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Eine Ehefrau? Oder doch mehrere? (Bild: Tavhid.de/Die Polygamie)
Eine Ehefrau? Oder doch mehrere? (Bild: Tavhid.de/Die Polygamie)
21. Januar 2018

Polygamie in der Praxis

Jule

Jule

Kamerun
unterstützt ein Krankenhaus und eine Schule
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Polygamie begegnet einem in Deutschland kaum und deshalb ist es eine für mich sehr fremde Familienart. In Kamerun sieht das allerdings anders aus. Polygame Ehen sind staatlich anerkannt, so kann der Mann beispielsweise auf dem Eheschein monogam oder polygam ankreuzen. Obwohl die meisten Kameruner*innen sehr religiös sind, sind polygame Ehen keine Seltenheit. In der ersten Zeit bin ich nicht in Kontakt mit Polygamie gekommen, aber mittlerweile habe ich einige Begegnungen gehabt und Erfahrungen gemacht, von denen ich nun gerne berichten möchte. Bitte vergesst das während des Lesens nicht - es sind meine Erfahrungen, die vermutlich nur einen Bruchteil wiederspiegeln und keinesfalls auf alle Ehen in allen Gegenden oder Ländern übertragen werden können.

Meine erste Begegnung war ein Gespräch mit meiner Gastmutter, Rose. Ihr Vater hatte insgesamt drei Frauen (wenn auch nicht zur gleichen Zeit), weshalb sie sehr gut aus Erfahrung sprechen kann. Ihre Mutter war die erste Frau ihres Vaters, dann gab es noch eine weitere Frau, die für sie aber nicht wirklich eine Mutter war, sondern nur jemand, der im gleichen Haus wohnt. Die Kinder der zweiten Frau hat Rose allerdings schon als ihre Geschwister beschrieben. Zwei Frauen waren von Vorteil, so musste nicht eine alleine den ganzen Haushalt erledigen, stattdessen wurde sich die Arbeit aufgeteilt. So wie Rose es beschrieben hat, gab es klare Regelungen, was die Zeit mit dem Ehemann angeht. Ihr Vater hatte sein eigenes Schlafzimmer und beide Frauen jeweils auch eins (das mit den Kindern geteilt wurde). Es wurde sich dann immer abgewechselt: für eine bestimmte Zeit teilte die erste Frau das Bett mit dem Mann und kümmerte sich um dessen Bedürfnisse jeglicher Art, bis sie von der zweiten Frau abgelöst wurde. So war es bei ihr zuhause, da sie in einem größeren Ort gelebt haben, in den Dörfern ist die Situation nochmal etwas extremer. Der Mann wohnt in dem größten und schönsten Haus und jede Frau lebt mit ihren Kindern in einem eigenen weiteren Haus. Beispielsweise jede Woche wird gewechselt, welche Frau mit dem Mann lebt und für ihn kocht, putzt etc. Mein Eindruck ist, dass es im Endeffekt doch meistens "nur eine Frau auf einmal" ist, aber eben immer unterschiedliche. Rose hat die Situation in ihrem Zuhause als sehr harmonisch beschrieben, es gab trotz für mich denkbar vielen Streitpunkten wenig Konflikte zwischen den beiden Frauen. Für mich ist der Gedanke, die zweite Frau zu sein, völlig absurd und unvorstellbar, hier ist es aber normal und wurde deshalb von niemanden in Frage gestellt, weswegen es nicht mehr Konflikte als in anderen Ehen gab.
Probleme gab es allerdings als sich Roses Vater nach dem Tod ihrer Mutter eine sehr junge neue Frau suchte. Sie hat vom Alter her besser zu den Kindern gepasst, was zu Schwierigkeiten mit ihrer Autorität geführt hat. Einerseits war sie die Ehefrau und somit Mutter, aber andererseits wollte sie anscheinend lieber mit den älteren Kindern ausgehen und Spaß haben. Das konnte die ältere Ehefrau natürlich nicht tolerieren. Insgesamt war die Situation nun nicht einfach, aber dem Mann wird nicht widersprochen. Dieser hat Anrecht auf so viele Frauen jeden Alters wie er möchte. Männer sind das überlegene Geschlecht, dem sich die Frauen unterordnen zu haben. Diese Mentalität ändert sich (zum Glück!) allerdings momentan sehr stark bzw. hat sich schon geändert. So weit ich das bis jetzt aufgrund meiner Erfahrungen und meines sozialen Umfelds beurteilen kann, macht sich vor allem die junge Generation für Gleichberechtigung stark. Auch lehnen die meisten jungen Leute polygame Ehen ab. Allerdings ist ein "traditioneller Haushalt" immer noch quasi unangefochten. Die Frau ist für den Haushalt und die Kinder zuständig, während der Mann sich um das Geld kümmert. Das ist natürlich eine starke Verallgemeinerung, es gibt immer Ausnahmen. So genau will ich aber eigentlich gar nicht auf die Rollenverteilung von Frau und Mann eingehen, dieser Beitrag ist schließlich über Polygamie. Insgesamt habe ich den Eindruck gewonnen, dass Polygamie vor allem unter den älteren Generationen verbreitet ist, aber langsam ausstirbt.

Die zweite Begegnung, von der ich erzählen möchte, hatte ich mit einem Kollegen an der Schule. In unserem Gespräch ging es um Polygamie und Glaube. Er hat mir erzählt, dass sein Vater auch mehrere Frauen hatte, denn das war Teil seiner Tradition und seit Generationen hatte seine Familie nur polygame Ehen geschlossen. Sein Vater war aber auch ein sehr gläubiger Katholik und die katholische Kirche verbietet Polygamie. Jetzt standen also zwei sehr wichtige Bereiche seines Lebens in Kontrast zueinander. Wie schon gesagt hatte er mehrere Frauen - für ihn war das mit seinem Glauben vereinbar. Die Kirche schloss ihn allerdings aus der Gemeinde aus, was ihn aber nicht davon abhielt, trotzdem weiterhin jeden Sonntag in die Kirche zu gehen und sich selbst als Katholik zu bezeichnen. Ob Religion und Polygamie tatsächlich zusammen funktionieren können, sei aber dahingestellt. Seitdem ich hier bin wurde aus dem abstrakten Konzept der Polygamie etwas, das ich eher greifen und teils auch verstehen kann - übereinstimmen werde ich damit aber wohl nie. Daher begrüße ich den Trend weg von der Polygamie hin zur Monogamie, der sich momentan in der kamerunischen Gesellschaft abzeichnet.

Zum Abschluss gibt es jetzt noch eine kleine Anekdote, die mit Humor zu nehmen ist. Im Krankenhaus auf der Geburtsstation hatte eine Frau Zwillinge geboren und immer wenn der Vater zu Besuch kam, hat dieser großes Interesse an mir gezeigt - an sich nichts Ungewöhnliches, als Weiße zieht man hier einfach unweigerlich Aufmerksamkeit auf sich. Eines Tages hat er mich dann allerdings gefragt, ob ich ihn heiraten würde, weil ihm "in seiner Sammlung noch eine Weiße fehlen würde". Die frischgebackene Mutter war seine dritte Frau, wie viele er insgesamt hatte, weiß ich nicht. In der Situation war ich etwas überfordert, mittlerweile kann ich darüber lachen, so wirklich ernst gemeint hat er es denke ich nicht. Abgelehnt habe ich aber trotzdem mal lieber ganz eindeutig.

Liebe Grüße aus dem fast unerträglich heißem Douala

Jule

PS: Ich wünsche euch allen noch nachträglich frohe Weihnachten und hoffe, ihr hattet einen guten Start in das neue Jahr!