
Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

Edeka und Obi in Kamerun und Jordanien?
Zuerst ein kleines Update von mir: Ich bin seit Anfang Juli wohlbehalten zurück in Deutschland und genieße meine Zeit mit Univorbereitung und Herumfahren. An alle, die nur über Jordanien auf diesen Blog gestoßen sind und nicht genau über meine letzten zehn Monate Bescheid wissen: Bevor ich ein halbes Jahr in Jordanien verbracht habe, war ich dreieinhalb Monate in Kamerun. Vielleicht erleichtert es den folgenden Blog besser zu verstehen, wenn ihr zuvor in meinem kamerunischen Blog herumstöbert: oefp-blogs.ems-online.org/oefp-blogs-2017/kamerun-lisann/
Sowohl in Kamerun, als auch in Jordanien ist mir ein globales Phänomen besonders aufgefallen und es lässt mich auch nach meinen Auslandsaufenthalten nicht wirklich los: Kleidung und deren Verteilung. Dabei meine ich nicht jegliche Kleidung, sondern Altkleider. Besonders am Anfang meiner Zeit in Kumbo sind mir getragene T-Shirts ständig aufgefallen, die eine niederländische oder deutsche Aufschrift haben. Von Stadtfesten, Edeka- und Obi-Logos, über "Abitur 2004" bis zu unzähligen Aufschriften von kleinstädtischen Sportvereinen, aber auch Markenware konnte ich alles betrachten. Ich war schon sehr erstaunt, als ich ein T-Shirt des benachbarten Stadtteilsportvereins gesehen habe. Zu Anfang habe ich mich häufig gefragt, ob die Tragenden Wissen, was auf ihrer Kleidung steht, habe dann aber schnell gemerkt, dass es vermutlich nicht der Fall ist. Mit einer kamerunischen Freundin waren Annika und ich auf dem Second Hand Markt in Mbve, dem Mainmarket in Kumbo. Einmal wöchentlich gibt es Bett- und Unterwäsche, Socken, Pullis und eben besagte T-Shirts ab 100 franc zu kaufen, was in etwa 15 Cent sind. Diese Preise haben mich wirklich erschreckt, finde ich doch schon die Preise von Primark und Co. verwerflich billig.
Da mich dieses Thema nicht mehr losließ, habe ich angefangen zu recherchieren und mich erst einmal auf die Spuren der First-Hand Kleidung gemacht. Einige wissen wahrscheinlich schon durch den Film "The True Cost" oder andere Dokumentationen, Berichte oder Einträge, was für klimatische und gesellschaftliche Folgen Fast Fashion - also schnelllebige Mode, die von großen Ketten verkauft wird - hat. Die mit Pestiziden belastete Baumwollproduktion ist extrem gesundheitsschädlich, Näher*innen arbeiten in überfüllten, sticken Fabriken für einen Hungerlohn und chemische Bleichmittel gelangen zum Teil durch fahrlässige Vorschriften ins Grundwasser und somit auch in unser Ökosystem.
Wie verrückt ist es doch, dass sich ein großer Teil der Bevölkerungen des Globalen Nordens wünscht, immer mehr und noch günstigere Kleidung zu bekommen.
Aber zurück zu Altkleidern und Second-Hand. In Deutschland gibt es schon seit einigen Jahren den Trend zu Second-Hand. Gründe dafür könnten sein, dass etwas schon Getragenes besonders hip aussehen kann und durch häufige Waschvorgänge Schadstoffe des Produktionsprozesses weniger stark in den Kleidungsstücken vorhanden sind. Zudem wird erst einmal Kleidung aufgetragen, bis überhaupt Neue produziert werden muss. Eigentlich doch ein guter Ansatz und nachhaltiges Denken, oder? Genau das könnte man ja auch von Kamerun und Jordanien behaupten. Schon getragene Kleidungsstücke in Länder des Globalen Südens zu verschiffen, sei erst einmal nachhaltig. Aber was spricht gegen das vermeintlich ehrenhafte Motiv?
Ich habe angefangen, mich über die Produktion von Fast Fashion hinaus zu informieren. Woher kommt überhaupt die Second-Hand Ware, die auf dem Markt in Mbve verkauft wird? Wieso sind besonders oft deutsche Aufschriften abgebildet? Das heißt wohl, sie müssen aus Deutschland exportiert worden sein. Aber woher genau in Deutschland kommt diese Kleidung, die zum Teil noch wie neu aussieht? Einzelne Haushalte oder Sportvereine werden wohl nicht ihre herausgewachsenen und verwaschenen Klamotten eigenständig in Länder des Globalen Südens verschiffen. In Kumbo habe ich einmal einen großen Stoffballen gesehen, der mit Seilen zusammengeschnürt war und auseinandergefaltet wurde; die Kleidung fiel sofort auseinander.
Laut Dokumentationen von ARD und Arte werden viele Schuhe und Klamotten aus deutschen Altkleidercontainer in Länder des Globalen Südens verschifft. Noch gut erhaltene Kleidung, die aber nicht mehr dem eigenen Geschmack entspricht, wird also nicht nur an deutsche Bedürftige weitergegeben, sondern verschifft und in Ländern des Globalen Südens auf Second-Hand Märkten oder auch in Geschäften verkauft. Viele Organisationen, darunter auch das Deutsche Rote Kreuz, arbeiten mit gewinnorientierten Unternehmen zusammen. Diese sammeln die Kleidung aus den Containern ein, sortieren sie und bündeln sie gepresst in Stoffballen, welche anschließend verschifft werden. Für den globalen Süden hat das zum Teil fatale Folgen: Durch den Import von Second-Hand Waren geraten lokale Schneider*innen in Existenznöte. Ich selbst habe in Kumbo gesehen, dass geschneiderte Kleidung deutlich teurer ist und von einigen Einheimischen nicht mehr so bevorzugt getragen und gekauft wird. Ob dies aus finanziellen oder ästhetischen Gründen ist, weiß ich nicht. Ich glaube jedoch, dass viele eher aus finanzieller Sicht auf Second-Hand Kleidung zurückgreifen.
In diesem perfiden System wird also der ehrwürdige Gedanke, Hilfsbedürftigen etwas Gutes zu tun, ausgenutzt, um auf Kosten der lokalen Textilindustrie und deren Angestellten Profit zu erwirtschaften.
Für mich ist dies ein Beispiel für Globalisierung, wie sie nicht funktionieren sollte. Unternehmen des Globalen Nordens haben einen großen Einfluss auf kleine Unternehmen und Selbstständige, in diesem Beispiel Schneider*innen, und bringen diese in Existenznöte. Für einige lohnt es sich sicherlich vom Schneidern in den Verkauf von Second-Hand Ware umzusteigen. Das Verrückte an allem ist für mich jedoch, dass nicht unbedingt die Verkäufer*innen der Second-Hand Ware in Kamerun besonders viel verdienen, sondern die Unternehmen, die Altkleider von den Hilfsorganisationen aufkaufen und wieder weiterverkaufen.
Ich nehme aus diesem Thema für mein gesammeltes Gepäck meines Freiwilligendienstes mit, wie unfair Folgen der Globalisierung sind. Ich habe es geliebt, in Mbve aus dem Stoffmarkt nach Stoffen Ausschau zu halten und mir dann Schnitte herauszusuchen. Gespannt habe ich auf das Ergebnis Annikas und meiner Schneiderin gewartet, war immer begeistert, wie diese Unikate entstanden sind und - für meine Verhältnisse - günstig waren. Natürlich kann dieses Beispiel ungerechter Handelsstrukturen durch die Globalisierung auch auf viele andere Wirtschaftsbereiche übertragen werden. So werden z.B. Reste unseres Hähnchens, welche in Deutschland nicht verkauft werden, eingefroren und auf Märkten in Ländern des Globalen Südens für deutlich billigere Preise verkauft. Die Auswirkungen für Kleinbäuer*innen sind ähnlich zu denen der Schneider*innen in Kumbo.
Ebenso ist das Kleidungs-Phänomen nicht nur auf Kamerun begrenzt; auch in Jordanien habe ich viele deutsche Sportjacken mit deutschen Aufschriften gesehen.
Ich hoffe, dass ich durch diesen Blogbeitrag ein bisschen über Umstände von Altkleidung aufklären konnte, bei dem einen oder der anderen Neugierde für dieses Thema wecken konnte und möglichst viele damit aufhören, ihre Kleidung in Container zu werfen, sondern diese eher zu verschenken oder in deutschen Second-Hand Läden zu verkaufen. Nur so können sich aus meiner Sicht Unternehmen in Ländern des Globalen Südens eigenständig entwickeln und ein selbstständiges Wirtschaftssystem aufgebaut werden!
Drei Links zu Dokumentationen über Altkleider in Ländern des Globalen Südens:
https://www.youtube.com/watch?v=G7bBjpY7E5M
https://www.youtube.com/watch?v=djXkFedpTrE
https://www.youtube.com/watch?v=DEI3q5lUcrA&feature=youtu.be
