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14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Hier durfte ich Mirabel beim Nähen der Haut assistieren (Foto: EMS/Morawietz)
Hier durfte ich Mirabel beim Nähen der Haut assistieren (Foto: EMS/Morawietz)
29. April 2018

Ein Theater der etwas anderen Art

Jule

Jule

Kamerun
unterstützt ein Krankenhaus und eine Schule
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Lange ist es her, dass ich von meiner Arbeit (bzw. überhaupt von irgendetwas) berichtet habe, deshalb ist es jetzt höchste Zeit für ein Update!  

Die letzten zwei Monate habe ich im "wound dressing/OP department" des Krankenhauses verbracht. Im Dressing department werden Wunden aller Art gesäubert und frisch verbunden und außerdem werden ambulanten Patienten Injektionen gegeben. Im OP department werden - nun ja - Operationen durchgeführt. Da die Ausstattung des "theater" (OP-Saal; deshalb der Titel) begrenzt ist, werden allerdings nicht beliebige Eingriffe verübt. So werden beispielsweise keine Knochenbrüche behandelt, sondern hauptsächlich Operationen, die im Bereich des Abdomens stattfinden, durchgeführt. Die OP-Assistentinnen und Assistenten und die Anästhesisten wechseln zwischen den beiden departments, d.h. solange keine Operation ansteht, sind alle im wound dressing; sobald es eine Operation gibt, wechseln die Mitarbeitenden je nach Bedarf in Teilen oder komplett in den OP-Saal.  

Zuerst möchte ich (kurz) auf meine Tätigkeiten im Dressing eingehen. Es gibt vier Kategorien, in die man fast alle Wunden einordnen kann: OP Wunden, Abszesse, Geschwüre und Unfälle. Bei OP Wunden müssen neben der Reinigung nach einer Weile außerdem die Fäden gezogen werden. Abszesse (Eiteransammlungen in Körperhöhlen) kommen erschreckend häufig vor und auch oft bei kleinen Kindern. Ich habe von Abszessen am Kiefer über Abszesse am Oberschenkel bis hin zu einem Abszess am Hinterkopf alles gesehen. Abszesse werden aufgeschnitten, um den Eiter zu entfernen und müssen dann eine geraume Zeit täglich gesäubert werden, bis sich die Haut wieder geschlossen hat. Geschwüre gibt es hauptsächlich eine Art: offene Beine. Diese Wunden ziehen sich oft über Monate hinweg bzw. heilen überhaupt nicht richtig. Demnach sieht man die gleichen Patienten wieder und wieder und lernt diese gut kennen. Die meisten Unfallwunden sind tiefe Schürfwunden von Motorradunfällen, teils aber auch Arbeitsunfälle mit Maschinen oder einmal sogar eine Messerstichwunde. Manche dieser Wunden werden als Teil der Versorgung genäht. Am Anfang ist es mir etwas schwer gefallen, diese ganzen Wunden zu sehen. Der Anblick ist teils wirklich sehr unappetitlich... Schneller als gedacht, habe ich mich aber daran gewöhnt und bin mittlerweile echt abgehärtet, was Wunden angeht. Beste Voraussetzungen fürs Medizinstudium! (Später genaueres dazu).

Die Frage, was ich denn jetzt eigentlich mache, habe ich damit aber immer noch nicht beantwortet. Ich selbst darf die Wunden verständlicherweise nicht versorgen, deshalb war meine Aufgabe, Instrumente und Kompressen inklusive entsprechenden antiseptischen Mitteln anzureichen und die Wunden am Schluss zu pflastern. Außerdem habe ich mich relativ bald den teils etwas chaotischen Registern angenommen, sodass die Patientendaten übersichtlich erfasst werden.  

Noch viel spannender waren allerdings die Tage, an denen Patienten operiert wurden. Vor meiner ersten OP war ich total aufgeregt und hatte viele Befürchtungen, wie zum Beispiel, dass ich den Anblick nicht ertrage und ohnmächtig werde. An Stelle all meiner Befürchtungen ist aber sehr schnell pure Faszination getreten. Das hätte ich selbst nie von mir gedacht, aber ich finde es total interessant, die verschiedenen Organe "live" zu sehen! Es ist einfach unglaublich, was der menschliche Körper alles verkraften kann. Man kann ihn salopp gesagt aufschneiden, etwas darin herum fuhrwerken (z.B. den Blinddarm entfernen) und dann wieder zunähen, ohne dass mehr als eine Narbe zurückbleibt.

Die am häufigsten durchgeführte OP ist ein Kaiserschnitt, da war ich über fünfzehnmal dabei. Blinddarmentfernungen und Hydrozelektomien (Entfernung einer Wasseransammlung im Hoden) sind auch sehr häufig. Nicht nur die Arbeit des Chirurgen, sondern auch die Arbeit des Anästhesisten ist sehr interessant und komplex. Es ist eine Kunst für sich, die verschiedenen Medikamente (es sind echt viele!) genau richtig zu dosieren, dass der Patient keine Schmerzen hat, aber auch nicht zu lange betäubt ist oder zu arg weggetreten ist. Da es im OP viele Regeln gibt, um keine Infektion zu riskieren, waren meine Handlungsmöglichkeiten entsprechend eingeschränkt. So kam ich vor allem bei der Vor- und Nachbereitung zum Einsatz, während dem eigentlichen Eingriff habe ich hauptsächlich "nur" beobachtet. Zur Vorbereitung gehört zum Beispiel das Herrichten von sterilen "packs" in denen sich Instrumente, Laken/Tücher und sonstiges benötigte Material befinden. Eine weitere Aufgabe ist das Waschen des Patienten. Bevor ein solcher Eingriff gemacht wird, muss die entsprechende Stelle sehr gründlich gereinigt und desinfiziert werden (mit drei verschiedenen Mitteln). In Einzelfällen durfte ich beim Nähen der Haut assistieren (den Faden abschneiden und tupfen).

Nach der OP muss dann geputzt werden. Das kann teils echt viel Zeit in Anspruch nehmen, da es nach der OP manchmal aussieht wie auf einem Schlachtfeld. Für die nächste Operation muss dann aber alles wieder blitzeblank sein. Auch wenn die Aufgaben vielleicht nicht die angenehmsten sind, macht mir die Arbeit unheimlich Spaß, was nicht zuletzt am Personal liegt. Meine Kolleginnen und Kollegen sind alle sehr nett und die Atmosphäre ist familiär und entspannt. Eine so belastende Arbeit wie die Arbeit im OP schweißt zusammen und erfordert auch viel Humor, um der Situation den Ernst zu nehmen (natürlich im angemessenen Rahmen!). Es werden viele anzügliche Sprüche geklopft und auch sonstige Späße gemacht.

Auch die Ärzte habe ich von einer anderen - persönlicheren und weniger distanzierten - Seite kennengelernt. Ausschlaggebend war dafür unter anderem die Tradition des "Theater washing". Jeder Neuankömmling muss "Newman tax" zahlen, d.h. alle auf einen Drink einladen. Dem konnte ich mich natürlich nicht entziehen und so kam es zu einem sehr lustigen Abend mit meinen Kolleginnen und Kollegen.  

Insgesamt habe ich so viel gelernt, sei es Anatomie, Sterilität oder Nähtechniken (wir haben an einem Schwamm geübt). Mir hat das alles total viel Spaß gemacht und meine Wissbegierde geweckt. So sehr, dass ich mich für ein Medizinstudium beworben habe. Ich hoffe, dass ich einen Studienplatz bekomme und dann ab Herbst die Grundlagen zu den Arbeiten lerne, die ich hier täglich in der Praxis sehe. Ich bin sehr froh, dass mir dieses Jahr "Pause" tatsächlich in der Studienfachwahl geholfen hat und bin gespannt, was die Zukunft für mich bereit hält.  

Liebe Grüße   Jule

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Der Chefarzt Dr. Choamo (links) beim Schließen des Abdomens nach einem Kaiserschnitt (Foto:EMS/Morawietz)
Der Chefarzt Dr. Choamo (links) beim Schließen des Abdomens nach einem Kaiserschnitt (Foto:EMS/Morawietz)
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Mit dem Anästhesisten Dr Djomo und Mirabel, einer "surgical nurse" (Foto:EMS/Morawietz)
Mit dem Anästhesisten Dr Djomo und Mirabel, einer "surgical nurse" (Foto:EMS/Morawietz)