS/Zobel)
Hier ein Bild von der Mahnwache, begleitet von einer speziellen Audio wird sich 100 Mal für Frieden, Natur und alle Menschen verbeugt (Foto: EMS/Zobel)
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Das hier ist mein zuhause gewesen, allerdings nur die Schlafcontainer, gemeinsame Küche und Badzimmer sieht man hier leider nicht (Foto: EMS/Zobel)
Das hier ist mein zuhause gewesen, allerdings nur die Schlafcontainer, gemeinsame Küche und Badzimmer sieht man hier leider nicht (Foto: EMS/Zobel)

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