Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)
Ein undefinierbares Kopfschütteln
Kulturelle Unterschiede
In dem Bundesstaat, in dem ich lebe, sprechen die Menschen Telugu. Es ist eine ziemlich lustige Sprache. Ich bin dabei, sie zu lernen. Trotzdem ist die Kommunikation, vor allem mit den Kindern, für mich noch etwas eingeschränkt. Am Anfang, als ich mich fast nur auf ein paar Brocken Englisch und meine Körpersprache verlassen konnte, merkte ich, dass selbst die Körpersprache nicht immer eindeutig ist und Gesten teilweise eine andere Bedeutung haben als in Deutschland. Das zeigt eine kleine Szene gleich nach der Landung in Chennai am 2. September: Wir stehen irgendwie erleichtert und sehr erschöpft in der Warteschlange vor der Passkontrolle. Da kommt ein Wachmann mit grimmigem Gesicht auf mich zu und fragt mich nach meinen Papieren. Er prüft meinen Reisepass und mein Visum ganz genau, schaut mich an, macht ein ausdrucksloses “mhh“ und schüttelt seinen Kopf. Ich vermute gleich das Schlimmste und bekomme schon leichte Panik. Der Wachmann geht allerdings einfach weiter.
Das war mein erstes kleines Missverhältnis hier aufgrund der anderen Körpersprache. Der Mann wollte mir mit seinem undefinierbaren Kopfschütteln nur sagen, dass alles in Ordnung ist. Diese Kopfbewegung bedeutet hier "Ja" oder "Okay". Auch später in meiner Einsatzstelle war ich noch etwas verwirrt von den indischen Gesten. Die Menschen winken hier auch so anders mit der Hand, wenn sie wollen, dass jemand herkommt. Auf den ersten Blick sieht es eher so aus, als wollten sie die andere Person verscheuchen und nicht herbestellen. Schon nach zwei oder drei Wochen erwischte ich mich allerdings bereits dabei, wie ich meinen Kopf hin und her schwenkte und anstatt mit “yes“ mit einem ausdruckslosem “mmh“ antwortete. Mittlerweile, nach zwei Monaten, ist es ein Reflex geworden, den ich mir nach 10 Monaten in Indien nach meiner Rückkehr nach Deutschland erst einmal wieder abtrainieren muss. Wie ich mich an die andere Körpersprache gewöhnt habe, so habe ich mich hier auch sonst ziemlich gut eingelebt. Seit ich es durchgesetzt habe, nicht immer einen Stuhl hinterhergetragen zu bekommen und ich mit den Kindern auf dem Boden sitze, bin ich für die Menschen um mich herum jetzt fast eine richtige Inderin. Auch deshalb, weil sie bemerkt haben und es faszinierend finden, dass sich meine Hautfarbe (eigentlich nur an den Füßen) durch die Sonne immer mehr an ihre angleicht.
Besonders am Anfang war es sehr schwierig für mich, die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse zu verstehen. Letzte Woche fand hier eine riesige Hochzeit statt. Aus diesem Anlass kamen mich Janina und Paula in Khammam besuchen. Die ganzen Traditionen bei der Hochzeit habe ich noch nicht gut genug durchschaut, um davon zu berichten. Wir haben Stunden damit verbracht, zu rätseln, wie die Familienkonstellation der Brautfamilie ist, wer zu wem gehört und wer mit wem verwandt ist. Dies wurde uns durch die Antworten der Leute auf unsere Fragen sehr erschwert: Egal ob angeheiratet, Cousin oder Cousine – für die Inder sind alle "Schwestern" oder "Brüder". Nichten, Neffen oder anders Verwandte werden einfach als "Tochter" oder "Sohn" betitelt. Bis wir das verstanden hatten, hat es eine Weile gedauert. Alle Onkel sind "Väter" und die Tanten sind "Mütter". Die Familienhierarchie ist hier immer zu spüren. Daher war auch bei der Hochzeit nicht etwa der Brautvater die dominanteste und am meisten präsente Person, sondern der ältere Bruder des Vaters, das Oberhaupt der Familie. Ich finde es ziemlich interessant zu sehen, wie hierarchische Unterschiede schon bei den Kindern zu erkennen sind. Letztens sah ich ein Mädchen aus dem Hostel, das offensichtlich mehr zu sagen hatte als die anderen. Es kommandierte die anderen herum. Als dann aber ein anderes dazu stieß, das wohl in der Rangordnung über ihr steht, wurde das erste Mädchen ganz ruhig und sagte gar nichts mehr. So zieht sich die Hierarchie sogar durch das Leben im Hostel und macht die starken gesellschaftlichen Unterschiede spürbar.
Ich hoffe ich konnte einen kleinen Einblick in die kulturellen Unterschiede im Vergleich zu unserem europäischen Leben geben. Wobei ich an dieser Stelle noch lange weiterschreiben könnte, weil es so vieles verblüffendes Neues für mich gibt. Letztens bin ich durch die Stadt gefahren. Plötzlich stand ein Mann mit einem Fahrrad neben mir. Auf seinem Gepäckträger saß angeleint ein Affe. Keiner hat ihn komisch angeschaut. Jeder macht hier irgendwie seinen Kram. Das finde ich sehr cool.