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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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In Trichy gingen wir unter anderem für Gerechtigkeit für alle auf die Straße (Foto: EMS/Erstling)
In Trichy gingen wir unter anderem für Gerechtigkeit für alle auf die Straße (Foto: EMS/Erstling)
17. Juni 2020

Unsere veraltete Vorstellung von Gender

Valérie

Valérie

Indien
unterstützt ein Mädchenheim
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Als wir Indien-Freiwillige im Oktober in Trichy beim CSI Youth Festival dabei waren, fand eine Veranstaltung statt, bei der Teilnehmer Fragen an berühmte Persönlichkeiten oder Aktivisten stellen konnten. Unter den Aktivisten war auch eine Transgender Frau, die sich für Rechte von Transgender Menschen einsetzt und gegen die marginalisierte Position ankämpft. Vor kurzem stieß ich auf non-binary Autor und Künstler  Alok Vaid- Menom, die mit indisch stämmigen Eltern in Texas aufgewachsen sind. Als ich mich mehr mit ihrer Arbeit beschäftigte, konnte ich einige meiner Fragen über Gender in Indien beantworten. 

Heutzutage gehen die meisten Menschen davon aus, dass es zwei Geschlechter gibt, männlich und weiblich. Diese Einordnung war aber nicht immer so oder jedenfalls nicht überall. Viele nicht-europäische Kulturen hatten in pre kolonialistischer Zeit eigene Definitionen von Gender und auch mehr als die als üblich geltenden zwei Geschlechter. In indigenen Gesellschaften Nordamerikas war das Geschlecht unabhängig von physischen Merkmalen. Geschlecht ist, auch wenn sich viele damit schwer tun, ein soziales Konstrukt. Und auch in Indien bestand lange ein Zusammenleben von mehr als zwei Geschlechtern. 

In frühen hinduistischen Texten werden Hijras tragende Rollen in der Gemeinschaft zugesprochen. Sie galten als wichtiges Bindungsglied zwischen Menschen und Göttern. Als Hijras werden transgender Frauen bezeichnet, die durch eine rituelle Aufnahme von monate- bis jahrelanger Dauer in die Gemeinschaft der Hijras aufgenommen werden. Nur dann können sie beispielsweise Segnungen übernehmen. Nicht alle transgender Frauen sind Hijras doch ihre Geschichte entstand in Indien aus der Geschichte der Hijras heraus.

Im 16. bis 18. Jahrhundert, als der größte Teil Indiens unter muslimischer Besatzung stand, wurden Hijras hohe Stellungen in der Gesellschaft wie beispielsweise Richter oder Politiker zugesprochen. Als jedoch die Briten nach Indien kamen und es kolonialisierten, wurden Hijras nicht mehr verehrt sondern kriminalisiert und als Gefahr für Moral angesehen. Menschen die dem binären Geschlechtersystem der Kolonialmacht nicht entsprachen wurden für ihr Sein bestraft. 

Und das nur weil sie die Geschlechternormen der Briten in Frage stellten. Nachdem Hijras als illegal erklärt wurden begann ihre Position an den Rand der Gesellschaft zu rücken. Seit dem 19. Jahrhundert mussten Hijras und andere non-binary oder transgender Menschen im Untergrund leben und bis heute leben die meisten ein kurzes, schweres Leben. Oft sind sie Prostitution und Obdachlosigkeit ausgesetzt und werden in der Gesellschaft weitgehend belächelt wenn nicht sogar verachtet. Sie sind verstärkt sexueller Belästigung ausgesetzt und können trotz der Anerkennung im Gesetz, wenig gegen ihre marginalisierte Rolle tun. 

In vielen Gesprächen habe ich die uninformierte Meinung vertreten die westlichen Länder seien in Akzeptanz weiterer Geschlechter anderen Ländern voraus. Doch wenn man genauer hinsieht merkt man, dass die Kulturen, die vor der Kolonialisierung bestanden, weit offener dachten als wir. Natürlich sind wir alle noch weit davon entfernt frei von Transphobie zu existieren. Aber es hilft sich mit der Geschichte auseinander zu setzen und zu verstehen, dass Transgender nicht erst vor kurzem aufgetaucht sind, sondern dass sie schon immer mit uns gelebt haben. Die Angst entsteht durch das Nicht-Wissen, durch das Fremdsein. Nur wenn wir selbst die Initiative ergreifen zu lernen und uns zu informieren können wir ausgegrenzte Gruppen in unsere Gesellschaft integrieren. Oder unsere Gesellschaft an diese Gruppen anpassen.

 


Quellen:

https://www.sapiens.org/body/hijra-india-third-gender/

https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/geschlechtliche-vielfalt-trans/245271/kulturelle-alternativen-zur-zweigeschlechterordnung

https://theculturetrip.com/asia/india/articles/a-brief-history-of-hijra-indias-third-gender/

Alok Vaid-Menom: https://www.alokvmenon.com/writing

https://www.alokvmenon.com/blog/2019/7/5/non-binary-isnt-new