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Selfi (Foto: EMS/Plischke)
Selfi (Foto: EMS/Plischke)
07. November 2022

Mein Alltag im Centre

Merle-Sophie

Merle-Sophie

Indien
Frauenzentrum
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Ein lautes Klingeln zerreißt die Stille und beendet den Schlaf der Bewohner des Woman Workersˋ Training Centre. Die Nacht wärt noch an, die Luft ist kühl und frisch. Die Kirchenglocken haben in ihrem allmorgendlichen Eifer auch mich geweckt. Noch mit Augen zu und im Halbschlaf schlurfe ich zum Schalter, der meinen Deckenventilator aufweckt, wodurch ein lautes Brummen den Raum erfüllt. Ich schlüpfe wieder unter mein Moskitonetz und suche im Bett nach meinen Oropax. Die Kirchenmusik, welche für die nächste Halbestunde durch die Lautsprecher des Kirchturms erklingen wird ist nun nur noch ein fernes Schallern im Hintergrund, übertönt vom Brummen meines Ventilators.

Ich schlafe seelig wieder ein mit der großen Hoffnung nicht bei jedem Anbrechen der neuen Stunde erneut aus dem Schlaf gerissen zu werden. Es ist 5 Uhr und die restlichen Bewohner des Centres beginnen mit ihrem Tag. Ich verschiebe meinen Tagesstart lieber noch 3 Stunden nach hinten, sodass ich mehr oder weniger pünktlich zur Frühstückszeit um 8.30 Uhr auf der Matte stehe. Um diese Uhrzeit steht die Sonne schon hoch am Himmel und das klackern der Schreibmaschinen sowie betriebsames Wuseln erfüllt die Luft. Die Mädchen machen sich bald auf in die Schule, für die Trainees beginnt die erste Unterrichtstunde und der erste Typwritingkurs hat schon begonnen.

Von dem langen flurartigen Balkon im 2. Stock, auf dem sich neben 2 weiteren Zimmern auch mein Zimmer befindet, hat man einen wunderschönen Blick auf den Innenhof, der mit hohen Bäumen sowie vielen kleinen Büschen und Sätzlingen bepflanzt ist. Die sich daran anschließenden bedachten Terassen grenzen sich mit parallel stehenden Säulen, welche durch Rundbögen miteinander verbunden werden, von dem Grün im Innenhof ab. Zur Abendszeit und am frühen Morgen nutzen die Mädchen sie um dort zu lernen. Unter meinem Zimmer befindet sich die Küche und der Essensraum für alle Staff-Mitglieder. Des weiteren beinhaltet das Centre zusätzlich zu dem Typewriting Raum und den 3 Gästezimmern noch 2 weitere Klassenräume, sowie einen Prayer/Musik Raum, ein  Essensraum für die Trainees, 2 Bürozimmer sowie ein Zimmer von der Leiterin des Centres, einen Computerraum und ein kleinen Raum mit Sofas der als Empfangsraum genutzt wird.

In der Nacht schlafen alle Staff-Mitglieder und Trainees innerhalb des Centres aufgeteilt auf diese Räume. Ihr persönlichen Besitz befindet sich in Räumen, in einem weiteren Gebäude mit zusätzlichen Waschgelegenheiten gegenüber vom Centre. Die Nähstube sowie ein Spielplatz schließen sich diesen Räumen an. Das Mädchenheim Magilchi Illam (übersetzt: happy home) befindet sich ebenfalls 100 Schritte vom Centre entfernt. Angeordnet sind diese Gebäude rund um eine große weiße Kirche mit Kirchturm, welche allstündlich die Uhrzeit angibt sowie einen Bibelvers in Tamil und Englisch zum Besten gibt. Auch der Gottesdienst wird über Lautsprecher übertragen und an manchen Morgen- und Nachmittagsstunden werden tamilische Kirchenlieder abgespielt.

Ab 8.30 Uhr trudeln nach und nach die Staff-Mitglieder zum frühstücken ein. Sr. Kasturi ist die Leiterin des Centres und wird von 2 weiteren Schwestern unterstützt. Sie gehören zur Order of Sisters der Church of South India. Des Weiteren wohnen 3 weitere Mitarbeiter im Centre sowie 2 Köche. Täglich kommen jeweils 7 zusätzliche Mitarbeiter zum Centre um dort zu unterrrichten, im Büro zu helfen, Erledigungen zu machen oder Nachhilfe zu geben.

Auch wenn mein Alltag relativ strukturiert und immer mehr nach einem klarem Prinzip verläuft, ist jeder Tag unterschiedlich. Täglich passiert etwas Neues, was ich zuvor noch nie gemacht hatte. Nach dem Frühstück gehe ich zumeist  begleitet von Sr. Susthanthirakani zum Kindergarten auf die Farm. Die Farm ist ein großes Gelände auf dem das Centre eigenes Gemüse, Obst und Kräuter anpflanzt und ca. 5 Min zu Fuß entfernt liegt vom Centre. In einem der Gebäude mit Spielplatz  befindet sich der Kindergarten in dem täglich bis zu 9 Kinder im Alter von 2-4 Jahren ihren Vormittag verbringen. Geleitet wird der Kindergarten seit 7 Jahren von Madi.  

Am Anfang waren die Kinder noch verschreckt von meinem anderen Aussehen und haben sich mir gegenüber sehr schüchtern verhalten. Durch regelmäßiges Besuchen haben sie sich an mich gewöhnt und mittlerweile begrüßen sie mich und Sr. Sustanthirakani freudig wenn wir gegen 11 Uhr zur Tür hereinkommen. Die Zeit zwischen Frühstück und dem Aufbrechen nutze ich meist um für mich in meinem Zimmer rum zu wuseln, Wäsche zu waschen oder den Trainees Englische Songs beizubringen. Im Kindergarten sitzen wir zusammen im Kreis lernen tamilische Reime oder singen Songs, die Sr. Sustanhirakani uns beibringt. Dies hat sich als eine gute Möglichkeit  für mich erwiesen um  Tamil zu lernen.

Versuche den Kindern Spiele beizubringen sind bisjetzt kläglich gescheitert, denn sobald einer seinen Platz verlassen sollte und wegrennen oder fangen sollte, sind alle Anderen quitschend hinter her gerannt. Wir lernen das Englische Alphabet, die Wochentage, Monate und Zahlen. Die Kinder lernen sie in Englisch und ich in Tamil. Wenn uns das alles zu viel geworden ist rennen wir herum, machen Blödsinn und spielen mit Bällen oder malen. Um 12 Uhr gibt es Mittagessen, dafür setzen sich die Kinder draußen nebeneinander in den Schneidersitz und essen in friedlicher Ruhe den Reis und die unterschiedlichsten Soßen, die ihnen in Metalltupperdosen mitgegeben werden. Vergessen sind die Tränen, kleinen Streitereien und das Vermissen von Amma (übersetzt Mama). Ihnen dabei zu zusehen macht mir immer sehr großen Spaß.

Nach dem Essen schlafen die Kinder und wir machen uns auf den Weg nach Hause um selber unser Mittagessen einzunehmen. Meistens machen wir noch einen kurzen Stopp bei den Patties, die auf dem Gelände der Farm im Schatten eines großen Baumes sitzen und Tee trinken. Wir sitzen bei ihnen hören ihnen zu und singen Lieder. Bei Unterhaltungen bin ich sehr auf Suthanthirakani angewiesen, die für mich übersetzen muss. Mit ihnen fällt es mir deutlich schwerer zu kommunizieren als mit den Kindern, die Tamil selber auch nur bruchstückhaft sprechen. Mit unserem Regenschirm bewaffnet, der uns gegen die starke Mittagssonne schützt machen wir uns weiter. Zurück im Centre werden wir von den Hunden Joyl oder Nellson (2 Namen) und Brownie sowie freundlichem Schreibmaschinengeklapper begrüßt. Von Früh bis spät gibt es im Centre Typingkurse in denen junge Frauen das 10-Finger schreiben lernen können. Das Centre bietet zudem noch Näh- und Computerkurse an und seit Neustem auch einen Short-Hand-Kurs. Die Frauen kommen aus dem Dorf und der Umgebung täglich bis wöchentlich zum Centre um diese Kurse zu besuchen. 4 Mädchen im Alter von 18-22 Jahre machen eine Ausbildung in all diesen Bereichen und nehmen zusätzlich noch Biebelunterricht. Für ihre Ausbildung, Unterkunft und Verpflegung zahlt das Centre. Sie werden Trainees genannt. Desweiteren beherbergt das Centre noch 3 weitere Mädchen, die auf das benachbarte College gehen.

Mittagessen gibt es um 1 Uhr. Danach habe ich Zeit für mich, die ich meistens mit Wäsche waschen (wenn nicht schon vormittags getan), zeichnen, lesen, Musik oder Podcast hören verbringe. Besonders ist es immer, wenn ich mit einer weiteren Person ins Dorf gehen kann um mir Obst und Snacks oder was ich gerade brauche zu besorgen. Abwechselnd aber auch jenachdem wie es mir passt kann ich ab 3 Uhr mit Sr. Chellakani Tamil lernen oder bei dem Näh und Stickunterricht der Trainees mitmachen.  

Ab 16.30 kommen die Mädchen von der Schule. Die Zeit zwischen Schule und studying verbringen wir gemeinsam mit Ball-, Bewegungs- und Klatschspielen. Beim Tee um 17.00Uhr wird gequatscht und herum gealbert. Danach beginnt für die Mädchen die Study-Time in der sie Hausaufgaben machen und für Tests lernen. Seit meiner Ankunft bedeutet das auch für die Klassen 5-9 jeweils 20 Min Englisch-Reading Practise mit mir. Manchen Mädchen fällt das besonders schwer, da sie für Englisch ganz andere Buchstaben und eine völlig neue Aussprache lernen müssen. Aber auch ich stoße schnell an meine Grenzen und merke oft, dass  meine Englischsprachkentnisse durchaus noch verbesserungsbedürftig sind.

Was mir besonders schwer fällt ist der Umgang mit den Mädchen, wenn ich merke, dass sie mich gerade mehr als eine Freundin mit der man herum albern kann wahrnehmen und nicht als eine Respektperson mit der man das Englisch lesen üben soll. Ich kann persönlich sehr gut nachvollziehen, dass man nach 7 Stunden Schule nicht direkt wieder lernen und Hausaufgaben machen möchte aber dann gar kein Englisch zu machen scheint mir auch nicht die richtige Lösung. Ich bin aber zuversichtlich, dass je mehr Erfahrung ich bekomme, desto besser kann ich mich durchsetzten aber vlt auch erkennen, wenn wir mal eine Pause machen. Die Study-Time geht bis 8 Uhr danach gibt es Abendessen. Für die Mädchen gibt es noch ein abendliches Singen und Beten. Wenn ich nicht zu müde bin gehe ich nach ihrem Programm nochmal rüber um mit ihnen gemeinsam Zähne zu putzen, was eigentlich immer ein sehr schöner Abschluss für den Tag ist.

Angekommen im Centre bin ich vor beinahe 4 Wochen aus Chennai, wo ich mit 4 weiteren Freiwilligen ein 2 ½  tägiges Seminar mit Presentationen über indische Gesellschaft und Aufbau der CSI sowie Ausflügen in Chennai erleben durfte. Geleitet wurde das Seminar von Rev. John Nischal, dessen Familie uns auch auf den Ausflügen begleitet hat. Gemeinsam sind wir am Flughafen gestartet und haben unsere ersten Eindrücke gesammelt und konnten uns darüber austauschen und reflektieren. Was für mich besonders in den ersten Tagen super wichtig war um den ersten Grundstein des Ankommens zu legen auf den man dann alleine gut aufbauen konnte. Am Freitag wurden wir alle von unseren Mentoren und Mentorinnen abgeholt und musstens uns somit schon viel zu früh wie ich fand (2 Abschiede pro Woche sind eindeutig zu viel) wieder trennen.

Durch die Aufregung kam mir die 12 stündige Busfahrt höchstens vor wie 6 Stunden. Am nächsten Tag um 7 Uhr waren wir schon da und ich wurde mit einem Lied und Frühstück begrüßt. Nach einem sehr frühen Mittagsschlaf hatte ich Zeit um die Mädchen kennezulernen bei denen ich mich direkt sehr wohl gefühlt hatte. Da in den ersten Tagen meiner Ankunft Ferien waren, war nur eine handvoll Trainees und Mädchen im Centre. Mit den nächsten Tagen und Wochen sollte ich dann den Alltag kennen lernen sowie viele neue Menschen.

Kasthurie und Ich haben viel Zeit im Büro für meine Registrierung (ähnlich aufwendig wie ein Visumsantrag) verbracht, die bis heute auch noch nicht abgeschlossen ist. Die erste Woche flog nur so an mir vorbei und auch die darrauf folgenden Wochen sind gensauso schnell gekommen und gegangen und ehe ich mich versah war der erste Monat rum und mein Berricht für den Blog über meine ersten Eindrücke war fällig.

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Mittagspause im Kindergarten (Foto: EMS/Plischke)
Mittagspause im Kindergarten (Foto: EMS/Plischke)
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Innenhof des Centers (Foto: EMS/Plischke)
Innenhof des Centers (Foto: EMS/Plischke)

Kommentare

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Anna 10. November 2022 Deutschland
Das ist ein wunderschöner Bericht danke das du das mit uns geteilt hast!
Alexandra Koukal 10. November 2022 Deutschland
Hallo Merle, dein Bericht ist mega interessant. Wir freuen uns sehr, von dir zu hören. Hab eine tolle Zeit und pass auf dich auf! Lg aus Kassel