
Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

Die kleine “Insel” Toraja im muslimischen Indonesien
Ich glaube "Tuhan" war so ziemlich mein erstes Wort, was ich hier lernen durfte. Übersetzt heißt dieses Wort "Gott" und hat eine ganz besondere Bedeutung hier in Indonesien.
Insgesamt ist Indonesien mit einem Anteil von 80% muslimisch geprägt. Der Anteil der Christen beträgt bloß 10%. Toraja ist eine Region in Sulawesi (nordöstl. von Bali) in der Christen mit 80% die Mehrheit bilden und in der ich lebe.
Religion spielt in Indonesien eine ganz wichtige Rolle. Ein Mann sagte mir mal, er akzeptiere alle Menschen, solange sie glauben. Meine Erfahrung zeigt, dass viele in Toraja solche eine Einstellung haben.
Neben dem gesetzlichen Verbot dem Atheismus anzugehören, hat die Religion auch für fast alle Indonesier, die ich kennenlernen durfte eine sehr wichtige Bedeutung.
Ich erinnere mich noch daran wie erschrocken ich am Anfang war, als man überall nur "Oh Tuhan" gehört hat. Ich saß an meinem ersten Arbeitstag im Auto auf dem Weg ins RBM und alle haben zu der Musik aus dem Autolautsprecher laut mitgesungen "Oh, Tuhan...". Auch in öffentlichen Bussen laufen christliche Lieder in Dauerschleife. Jede Veranstaltung, sei es ein Kindergeburtstag, die Eröffnungsfeier vom Lovely December (Kulturfestival in Toraja mit Tänzen, Konzerten...) oder wenn Leute wie Politiker in die Stadt kommen, beginnt mit einem Gottesdienst. Auch im Kinderheim wird jeder Abend mit einem kleinen Gottesdienst abgeschlossen. Als ich letztens im Krankenhaus übernachtet habe (keine Sorge, mir geht's gut), erklang morgens um 6 Uhr aus den Lautsprechern ein Gottesdienst, der etwa 45min ging. Schlafen war dann nicht mehr möglich.
Es ist witzig, weil ich mir gerade die Frage stelle, ob das alles überhaupt nennenswert ist. Es fühlt sich schon so normal an. Zu meiner Anfangszeit hätte ich nicht gedacht, dass ich mich daran wirklich gewöhnen kann.
Als ich meiner Kollegin einmal etwas erzählt habe und dabei das Wort "Atheismus" benutzt habe, fragte sie mich verwundert, was das sei. Ich habe es ihr dann erklärt und sie fragte mich verwirrt, wo man denn dann hinkomme, wenn man stirbt. "Ja, sie sind dann eben der Überzeugung, dass dann gar nichts mit ihnen passiert bzw. jeder hat eigene Ideen und Vorstellungen," habe ich dann geantwortet. Sie hat mich nur fassungslos angeschaut und konnte das überhaupt nicht nachvollziehen.
Für viele Menschen scheint es hier, vielleicht aufgrund der Erziehung und dem Umfeld, nur die Option des Glaubens zu geben. Hinterfragt wird der Glaube nur von sehr wenigen Menschen. Dennnoch habe ich Freunde, die nicht an Gott glauben und sich als Atheisten bezeichnen. Laut gesagt werden darf das aber nicht. Es ist nämlich so in Indonesien, dass die Religionszugehörigkeit in den Personalausweis eingetragen wird. Wenn man angibt Atheist zu sein bekommt man keinen Personalausweis und besitzt damit auch weniger Rechte.
Der eigentliche traditionelle Glaube Torajas ist animistisch und wird "Aluk To Dolo" (der "Weg") genannt. Erst als niederländische Missionare 1913 kamen, wurde die Mehrheit des Torajalandes christlich geprägt. Viele Toraja leben allerdings auch nach beiden Religionen, Aluk To Dolo und dem Christentum. Die christliche Toraja Kirche akzeptiert dies.
Über die Kirche in Toraja kann ich sagen, dass Gottesdienste hier definitiv anders sind als ich es aus meiner Kirche in Köln kenne. Jeden Sonntag heisst es Ibadah (= Gottesdienst) und man kann sich sicher sein, dass nur sehr wenige nicht in die Kirche gehen. Nicht selten sitzt man mal drei Stunden im Gottesdienst und viele Menschen sträuben sich nicht an einem Sonntag auch mehrere Gottesdienste zu besuchen. Sätze wie "Ach bin ich froh heute frei zu haben, dann habe ich mehr Zeit zum Beten", habe ich hier auch schon gehört. Den Inhalt des Gottesdienstes kann ich bloß teilweise verstehen, mitsingen geht aber natürlich und mir die schick und bunt bekleideten Menschen anzusehen, kann auch echt interessant sein. Die Stimmung ist eher ernster, würde ich sagen. Generell ein konservativerer Gottesdienst. Die Gemeinschaft spielt dabei eine wahnsinnig wichtige Rolle. Ich glaube persönlich, dass viele Toraja auch keine andere Option sehen als jeden Sonntag in den Gottesdienst zu gehen, da ein gesellschaftlicher Druck herrscht, der die Menschen nicht die Frage stellen lässt, ob sie nun den Sonntagsgottesdienst besuchen oder nicht. Das ist meine eigene Ehrfahrung, aber auch einige Einheimische haben mir bereits von einem ähnlichen Empfinden erzählt.
Das alles klingt jetzt mehr negativ als positiv, aber natürlich ist die Gemeinschaft auch etwas tolles und ist daher wahnsinnig bedeutend hier in Indonesien.
Ich habe mit verschiedenen Einheimischen darüber gesprochen, wohin denn die Entwicklung der Religion in Toraja tendiert. Mein Mentor hat mir erzählt, dass es in seiner Jugend (vor vielleicht 40 Jahren) super angesagt war, in die Kriche zu gehen. Er erklärte mir auch, dass das aber heute nicht mehr so sei. Den meisten Jugendlichen ist es gleichgültig, ob man jedes mal den Sonntagsgottesdienst besucht oder nicht. Es sei auch nicht mehr so, dass man "cool" ist, wenn man in die Kirche geht oder "uncool", wenn man es eben nicht tut, hat er hinzugefügt. Es sei der Übergang zu einer freier denkenden Gesellschaft, weg von dem Konservativem, beschrieb er.
Andere haben mir hingegen erzaehlt, dass die Jugend immer konservativer wird und auch konservativer als die älteren Generationen sei. Man hört sehr gegensätzliche Ansichten, aber ich glaube das liegt daran, dass es eben immer weniger den "Mainstream" gibt und sich immer mehr individuelle Gruppen mit verschieden Ansichten bilden. Eben manche Gruppen werden liberal denkender und andere konservativer.
Meine Chefin im Kinderheim hat schon seit ihrer Geburt eine Behinderung an ihrer Hand, weshalb sie keine Finger hat. Sie arbeitet neben der Arbeit im Kinderheim auch als Priesterin. Einige Leute der Gemeinde haben sich beschwert, sie könne doch mit solch einer Hand nicht den Segen ausprechen. Es könne ja etwas Segen verloren gehen, weil sie gar nicht alles bedecken kann. Ich kann das gar nicht richtig beschreiben, da ich das Problem nicht verstanden habe. Für meine Chefin muss es sich wirklich sehr demütigend anfühlen und ich empfinde solch eine Ansicht auch als sehr schwachsinnig, fast fanatisch dem Glauben gegenüber.
Vor zehn Jahren war Toraja viel offener und nicht so konservativ glaubend. Es galt als normal, wenn Frauen kurzen Hosen, die nicht bis über die Knie reichten, trugen. Das hat sich in all den Jahren geändert und laut Stephanie (meiner holländischen Freundin, die schon seit zwanzig Jahren hier lebt) entwickelt sich die Kleidernorm auch hin zu immer längerer Kleidung. Die Röcke/Hosen müssen für die Mädels mindestens bis über die Knie sein, Ausschnitt zeigen geht gar nicht und die Schultern müssen bedeckt sein. Ein absolutes No-Go ist auch, wenn der BH-Träger hervorblitzt. Manchmal passiert das aber trotzdem und bevor man es selber bemerkt, wird die Kleidung von anderen Personen wieder zurecht ,,gezuppelt".
Was passiert, wenn man trotzdem knappere Kleider trägt, zeigt eine Erfahrung, die ich in meiner Anfangszeit gemacht habe. Ich wollte unser Zimmer mit kurzer Sporthose verlassen, um auf die Toilette zu gehen, die sich in einem anderen Gebäude befindet. Plötzlich stoppte mich die 6-Jährige Tita, schaut an mir herab und sagte ,,Oh sexy, Pina!". Solch eine Kleidung wird hier einfach anders verstanden als in Europa. Gerade das von einer 6-Jährigen zu hören hat mich nachdenklich gemacht. So gesehen zu werden, war natürlich nicht meine Absicht. Durch den kulturellen Unterschied werden einfach so viele Dinge anders aufgefasst, da muss man häufig echt sehr sensibel sein.
Es ist aber tatsächlich auch so, dass Toraja schon zu den konservativsten aller christlichen Kulturen in Indoensien gehört. Als ich nach Manado (christl. Gebiet, etwa 200km nördlich von Toraja) gefahren bin, hat man auch super viele Mädchen in knapperer Kleidung herumlaufen sehen, teilweise sogar Alkohol trinkend. In Toraja ist das absolut nicht üblich. Als ich vor einer Woche auf Bali war, um dort Urlaub zu machen, habe ich dort Einheimische gefragt, wie sie über Toraja denken. Von verschiedenen Seiten habe ich die Antwort bekommen, sie seien sehr in der Tradition verankert, sie seien wenig offen für Neues und sie leben konservativ. Während meiner Zeit in Toraja habe ich das ähnlich erfahren.
Zum Schluss möchte ich noch einmal ein paar Sätze über Indonesiens größte Religion, den Islam, loswerden. Auch dieser wird häufig anders gelebt, als ich es in Deutschland miterlebt habe. Mit verschiedenen Moslems dürfte ich hier sehr interessante Gespräche führen.
Einen großen Unterschied stellt zum Beispiel die Polygamie da. Diese ist zwar durch die Regierung offiziell verboten, allerdings messen viele der Religion insgeheim eine viel höhere Bedeutung bei und somit hauptsächlich dem islamischen Gesetz. Es war wirklich spannend einmal die Sicht des Moslems zu hören, mit dem wir über dieses Thema sprechen dürften, denn sie war wirklich komplett verschieden. Er erklärte uns, es sei doch eine Erleichterung für die Frau, nicht zusätzlich zu der Hausarbeit und die Kindererziehung noch arbeiten zu gehen. Nur so könne man der Frau das beste bieten, sagte er. Die Vorstellung, wenn die Frau aber arbeiten wolle und nicht dürfe aufgrund des Verbots ihres Ehemanns, konnte er nicht nachvollziehen. Es klang wirklich völlig so als sei es großzügig, sie so zu entlasten.
Ich habe auch eine sehr spannende Begegnung in Makassar gemacht, die nicht zum Islam passt, aber zum IS. Dies ist keine Religion, also passt diese Erzählung vielleicht nicht ganz in den Artikel, allerdings möchte ich trotzdem gerne von dieser Begegnung erzählen. Alles, was ich nun berichte, sind bloß Erzählungen von ihm, ich kann also nicht versichern, dass dies wirklich wahr ist. Allerdings schien mir er mir mit seinen Storys sehr authentisch und einen Artikel im Internet mit seinem Namen konnte ich auch finden. Jedenfalls hat er davon berichtet, dass er vor einigen Jahren ziemlich radikal seinem Glauben nachgegangen ist. Der Höhepunkt war dann, als er in den Dschihad berufen wurde. Zunächst war er überzeugt und ist aber später doch skeptisch geworden. Es kam sogar dazu, dass er den Aufenthaltsort von ISIS-Gruppen in Zentralsulawesi verraten hat, worauf hin diese von indonesischen Polizisten erschossen wurden. Es gibt tatsächlich viele Islamisten und Salafisten hier.
Religion wird - egal ob Islam, Christentum, Hinduismus, Buddhismus oder Konfuzianismus - strenger gelebt und eine viel höhere Bedeutung zugeschrieben. Religion ist hier tatsächlich sehr häufig Mittelpunkt und Sinn des Lebens. Außerdem ist die Gemeinschaft, die eine Gemeinde mit sich bringt, wahnsinnig wichtig für sehr viele Indonesier.
Über den Animismus in Toraja möchte ich im nächsten Artikel schreiben, daher bin ich darauf in diesem Artikel nicht eingegangen.

