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Besuch im RBM (Foto:EMS/Bapak Lius)
Besuch im RBM (Foto:EMS/Bapak Lius)
01. Dezember 2023

RBM Toraja

Ida

Ida

Indonesien
Schule für Kinder mit Behinderung
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Meine Arbeit im RBM

Wie versprochen wird es heute um meine Arbeit gehen, doch zu Beginn werde ich erst einmal die Frage beantworten, was genau das RBM eigentlich ist?

Das RBM (Rehabilitasi Bersumberdaya Masyaraka) wurde im August 1994 von der Frauengemeinschaft der Toraja-Kirche gegründet. Nicht nur, um Kindern mit Behinderung und ihre Familien zu unterstützen, ein möglichst selbständiges Leben führen zu können, sondern auch um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf dieses Thema zu lenken, da es immer noch viele Menschen gibt die ihre Augen vor der Realität verschließen. Die Frauen des RBM haben sich zur Aufgabe gemacht den Menschen die Augen zu öffnen und den Kindern mit Behinderung zu zeigen, dass sie gesehen werden. Dies machen sie sowohl in der Schule, aber auch im mobilen Dienst, in welchem die Ibus in die Dörfer fahren um insgesamt über 600 Kinder und mittlerweile auch Erwachsene zu unterstützen, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind zur Schule zu kommen.

Naheliegenderweise ist meine  Arbeit im RBM daher auch in zwei Teile aufgeteilt. Montags und dienstags arbeite ich im mobilen Dienst und von Mittwoch bis Samstag in der Schule.

Mobiler Dienst:

In meinen ersten sechs Arbeitswochen bin ich oft mit Ibu Rumissing und Harry (ein Physiotherapeut aus Holland) Zu den Familien gefahren. Beide können gut Englisch und somit konnte mir, vor allem Harry, viel über die Arbeit mit den Kindern und Erwachsenen erzählen und die verschiedenen Übungen erläutern mit denen er den, größtenteils an Spastiken leidenden Kindern, hilft. Durch den mobilen Dienst bekomme ich  einen guten Einblick in das alltägliche Leben der Menschen in Indonesien, was sehr interessant, aber teilweise auch sehr herausfordernd für mich ist. Viele der Familien leben in Armut und können sich nicht immer die nötige gesundheitliche Versorgung für ihre Kinder leisten.

Mich beschäftigen diese Besuche sehr. Da ich aber nicht über alle Patient*innen ausführlich schreiben kann, werde ich mich auf zwei beschränken, die mir sehr deutlich in Erinnerung geblieben sind.

Zum einen die Geschichte von Aril. Einem 16-jährigen Jungen, der sich vor einem Jahr versehentlich eine heiße Öl-Lampe über den gesamten Körper gekippt hat. Er hat nun von den Schultern bis zu den Füßen Verbrennungen. Seit zwölf Monaten liegt er mit größten Teils offenen Brandwunden (ohne Bandagen) im Bett unter seiner Fließdecke. Er kann nicht mehr aufstehen, geschweige denn zur Schule gehen. An seiner Brust und seinen Beinen haben sich die Wunden bereits geschlossen. Jedoch wird er aufgrund dessen sehr wahrscheinlich nie wieder seine Beine ausstrecken können, da Aril immer nur mit angewinkelten Beinen gelegen hat. Dadurch ist das Narbengewebe dann auch so gewachsen. Für mich war an diesem Besuch vor allem herausfordernd, die offenen Wunden zu sehen, aber auch die Armut der Familie, die sich keine angemessene medizinische Versorgung leisten kann. Ein paar Wochen später sind die Ibus, Harry und eine Krankenschwester vom örtlichen Krankenhaus Elim noch einmal zu ihm gefahren und haben der Familie Verbandszeug, Salben und frische Bettlaken gebracht.

Zum andern die Geschichte von Faisal. Faisal ist mit 9 Jahren von einem Baum gefallen und kann sich seitdem vom Kopf abwärts nicht mehr bewegen. Seine Freunde haben sich von ihm abgewandt und seine eigene Familie vernachlässigt ihn. Er sitzt die meiste Zeit des Tages in seinem Rollstuhl am Fenster und schaut raus. So auch an dem Tag, an dem ich ihn das erste Mal besucht habe. Beim Betreten des Zimmers wurde mir sofort bewusst, dass hier etwas anders war als bei meinen anderen Hausbesuchen. Die Stimmung in dem Raum war so trostlos und ich habe zum ersten Mal richtig spüren können, was es bedeutet, wenn man sagt „einem wird das Herz schwer“. Faisal wurde seit mehreren Wochen nicht gewaschen oder umgezogen. Seine Haare waren staubig, sein Gesicht verkrustet und seine Fingernägel sehr lang und trotzdem hat er versucht mich anzulächeln. In seinen Händen hat Faisal einen Eisenstab gehalten, dessen anderes Ende in seinem T-shirt steckt. Harry hat mir erklärt, dass er diesen Stab benutzt um seine Tränen weg zu wischen. Das war irgendwie zusammen mit dem Vorwissen seiner Geschichte so erdrückend und ich kann und will mir gar nicht vorstellen, wie er sich fühlen muss. Ibu Rumissing und Harry haben dann in einem längeren Gespräch mit den Eltern versucht eine Lösung dafür zu finden, dass er öfters gewaschen wird. Aber die Familie wehrte die meisten Vorschläge ab. Bei mir blieb das Gefühl zurück, dass sie nicht wirklich an einer Lösung interessiert waren. Am Ende einigten wir uns darauf, dass wir uns auf die Suche nach einer Art Badewanne machen und wenn wir die gefunden haben, die Familie Faisal regelmäßig wäscht. Bis jetzt haben wir leider noch keine Badewanne gefunden und der Besuch liegt schon über einen Monat zurück.

Warum waren gerade die beiden Schicksale so belasten für mich? Auf der einen Seite, weil die beiden vor ihren Unfällen gesund gewesen sind. Sie kannten schon das andere Leben, konnten mit ihren Freund*innen spielen, rumlaufen, klettern, springen, einfach Kind sein und waren vor allem selbständig (so selbständig ein Kind oder Jugendlicher sein kann). Auf der andern Seite weil ich mich so hilflos gefühlt habe. Ich wollte so gerne einfach irgendwas für die beiden tun. Ich habe auch angeboten Faisal selbst zu waschen (auch wenn mir da schon bewusst war, dass das nicht funktionieren würde), Harry und Ibu Rumissing haben nur traurig gelacht und gesagt, dass eine langfristige Lösung gefunden werden müsse und ich erstens weiblich sei (was es schwierig macht einen Mann zu waschen, dem das obendrein wahrscheinlich auch sehr unangenehm gewesen wäre) und einmal waschen eben auch keine Lösung für das Problem darstelle. Auch wenn mir diese Tatsachen auch schon vorher bewusst gewesen sind, konnte ich einfach nicht gehen ohne irgendwie versucht zu haben etwas zu tun.

Ein weiterer Besuch an den ich mich sehr deutlich erinnern kann, ist der Besuch bei Padada und seiner Familie. Padada ist neun Jahre alt, hat Trisomie 21 und einen besonderen Tick: Er hat das Verlangen sich seine Augen aus dem Kopf zu holen. Daher muss er durchgehend beobachtet und davon abgehalten werden, sie tatsächlich raus zu holen. Als Ibu Rumissing mir das erzählt hat dachte ich, ich höre nicht richtig. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal, dass das möglich ist. Ich habe es zum Glück auch nicht mitansehen müssen, immer nur bis zu einem bestimmten Punkt, dann hab ich oder jemand anderes seine Hände beiseite gemacht.

Schule:

Die Schule befindet sich ca. 15 Minuten mit dem Motoroller von meinem zu Hause entfernt in Tangmentoe. Die ersten Tage bin ich zusammen mit teilweise 12 Kindern im Schulauto mitgefahren. Dabei habe ich gelernt, dass die „Unpünktlichkeit“ von der mir oft erzählt wurde bevor ich nach Indonesien gegangen bin, nicht unbedingt heißt, dass jemand zu spät kommt. Es kann auch bedeuten, dass plötzlich jemand zwanzig Minuten zu früh vor deiner Tür steht, du aber noch im Schlafanzug in deinem Zimmer stehst. Nach ungefähr zwei Wochen habe ich dann den Motoroller bekommen, den auch schon meine Vorfreiwilligen benutzen durften. Das Motorrollerfahren im Linksverkehr, gepaart mit meiner Rechts-Linksschwäche hat am Anfang eine besondere Herausforderung für mich dargestellt. Ein Glück hatte ich Harry, er hat sich geduldig Zeit für mich genommen. Er hat mir gezeigt, wie man einen Motorroller mit Gangschaltung fährt und hat anschließend die ersten Runden mit mir durch den Verkehr gedreht. Irgendwann hatte ich den Dreh dann zum Glück raus.

Im RBM angekommen fängt der Unterricht (wenn alles nach Plan läuft) um 9:00 Uhr mit einem Gebet an. Anschließend wird eine Bibelgeschichte erzählt die dann zusammengefasst an die Tafel geschrieben wird. Da die Kinder unterschiedliche Behinderungen haben und unterschiedlich alt sind, können nicht alle diese Zusammenfassung von der Tafel abschreiben. Manche lernen zum Beispiel die Zahlen von 1-5, oder die ersten Buchstaben des Alphabets aufzuschreiben. Da aber trotzdem alle Kinder zusammen in einem Raum lernen, ist es manchmal sehr trubelig. Am Anfang fiel es mir schwer meine Aufgabe zu finden, auch weil mein indonesisch zu Beginn noch nicht allzu gut war und die Kinder und viele der Lehrerinnen kein Englisch können. Mittlerweile kann ich sagen, dass es für mich keine geregelte Aufgabe gibt, mal helfe ich Efrat beim Aufschreiben der Zahlen, übe mit Grace das Aussprechen von Zahlen und Buchstaben, oder male Dewi kleine Bildchen in ihr Heft und buchstabiere ihr danach das dazu passende Wort. Es ist eine Arbeit bei der man sehr viel Geduld haben muss, da die Kinder das Gelernte schnell wieder vergessen. Aber vor ungefähr einer Woche hatte ich dann ein richtig großes Erfolgserlebnis: Efrat, der am Anfang meiner Zeit nur die Eins selbständig schreiben konnte und neu erlernte Zahlen sehr schnell wieder vergessen hat, kann jetzt alleine die Zahlen von 1-10 schreiben! Ich war so stolz auf ihn und hab mich unglaublich gefreut. Zwischenzeitlich hab ich manchmal daran gezweifelt eine Unterstützung für die Lehrerinnen zu sein ,aber Efrat hat mir gezeigt, dass ich durchaus eine kleine Stütze bin:)

Nach dem gemeinsamen Lernen gibt es eine kurze Pause, in der die Kinder draußen spielen können. Danach geht es in den Bastelraum, in welchem die Kinder mit Ibu Anna Ketten und Anhänger herstellen. Ibu Anna ist 40 Jahre alt und war aufgrund ihrer Gehörlosigkeit selber Schülerin im RBM und kann sehr gut Englisch. Sie hat mir schon ein paar Basiswörter der Gebärdensprache beigebracht. Nach dem Basteln wird zusammen gegessen und noch einmal gebetet. Und um 12:00 Uhr endet der Schultag für gewöhnlich. Vom „normalen“ Schulalltag wird abgewichen, wenn Besucher*innen kommen um sich das RBM anzuschauen und der Schule Geld oder Essen zu spenden. Diese Besuche sind für mich persönlich sehr herausfordernd. Am Ende jedes Besuches  wollen die meisten Gäste noch ein Foto mit mir machen, was eigentlich kein Problem für mich ist, aber die Besucher*innen (die größtenteils weiblich sind) ziehen und zerren dann gerne an mir. Einmal ging es so weit, dass eine Frau meinen Kopf von hinten gepackt hat, um zu bestimmen wo ich hingucken soll. Ich habe danach versucht zu verstehen, warum es mir mit dieser Situation so schlecht ging. Mir ist eine Übung eingefallen, die wir auf dem Vorbereitungsseminar der ems gemacht haben. Bei dieser Übung lernst du einzuschätzen, wie nah dir eine fremde Person kommen darf, ohne deine eigne physische Grenze zu übertreten. Und diese Frau hatte diese Grenze definitiv überschritten.

Auch der Freitag ist etwas anders als die restlichen Tage. Freitag ist Sporttag im RBM, dann heißt es Tanzen, Fuß- oder Federball spielen und Seilchenspringen.

Was mir besonders bei meiner Arbeit im RBM aufgefallen ist, ist dass die Kinder sich alle untereinander akzeptieren und respektieren. Natürlich gibt es manchmal kleine Auseinandersetzungen, aber niemand wird ausgeschlossen oder ähnliches, wie es ja in vielen anderen Schulen der Fall ist. Mittlerweile ist mein indonesisch auch schon besser und ich kann mich mit den Lehrerinnen gut verständigen und unternehme auch in meiner Freizeit Sachen mit ihnen: gehe mit auf Beerdigungen, werde zum Essen, Kaffee trinken und reden eingeladen.

Vielen Dank für eure Zeit und bis zum nächsten Mal:)

Sumpai jumpa

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Schülerinnen auf dem Schulhof beim Ballspiel (von links nach rechts: Risman, Linda und Dewi) (Foto:EMS/Berthold)
Schülerinnen auf dem Schulhof beim Ballspiel (von links nach rechts: Risman, Linda und Dewi) (Foto:EMS/Berthold)
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Efrat und ich beim gemeinsamen Lernen (Foto:EMS/Ibu Anna)
Efrat und ich beim gemeinsamen Lernen (Foto:EMS/Ibu Anna)

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