Weltweit erlebt
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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Miss Lama mit den drei blinden Mädchen Heba, Jana und Enas (4. Klasse) bei einer Prüfung. Die drei sind ihre heimlichen Lieblingsschülerinnen. (Foto: EMS/Janke)
Miss Lama mit den drei blinden Mädchen Heba, Jana und Enas (4. Klasse) bei einer Prüfung. Die drei sind ihre heimlichen Lieblingsschülerinnen. (Foto: EMS/Janke)
17. Juni 2019

I like life so much!

Anna

Anna

Jordanien
wirkt an einer integrativen Blindenschule mit
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Ich kann mich noch an meine erste Begegnung mit Lama erinnern. Zusammen mit Annabelle, meiner Mitfreiwilligen, bin ich auf dem Schulflur an ihr vorbeigelaufen und wir haben sie gegrüßt. Es war meine erste Arbeitswoche und ich war sehr froh, dass mich überhaupt jemand ansprach und dann auch noch in sehr gutem Englisch. Sie fragte uns nach unseren Namen und wir stellten uns nacheinander vor. Wir versicherten ihr aber gleich, dass es nicht schlimm wäre, wenn sie uns verwechselte. Da mein Name, Anna, auch in Annabelles Namen steckt hatten viele Leute an der Schule Probleme, uns voneinander zu unterscheiden. Lama hat uns aber versichert, dass sie jetzt unsere Stimme kennt und von nun an weiß, wer von uns wer ist. Und wenn ich so zurückblicke ist Lama wahrscheinlich die einzige Person an der Schule, die mich noch nie mit Annabelle verwechselt hat. Doch auch abgesehen davon, dass sie Menschen an ihrer Stimme erkennen kann ist Lama ein sehr beeindruckender Mensch. Deswegen möchte ich sie gerne vorstellen.

Lama Firas Essa Maayah ist 23 Jahre alt und arbeitet an der Arab Episcopal School als Lehrerin. Sie wohnt in Hoson, einem Dorf neben Irbid, zusammen mit ihren Eltern und drei Geschwistern. Sie ist die Älteste, ihre Schwestern sind 21 und 16 Jahre alt, der Bruder 17.

Als junges Mädchen ist Lama zum Beginn der ersten Klasse in ein privates Internat für Blinde nach Amman gezogen. Die Hauptstadt ist circa 1 ½ Stunden Autofahrt von Hoson entfernt, als täglicher Schulweg ist das zu lang. In Irbid und Umgebung gab es keine Möglichkeit für sie eine Schule zu besuchen. Nur am Wochenende konnte Lama ihre Familie sehen und nach Hause kommen. In der 7. Klasse wechselte sie dann auf eine, wie sie es nennt, „normale“ Schule. Hier war zwar niemand auf blinde SchülerInnen eingestellt oder dafür ausgebildet, aber die Schule war in Irbid und Lama konnte wieder bei ihren Eltern wohnen. Die Frage, welche Schule ihr besser gefallen hat, ist für sie leicht zu beantworten. Sie genoss die Zeit in der normalen Schule sehr, vor allem gefiel ihr die Integration. Im Internat fand sie es schwer, in einem so jungen Alter auf sich alleine gestellt zu sein. Aber auch die Abgeschiedenheit und der fehlende Kontakt zu sehenden Kindern gefiel ihr nicht.
Bis zu ihrem Abschluss am Ende der 12. Klasse blieb Lama auf der Schule, danach fing sie an mit einem Studium an der Yarmouk Universität in Irbid. Da Lama sehr gut Englisch spricht studierte sie Arabic-English Translation, also die arabisch-englische Übersetzung.

Obwohl Lama erst 23 Jahre alt ist arbeitet sie schon vier Jahre an der Arab Episcopal School. Bereits in ihrem zweiten Jahr an der Universität hat die Schulleiterin Ms. Sabah Lama angerufen und ihr eine Stelle angeboten. Ihr Vater hatte schon Jahre vorher Kontakt mit der AES aufgenommen und sich informiert, ob seine Tochter nicht an der Inklusionsschule lernen könne. Leider war die Schule zu dem Zeitpunkt noch nicht genug ausgebaut, deswegen war sie für Lama keine Option. Aber dadurch kannte die Schule Lama und kam mit ihr in Kontakt. Sie studierte noch drei Jahre lang weiter und schloss ihr Studium 2018 erfolgreich ab. Nebenbei arbeitete sie aber schon an der Schule. Mit Beginn dieses Schuljahres, August 2018, begann sie dann Vollzeit an der Arab Episcopal School als Lehrerin zu arbeiten.

Auch wenn ihre offizielle Jobbezeichnung Lehrerin ist macht Lama noch so viel mehr. Dadurch, dass sie blind ist, arbeitet sie eng mit den blinden SchülerInnen an der Schule zusammen. Zusammen mit Ms. Heba, einer Englischlehrerin, macht sie den Englischunterricht für die 4., 5. und 6. Klasse. Hier betreut sie im Unterricht vor allem die blinden Kinder, setzt sich neben sie oder geht mit ihnen in ein separates Klassenzimmer, beispielsweise wenn eine Prüfung ansteht. Außerdem konzipiert sie oft die Arbeitsblätter und Tests für Ms. Heba. Ihre Arbeit umfasst aber noch viel mehr. An der AES gibt es einen Braille Center, welcher nach der Schule stattfindet. Er ist offen für jeden, der Interesse daran hat, die Blindenschrift zu lernen. Lama bringt hier ganz unterschiedlichen Menschen diese Schrift bei, ob es blinde Kinder sind, deren Eltern oder Menschen, die einfach nur Interesse an Braille haben, jeder kann kommen. Aber auch während der Schulzeit hat sie noch andere Aufgaben. Da viele sehende LehrerInnen keine Brailleschrift lesen können, liest Lama ihnen die Aufschriften der blinden SchülerInnen vor.
Ein weiterer Teil ihrer Arbeit ist das Abschreiben. Die Schule hat zwar einen Drucker, welcher Texte in Brailleschrift ausdrucken kann. Diesen kann man aber leider nicht für Matheprüfungen benutzen, da er für spezielle mathematische Formeln und Ähnliches nicht programmiert ist. Deswegen endet für Lama in der Zeit vor Examensphasen die Arbeit nicht mit dem Ende des Schultages. In ihrem Haus sitzt sie oft stundenlang da und kopiert die Matheprüfungen, für jede/n Schüler/in eine eigene Kopie.

Aber trotz der vielen und oft auch sehr anstrengenden Arbeit ist Lama keinesfalls müde oder angestrengt. Sie muss zwar zugeben, dass es manchmal doch sehr viel ist, aber sie liebt ihre Arbeit. Auf die Frage, wie sie ihren Beruf bezeichnen würde, hat sie keine passende Antwort. Lama sieht sich aber nicht gerne als die klassische Lehrerin. Sie mag es, dass sie durch die enge Zusammenarbeit mit den Blinden eine ganz besondere Beziehung zu ihren SchülerInnen aufbauen kann. Sie sieht sich nicht als eine Autoritätsperson, lieber als eine Freundin. Trotzdem schafft sie es mit ihrer Art immer wieder, dass die Kinder auf sie hören und sich benehmen – sehr faszinierend.

An der Schule ist sie aufgrund ihrer liebevollen Art sehr beliebt. Die SchülerInnen an der AES lieben Lama, ob blind, sehbehindert oder sehend. Auch ich mag Lama sehr gerne und bewundere vor allem ihre Einstellung. Für Lama ist es wichtig, dass sie im Leben keine Extrabehandlung aufgrund ihrer Behinderung bekommt. Sie möchte behandelt werden wie jeder andere Mensch auch und hat das Ziel im Leben, so viel zu erreichen wie möglich.

Mit Lama habe ich vor allem im Englischunterricht eng zusammengearbeitet und habe sie und ihre Art sehr zu schätzen gelernt. Sie hat mir immer wieder geholfen, wenn ich unbeholfen war; hat mir beispielsweise das aktuelle Gesprächsthema im Lehrerzimmer erklärt oder ein arabisches Sprichwort übersetzt. Aber auch sonst konnte ich immer mit Fragen oder Problemen zu ihr kommen und über alles reden.

Lama hat einmal zu mir gesagt „I like life so much, it‘s so interesting“ und nach diesem Motto lebt sie auch. Sie liebt das Leben und besitzt so viel Stärke und Selbstbewusstsein. Dafür bewundere ich sie sehr und denke, dass wir uns alle etwas von Lamas Lebensfreude abschauen können.

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In diesem Raum werden viele Schulbücher in Braille gelagert und Lama arbeitet hier auch oft mit ihren SchülerInnen. (Foto: EMS/Janke)
In diesem Raum werden viele Schulbücher in Braille gelagert und Lama arbeitet hier auch oft mit ihren SchülerInnen. (Foto: EMS/Janke)