Weltweit erlebt
ÖFP

Weltweit erlebt

14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

info_outline
Das Hauptgebäude meiner Einsatzstelle. (Foto: EMS/Tschirsch)
Das Hauptgebäude meiner Einsatzstelle. (Foto: EMS/Tschirsch)
12. Dezember 2017

Die Zeit rennt

Vera

Vera

Indien
wirkt in einem Mädchenheim mit
zur Übersichtsseite

Mal so eben die Zeit seit meinem letzten Blog-Eintrag zusammen zu fassen, ist eigentlich unmöglich. Aber was ich sicher sagen kann ist, dass ich ne Menge über mich und die Menschen hier gelernt habe. Die letzten 2,5 Monate insgesamt gingen gefühlt schneller um als der September allein.

Durch die Routine bin ich selbstsicherer geworden und habe gelernt, vor allem den Kindern gegenüber auch mal zu sagen, wenn mir etwas nicht passt. Mit jedem vergangenem Tag fühle ich mich wohler und bin bereit mehr Verantwortung zu übernehmen. Inzwischen helfe ich den Mädchen regelmäßig beim Englisch-Lernen und meine Chefin nimmt immer häufiger meine Hilfe am PC und beim Papierkram in Anspruch. Arbeiten, die sie anfangs alleine gemacht hat, während ich las oder Malayalam lernte, hat sie mir erklärt. Und wir haben schon einige Tage damit verbracht, von morgens bis abends Rechnungen zu archivieren und alle Ein- und Ausgaben zu berechnen. So kann ich ihr Arbeit abnehmen, ich lerne etwas über Buchhaltung und wir haben Zeit uns zu unterhalten.

Seit Mitte November laufen hier auch schon die Weihnachts-Vorbereitungen. Die Mädchen des Student´s Home studieren mit Hilfe von DVDs und YouTube-Videos Tänze ein, die sie während des Weihnachts-Programms dann in der Kirche und hier im Heim präsentieren werden. Fast jeden Abend hole ich meinen Laptop aus meinem Zimmer und spiele für die Mädchen die Tanz-Videos ab. Meine Chefin machte mir das Angebot, dass ich ein Theaterstück mit den Kinder einstudieren könne. Dazu sagte ich natürlich nicht nein. Innerhalb von ein paar Tagen schrieb ich Szenen über Nächstenliebe und die Werte, die man an Weihnachten feiern sollte. Das Stück schrieb ich auf Englisch und meine Chefin übersetzt es momentan für die Mädchen.

Auch, wenn meine Malayalam-Kenntnisse noch nicht für das Schreiben eines Theaterstücks reichen, habe ich schon gute Fortschritte gemacht. Von einem Mädchen, das hier im Hostel wohnt, bekam ich Bücher auf Malayalam mit denen man Englisch lernen kann. Zum Glück funktioniert es auch andersherum. Deshalb konnte ich mir schon einiges über die eigentlich recht einfache Grammatik erschließen. Und durch das regelmäßige Beschäftigen mit der Sprache kann ich auch schon so gut wie alles lesen. Straßenschilder, Werbeplakate, Zeitungen und Songtexte kann ich zwar vorlesen, verstehen kann ich es aber nur selten. Das wird hoffentlich noch...

Kannur fühlt sich mittlerweile richtig wie mein Zuhause an. Nach etwas mehr als drei Monaten Eingewöhnung fühle ich mich nur noch selten fremd. Als ich letzte Woche mit meiner Schwester skypte, merkte ich schon, wie ungewohnt „westlich“ eingerichtete Häuser auf mich wirken. Sie zeigte mir das Haus, in dem sie momentan wohnt. Die verkleideten Glas-Fenster, die moderne Küche und die einfach weiß gestrichenen Wände sahen für mich nach unnötigem Luxus aus. Ich denke, man könnte die Lebensverhältnisse hier als „einfacher“ bezeichnen. Ich finde es aber ehrlicher gesagt eh cooler meine Wäsche mit der Hand zu waschen. Ich habe das Gefühl es geht schneller als mit der Waschmaschine und ich verbrauche weniger Strom und Wasser.

In den meisten Geschäften und Ämtern habe ich den Eindruck, dass viel weniger Wert auf äußerlichen Luxus gelegt wird. Das Post Office bei mir um die Ecke zum Beispiel ist recht klein. Auf engstem Raum werden alle Akten und Briefe gestapelt und der Schreibtisch ist voll mit lauter Kleinkram. Im Vergleich zum ersten Eindruck einer deutschen Post-Filiale könnte man es als chaotisch bezeichnen. Aber ich glaube, dass das 1. am Platzmangel und 2. daran liegt, dass auch mit einem chaotisch wirkendem System die Abläufe funktionieren und die Post ohne Probleme ankommt, egal ob das Post Office "modern" eingerichtet ist oder eben nicht.

Auch wenn die meisten Gebäude hier in Kannur auf den ersten Blick nicht sehr herausgeputzt aussehen, gilt für die meisten Menschen das Gegenteil. Das fällt mir vor allem in der Kirche und an Geburtstagsfeiern auf. Aber selbst, wenn nur etwas eingekauft werden muss, zieht sich meine Warden immer extra um, stylt ihre Haare und legt Schmuck an. In Deutschland gehe ich auch mal in Jogginghose und verwaschenem Pulli in den Supermarkt. Aber für die Mädchen und Frauen aus meiner Einsatzstelle ist es undenkbar, ohne Schmuck und in den Klamotten, die sie zuhause tragen, das Gelände zu verlassen. Die Mädchen nehmen sich morgens mindestens 15 Minuten Zeit, um sich die Haare für die Schule zu machen. Ich mit meiner nicht vorhandenen Haar-Routine bekomme dauernd Tipps von den Mädels was ich mit meinen Haaren machen soll. Vor allem wenn es sonntags zur Kirche geht nehmen sie mich selten mit, solange sie mir keine Flechtfrisur verpasst haben und mich an Ohrringe, Kette, Armband und Ring erinnert haben. :D Dann fühle ich mich aber meistens eher verkleidet und nicht wie ich selbst. Wenn ich also mal keine Lust habe, auszusehen wie eine aufgestylte Version von mir, erkläre ich es ihnen und es wird mit leichter Enttäuschung akzeptiert. Nicht zuletzt deshalb, weil wir uns alle hier in letzter Zeit besser kennen lernen konnte und ich viel von meinem Leben in Deutschland erzählen konnte.

In den letzten zwei Monaten hatte ich Zeit, die Menschen und Orte besser kennen zu lernen. Mit den Kindern ist es viel entspannter und lustiger geworden, einfach weil ich mich mit Hilfe von einer Mischung aus Malayalam und Englisch besser ausdrücken kann. Ich habe festgestellt, dass es alles einfacher macht, wenn ich vieles mit Humor nehme und nicht zu viel von mir selbst erwarte. Missverständnisse kommen sowieso auf und das Beste, was man dann machen kann, ist lachen. Ich habe das Gefühl, dass ich jeden Tag von ganz alleine etwas dazu lerne. Und deshalb geht die Zeit auch so schnell um.

Ich kann zwar nur erahnen, wie ich die nächsten Monate erleben werde, aber ich habe das Gefühl, dass die Zeit noch schneller vergehen wird: In einer Woche wird hier Weihnachten gefeiert, in 14 Tagen treffe ich mich mit den anderen Freiwilligen für neun Tage in Goa. Und dann bin ich bloß zwei Wochen zurück bis es zum Zwischenseminar geht. Dann werden schon fünf Monate um sein! Und auch in der zweiten Hälfte ist einiges geplant: Nele und Leah wollen mich im Februar besuchen und ab Mitte April hab ich 1,5 Monate lang Sommerferien, während denen ich wieder reisen und die anderen Einsatzstellen besuchen möchte. Ja, und dann ist auch schon Anfang Juni und ich werde darüber nachdenken müssen meinen Rucksack zu packen. Klar ist das nur ein Schnelldurchlauf der nächsten 6,5 Monate, aber mit dieser Aussicht kann ich mir nicht vorstellen, dass die Zeit hier langsam vergehen wird. :D

Deshalb habe ich gelernt, jede Stunde in Indien zu genießen und aus allem das Beste zu machen.

info_outline
Das Post Office. (Foto: EMS/Tschirsch)
Das Post Office. (Foto: EMS/Tschirsch)
info_outline
Die Waschstelle vor meinem Zimmer. (Foto: EMS/Tschirsch)
Die Waschstelle vor meinem Zimmer. (Foto: EMS/Tschirsch)