Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)
Hochzeiten in Indien, das weiß man ja, sind arrangiert. Auch ich meinte das vor meiner Ausreise zu wissen. Doch heute hat mich ein junges Mädchen darauf hingewiesen, dass es tatsächlich drei Arten der Eheschließung gibt: Arrangiert von den Eltern, "Love Marriage", also das was unter der westlichen Auffassung von Ehe verstanden wird, und dann noch die arrangierte Love Marriage. Und man kann es sich kaum vorstellen, aber das Ganze ist komplizierter als es klingt. Dann lasst uns doch mal mit dem ersten Fall anfangen, der sicherlich immer noch den Großteil der Ehen in Indien ausmacht.
Sobald sich die Kinder im heiratsfähigen Alter befinden, was für Frauen etwa 23 - 25 (weil man ja mit 30 bekanntlich unfruchtbar wird, ist klar) und Männer so 27 - 30 ist, wird es die Aufgabe der Eltern diesen einen geeigneten Partner zu finden. Also theoretisch ist das so. In der Praxis wird es die Aufgabe des gesamten Bekanntenkreises, und in Einzelfällen fühlen sich sogar Wildfremde dazu hingerissen. Kleines Fallbeispiel: Meine Mitarbeiterin Riya ist jetzt 24, ihre Ausbildung hat sie mit 22 beendet. Sie sagt zu der Sache: "Als ich noch studiert habe, haben mich alle Verwandten nach meinem Kurs gefragt und wann ich denn endlich fertig sei. Als ich dann mein Abschlusszeugnis in der Hand hielt änderten sich die Fragen schlagartig zu: Wann heiratest du denn? Ich kenne da einen netten jungen Mann..." Noch eindrücklicher war ein Vorfall gerade letzte Woche. Dort kam eine Rentnergruppe das Asha Bhavan besuchen und es wurde eine kleine Andacht abgehalten. Später berichtete mir Riya die Frau, die neben ihr saß habe ihr angeboten sie mit ihrem Enkel zu verkuppeln.
Doch woher kommen dieser Heiratswahn und das Verlangen der Eltern nach dem perfekten Partner für die Kinder? Nun ich kann nur Vermutungen anstellen, doch soweit ich das mitbekommen habe ist es das Ziel der meisten Inder eine möglichst gute Ausbildung zu erhalten, einen gut bezahlenden Job zu ergattern und eine eigene Familie zu gründen. Oder so wollen es zumindest die Eltern. Wie wichtig die Familie ist, habe ich ja schon in einem vorherigen Blogeintrag deutlich gemacht. Und ich denke wenn das das Ziel ist, ist die arrangierte Ehe gar nicht so unsinnig, denn man macht genau das: Man arrangiert sich mit einem akzeptablen Partner um das zu bekommen was man möchte, nämlich die Sicherheit und Geborgenheit einer Familie. Vor diesem Hintergrund finde ich die Vorstellung einer arrangierten Ehe auch nicht mehr so abwegig wie ich das in Deutschland tat. Und es ist auch meistens nicht so, als würde man einen komplett Fremden heiraten. Zur Ehepartnersuche gehört ein sehr langer Prozess, währenddessen haben die Partner meistens Zeit sich zu treffen und kennenzulernen, auch wenn das manchmal im Geheimen geschieht.
Einfach ist die Suche auch nicht, denn sehr viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Am wichtigsten scheint dabei die Religion zu sein, bei Christen sollte es dabei die gleiche Konfession, bei Hindus die gleiche Kaste sein (ich bin mir sicher meine Leser haben schonmal was vom Kastensystem gehört, sonst googeln!). Und bei manchen Christen spielt sogar die Kaste auch eine Rolle, nämlich bei denjenigen, die sich als "Brahmanenchristen" bezeichnen. So wie ich das verstanden habe sind das Christen, die schon vor vielen Generationen aus einer hohen Kaste zum Christentum konvertiert sind. Einige scheinen abgeneigt sich, beziehungsweise ihre Kinder, mit Christen zu vermählen, die aus einer niedrigen Kaste konvertierten um dem Kastenwesen zu entkommen, das sie unterdrückte. Außerdem spielen natürlich Ausbildung und Gehalt und Staatsangehörigkeit eine Rolle (also Bundesstaaten), sowie bei Hindus das Horoskop. Weitere Faktoren können Mitgift, Alter, Hautton, Status der Familie und so weiter sein.
Bei so vielen Bedingungen kann es ziemlich schwierig werden einen geeigneten Partner zu finden, also kann man neben seinem Netzwerk an verkuppelnden Aunties auch auf das Internet zurückgreifen. Wenn dann endlich ein Kandidat gefunden ist, der die gewünschten Bedingungen erfüllt, geht das Ganze erst richtig los. Nun müssen sich die Familien kennenlernen. Das heißt die Väter sprechen miteinander, das Gleiche mit den Müttern. Dann spricht die Mutter mit der potenziellen Braut und der Vater mit dem potenziellen Bräutigam. Erst wenn sich alle untereinander verstehen dürfen sich der Tradition nach die Ehepartner in Aussicht kennenlernen. Zwar mag mir die Idee einer arrangierten Ehe nicht mehr ganz suspekt sein, jedoch stößt mir die traditionelle Rolle der Braut immer noch unangenehm auf. Die Idee ist, dass die Tochter weggegeben wird, also bei der Hochzeit die Familie wechselt. Sie sollte im Haus des Bräutigams mit den Schwiegereltern leben und sich der Schwiegermutter fügen. Ein Konflikt, auf dem viele Serien, Filme, Bücher und Werbungen hier basieren. Natürlich gibt es heutzutage unzählige andere Familienmodelle, vor allem in urbanen Regionen, doch im konservativen Kerala ist das immer noch die Erwartung. Außerdem sollte der Braut, vor allem im Hinduismus und Islam, eine Mitgift mitgegeben werden und die extravagante Verlobungs- und Hochzeitszeremonien sollen von ihrer Familie finanziert werden. Ich denke daher kommt Vorstellung Söhne seinen mehr wert als Töchter, die sich in einigen Köpfen immer noch hält, denn Söhne bringen ja sowohl bei der Hochzeit als auch durch ihre Arbeit Geld in die Familie, während die Tochter ja teuer verheiratet werden muss und die Familie somit verlässt.
Was eine Liebesehe ist kann man sich ungefähr vorstellen, doch eine arrangierte Liebesehe gibt es nur hier: Falls die Kinder schon einen potenziellen Partner gefunden haben, beziehungsweise sich verliebt haben, kann der ganze Prozess auch stattfinden. Falls der Partner in die Vorstellung der Eltern passt und diese sich auch untereinander verstehen ist eine Ehe mit dem Segen der Eltern auch möglich, alle sind happy. Doch wenn man das Pech hat konservative Eltern zu haben und sich zum Beispiel als Hindu in einen Christen verliebt, dann hat man ein Problem. Da muss man sich dann entscheiden zwischen der Liebe und seinen Eltern. Es gibt wahrscheinlich auch Eltern die das alles lockerer sehen, doch davon hab ich noch nicht so viel mitbekommen. Oder man nimmt es einfach so wie eine Studentin mit der ich geredet habe. Sie meint solange sie die Unterstützung ihrer Eltern braucht, mache sie was diese wollen, wenn sie einen Job habe rebelliert sie, denn sie möchte gar nicht heiraten!