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Der Weg von Bethlehem nach Jerusalem: Entlang der Mauer und durch den Checkpoint (Foto: EMS/Feick)
Der Weg von Bethlehem nach Jerusalem: Entlang der Mauer und durch den Checkpoint (Foto: EMS/Feick)
10. Juli 2023

Ein kompliziertes Thema

Benedikt

Benedikt

Jordanien
Internat
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So langsam geht meine Zeit in Jordanien vorbei und ich stehe vor der Erkenntnis, dass 9 Monate jordanisches Bus fahren, mit den Kindern nachmittags im Internat Zeit verbringen, Essen gehen in Amman und Ausflüge durch Jordanien machen, nun ein Ende hat und der Flug nach hause ein drastischer Schnitt in meinem Leben sein wird. Trotz des schon jetzt eintreffendem nostalgischem Gefühl blicke ich mit Sehnsucht und Vorfreude auf den bevorstehenden Sommer in Deutschland. In diesem Beitrag will ich auf meine Zeit in Jordanien zurückblicken, von Gehörtem und Gesagtem berichten und das aus der Perspektive meiner Erfahrungen.

Ich weiß, dass das Thema Nah-Ost-Konflikt ein sehr emotionales ist und auch Deutschland prägt und die Menschen emotional mitnimmt. Ich will hier auf keinen Fall jemandem die Meinung verbieten oder aufdringen und Menschen die Existenz abstreiten oder verurteilen, sondern nur eine Sichtweise auf dieses komplizierte Thema geben.

Nach Jordanien kommend wusste ich, dass der Nah-Ost-Konflikt eine Rolle in dem nächsten Jahr einnehmen würde, doch ich ahnte nicht, wie omnipräsent und tief er im jordanischen Alltag sitzt. In diesem Beitrag will ich den Menschen vor Ort eine Stimme geben und von ihren Erfahrungen und Gefühlen berichten.

"Palästina und Jordanien? Das ist ja quasi das gleiche."

~Libanesin mit palästinensischen Wurzeln (Beirut, Libanon)

Die jordanische Gesellschaft besteht nämlich zu einem großen Teil aus palästinensischer Diaspora und deren Nachfahren. Palästina und Jordanien haben zudem auch eine starke historische und politische Verbindung, mitunter auch, da das Westjordanland inklusive Jerusalem einmal zu Jordanien gehörte. Außerdem besitzen sie eine ähnliche Kultur und sprechen ziemlich ähnliches Arabisch, was bei den vielen Variationen dieser Sprache einen starken Schweißpunkt bildet. Für diese Gesellschaftsgruppe gilt das Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan als wahre Heimat, die mit schönen und zugleich mit schmerzenden Erinnerungen besetzt ist. Der Wunsch der Rückkehr ist auf jeden Fall tief in den Köpfen der Leute verankert und wird auch an die junge Generation so weitergegeben. Es besteht eine klare Erinnerungskultur.

"Sie wollen, dass wir vergessen aber wir werden niemals vergessen!"

~christliche Palästinenserin, gebürtig aus West-Jerusalem (Amman, Jordanien)

Diese, zwar frustrierte aber trotzdem optimistische Denkweise, zeigt mir, dass die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung, trotz Unrecht und Elend in der Vergangenheit mit Optimismus in die Zukunft blickt. Dabei wird vor allem große Hoffnung auf die neuen Generationen und die Bildung gesetzt.

"Sie können uns bestehlen, Sie können uns rausschmeißen und sie können uns ins Exil schicken aber sie können uns nicht nehmen was in unserm Kopf ist." 

~Palästinenserin, erinnert sich was ihr Vater immer zu ihr sagte, nachdem er aus Jerusalem fliehen musste (Amman, Jordanien)

In Jordanien bekomme ich eine sehr einseitige Sicht auf das Thema und die Fakten verschwimmen oft zu Gerüchten und Halbwissen. So gelten für die meisten Menschen hier Zionist*innen, Juden und Jüdinnen und Israelis als ein und das gleiche. 

Das liegt unter anderem an dem fehlendem Kontakt zwischen den beiden Parteien. Durch Unwissen entsteht Angst und Hass auf das Gegenüber. Aus diesem Grund gibt es Projekte, die einen Ort des Begegnens schaffen um so Kontakt zu erschaffen. Ein solches Projekt habe ich auf unserem Zwischenseminar in Nes Ammim, im Norden Israels kennengelernt und Gespräche mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Ansichten gehört.

"Glaube nie nur einer Seite. Höre zu, geh nach hause und denke darüber nach." 

~Palästinensischer Israeli (Nes Ammim,Israel)

In meiner Zeit hier habe ich angefangen Zitate, die mich bewegt haben aufzuschreiben. Um sie nicht zu vergessen und von ihnen zu lernen, so kam mir die Idee zu diesem Blogbeitrag. Vor allem das Zitat des Palästinensers der in Israel lebt, ist mir im Kopf geblieben. Da ich zu meiner Zufriedenheit viele Menschen aus mehreren Ländern im Nahen Osten kennenlernen durfte und die Seiten verschiedener Personen und Gruppen hören durfte, habe ich noch einmal glasklar gemerkt, dass weder die eine Seite noch die andere ein homogenes Wertesystem hat und nicht alle die gleiche Meinung vertreten. Palästinenser*innen  in Jordanien, Libanon, der Westbank oder in Israel haben alle unterschiedliche Schicksale und bewerten die Situation zum Teil komplett anders. Meiner Erfahrung nach, sind die Palästinenser*innen in Jordanien sehr verbittert und zutiefst frustriert mit ihrem Schicksal und den Folgen ihrer Vergangenheit.

"Israel wird von innen zerfallen!"

~Palästinensische Rentnerin (Amman, Jordanien)

Jene in der Westbank sind mit der Situation unzufrieden, aber versuchen ihre Kultur und Geschichte in dem Überrest ihres Landes trotz der Besetzung fortzuführen.

"Wir wissen nicht was morgen passiert, ob das Militär auch bald zu uns kommt aber wir müssen unseren Alltag weiterleben."

~Palästinenser in Bethlehem über den israelischen Überfall auf die palästinensische Stadt Jenin Anfang Juli, 2023 (Bethlehem,Palästina)

Und Palästinenser*innen in Israel haben meiner Meinung nach, wenn auch unwillig und ernüchtert, die jetzige Situation fast akzeptiert. Dies ist jedoch lediglich meine Erfahrung, die ich durch Gespräche mit jenen Betroffenen hatte.

"Ich spreche Hebräisch weil ich es in der Schule gelernt habe. Aber ich spreche lieber Arabisch oder Englisch."

"Ich wünschte ich könnte auch mal in den Libanon aber mit meinem israelischen Pass geht das nicht."

~Junge Palästinenserin in Israel (Haifa, Israel)

Auch die andere Seite durfte ich mitbekommen, durch einen Vortrag über orthodoxe Juden und Jüdinnen, ein Gespräch mit einem säkularen Israeli und Erzählungen von anderen Freiwilligen aus Jerusalem und Israel. Zudem konnte ich bei Besuchen im ehemaligen Flüchtlingslager in Atlit und dem Holocaust Museum Yad Vashem in Jerusalem die Geschichte jüdischer Präsenz in Israel verstehen. Nach der Flucht aus Europa mussten Juden und Jüdinnen in Lagern, wie das in Atlit, leben, die stark an Konzentrationslager erinnern oder wurden von der britischen Besatzung gar nicht erst an Land gelassen und nach Zypern oder nach Europa zurückgeschickt. Aus eigener Kraft brachen sie aus diesem Flüchtlingslager aus und flohen in die nahegelegene, gemischt bevölkerte Stadt Haifa. Nachdem zuerst in friedlicher Koexistenz gelebt werden konnte, jagten Konflikte über Landfragen, die britischen Mandatsmacht und der Teilungsplan der Vereinten Nationen ein großes Keil zwischen die jüdische und die arabische Bevölkerung und führte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Seit der Unabhängigkeitserklärung des Jüdischen Nationalrat am 14. Mai 1948 prägen Vertreibungen, Überfälle und Kriege die Beziehung zwischen dem israelischen Staat und der arabischen Welt auf beiden Seiten. In Jordanien kommentiert man Überfällen auf palästinensische Städte durch das israelische Militär mit Protest und Aufschrei während Märtyrer*innen und Raketenangriffe auf Israel von der Mehrheit oft gedankenlos gefeiert werden.

"Ich war wirklich enttäuscht, als ich gesehen habe, wie sie das Video von den Raketenangriffen der Hammas geteilt hat. Ich und meine Kinder sind am Strand von Tel Aviv vor den Raketen gerannt, wir hatten Todesangst."

~säkularer Israeli über eine palästinensische Bekannte (Tel Aviv, Israel)

Die meisten Häuser und Einrichtungen in Israel haben Bunker um die Bevölkerung vor Raketenangriffen zu schützen. Außerdem besitzt Israel moderne Raketenabwehrsysteme, um abgeschossene Raketen in der Luft zu explodieren. Palästina hat diese Infrastrukur nicht. Wenn Israel mit Raketen dem Gazastreifen antwortet töten diese Terrorist*innen, Zivilist*innen und Kinder gleichermaßen.

Was den Volontären in Israel, Jordanien und Palästina oft gleichermaßen auffällt, ist die einseitige Berichterstattung vieler deutscher Medien.

Wenn es in Israel wieder zu Waffengewalt kommt, wird meist von "Vorfällen" "Provokationen", "Auseinandersetzungen" oder "Zusammenstößen" berichtet während die palästinensische Realität nach Überfällen, Tyrannisierung und Willkür aussieht. Allein bei dem letzten Überfall des Militärs auf das Flüchtlingscamp in der palästinänsischen Stadt Jenin vom 03.07.23 bis zum 05.07.23 starben 12 Palästinenser, darunter auch Kinder. Diese Meldungen erschüttern mich immer zutiefst und beim Anschauen der Bilder der Verstorbenen denke ich immer an die Kinder im Internat, die im gleichen Alter sind wie die Gestorbenen.

Auf beiden Seiten der Realität herscht unglaublicher Hass dem Gegenüber und Sprüche wie "Tötet alle..." fallen vermutlich täglich in verschiedenen Ausführungen. Auf beiden Seiten gibt es gewaltbereite, radikale und terroristische Individuen, als Teil von Organisationen oder Regierungen. Meiner Meinung nach ist der Nah-Ost Konflikt eine furchtbare Katastrophe für die Menschen im Nahen Osten und fordert ständig Opfer auf beiden Seiten und lässt diese Region der Welt nicht ruhen, aber es ist kein Konflikt auf Augenhöhe. Israel tendiert immer mehr, zu einer rechten Scheindemokratie, die unter dem Flügel des Westens die palästinensische Bevölkerung terrorisiert und tötet. Provokationen von arabischen Individuen werden benutzt um palästinensische Städte und Familien zu überfallen und zu zerstören.

In Jordanien wird viel spekuliert wie und wann der Konflikt enden oder wieder eskalieren wird, ich hoffe nur es findet sich eine friedliche Lösung, die so wenig Opfer wie möglich verlangt.

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Wandbemalung in Amman, grobe Übersetzung: Jedes Haus in Jerusalem, aus dem seine Menschen fliehen mussten, repräsentiert Palästina (Foto: EMS/Feick)
Wandbemalung in Amman, grobe Übersetzung: Jedes Haus in Jerusalem, aus dem seine Menschen fliehen mussten, repräsentiert Palästina (Foto: EMS/Feick)
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Palästinänser in Hebron zeigt uns von seiner Dachterasse aus, von Israelis, besetzte Häuser (Foto: EMS/Feick)
Palästinänser in Hebron zeigt uns von seiner Dachterasse aus, von Israelis, besetzte Häuser (Foto: EMS/Feick)

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