Weltweit erlebt
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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Indische Frauen, die momentan eine Ausbildung zur Schneiderin und Mehndi-Artistin machen (Foto: EMS/Mayer)
Indische Frauen, die momentan eine Ausbildung zur Schneiderin und Mehndi-Artistin machen (Foto: EMS/Mayer)
27. Februar 2019

Vorurteile und wie ich sie erlebe

Lea

Lea

Indien
unterstützt ein Heim für Kinder mit geistiger Behinderung
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Vorurteile über andere Länder und Menschen sind weit verbreitet. Ich habe Freunde und Bekannte in Deutschland gefragt, was sie mit dem Land Indien und mit Inder*innen verbinden.  Einige ihrer Gedanken habe ich zusammengefasst und möchte davon berichten, wie ich den Alltag in meiner Umgebung mit meinen bisherigen Erfahrungen erlebe.

„Inder haben einen Punkt auf der Stirn oder Farbe im Gesicht“ 

Der Punkt, der auf der Stirn zwischen den Augenbrauen aufgemalt oder aufgeklebt wird, heißt „Bindi“. Ursprünglich wird diese Stelle im Hinduismus als das „dritte Auge“ betrachtet. Dort soll besonders viel Energie fließen. Traditionell tragen nur Hindufrauen, die verheiratet sind, den Bindi, da er die Ehe schützen soll. Ich sehe jedoch auch viele junge unverheiratete Frauen und Kinder mit einem Bindi. In meiner Einsatzstelle tragen manche Christ*innen ebenfalls einen Bindi. Man erzählte mir, dass der Bindi mittlerweile zu einem modischen Accessoire und Schönheitsideal geworden ist. Haben Männer und Jungen einen Punkt auf der Stirn, so wird er als „Tilaka“ bezeichnet - ein allgemeines Segenszeichen.

Hinduistische Männer und Jungen kann man oft an Strichen aus weißem Pulver auf ihrer Stirn erkennen. Auch hinduistische Lehrer und Jungen, die bei uns arbeiten oder zur Schule gehen, tragen nicht nur den Bindi sondern diese Striche, die zeigen, welche der hinduistischen Götter sie verehren. Tragen sie beispielsweise drei waagerechte Streifen, verehren sie den Gott Shiva. Außerdem erzählte man mir, dass manche Hindus mit ihrer Stirnbemalung zeigen, welcher Kaste sie angehören.

„Indien ist dreckig“

Wahrscheinlich sind große Müllberge ein Bild von Indien, das viele Menschen haben. Leider kann ich bestätigen, dass viele Orte, die ich bisher besichtigt habe, nicht sauber waren. Oft liegt Plastik und anderer Müll am Straßenrand. Teilweise stehen Kühe oder Straßenhunde, die auf Nahrungssuche sind, auf diesen Müllbergen - leider eine traurige Wahrheit. Auch bei mir im Heim und in der Schule lassen sowohl die Kinder als auch die Mitarbeiter*innen ihren Müll einfach auf den Boden fallen. Mir ist aufgefallen, dass es in Städten und Dörfern kaum und teilweise gar keine Mülleimer gibt. Auch in den Zügen findet man sie kaum. Wenn doch, wird dieser an einem Bahnhof auf den Gleisen entleert, weshalb viele Menschen ihren Müll einfach selbst aus dem Zugfenster werfen. Ich muss gestehen, dass auch ich schon Müll auf den Boden geworfen habe, da sich kein Mülleimer auffinden ließ. Das dreckige Eispapier wollte ich nicht in meine Tasche packen, da ich keine extra Tüte hatte, und ich wollte den Müll nicht noch weitere Stunden in der Hand tragen.

Jedoch ist das nur die eine Seite Indiens. Bisher habe ich auch einige saubere grüne Orte, an denen kein Müll auf den Straßen und in der Natur liegt, gesehen. Vor allem die Häuser und Wohnungen der Menschen sind immer sehr sauber und werden oft geputzt. In unserem Heim und in den Schulzimmern wird beispielsweise täglich morgens vor dem Frühstück gekehrt und gewischt.

„Als Frau lebt man gefährlich in Indien“

Manche Menschen denken bei „Frauen in Indien“ an deren Unterdrückung, daran, dass sie häufig Opfer von Gewalt und Missbrauch sind und weibliche Föten abgetrieben werden. In unseren Nachrichten und Medien lesen wir oft von Vergewaltigungen indischer Frauen. Dazu kann ich aus meinen Erfahrungen nichts sagen, damit wurde ich bisher nie konfrontiert.

Ich erlebe, dass trotz der gesetzlichen Gleichstellung häufig der Mann das Sagen hat. Beim Essen bedient stets die Frau die Gäste, ihren Mann und ihre Kinder. Erst nachdem alle gegessen haben, isst sie selbst. Außerdem sehe ich, dass Entscheidungen, die die Familie betreffen, meist von dem Mann getroffen werden. Eine Frau wird für ihre Hochzeit von ihrer Familie mit teurem Schmuck, meist Gold, ausgestattet. Zuvor wird über diese Mitgift diskutiert: wie viel die Familie des Bräutigams erwartet und wie viel die Familie der Braut geben möchte oder kann.                                          

Ich erlebe jedoch auch, dass Frauen ihren Männern gleichgestellt sind, dass sie Freiheiten und ein eigenes Entscheidungsrecht haben. Projekte der CSI sollen die Rechte indischer Frauen stärken und setzen sich für Gleichberechtigung ein.

Nun aber dazu, ob es als Frau in Indien gefährlich ist. Fühlst du dich manchmal unwohl? Kannst du alleine auf die Straße? Ist es gefährlich dort? Das sind Fragen, die ich schon häufiger gestellt bekommen habe. Kurz und knapp kann ich dazu sagen: Nein, ich habe mich hier noch nie unwohl gefühlt und es ist nicht gefährlich. Natürlich sind meine Vorgesetzten, die für mich verantwortlich sind, stets sehr vorsichtig, trotzdem kann ich alleine auf die Straße oder in die Stadt gehen. Ich fahre alleine Bus oder Rikscha und war auch schon öfters alleine über Nacht mit dem Zug unterwegs. Dabei habe ich mich noch nie unwohl gefühlt. Abends, wenn es dunkel wird, darf ich nicht mehr alleine auf die Straßen, da sich das als Frau hier nicht gehört. Auch in Deutschland ist man besser nachts nicht alleine unterwegs und vorsichtig. Man kann sich hier also problemlos sehr gut alleine fortbewegen, da man immer auf nette hilfsbereite Menschen trifft.

„Es gibt viel Armut“

Dies ist leider eine traurige Tatsache. Deshalb möchte ich euch beschreiben, wie ich Armut hier in Indien bisher erlebt habe. Ein Slum habe ich noch nicht gesehen, trotzdem sehe ich täglich Menschen, die auf der Straße leben, betteln und um ihre Existenz kämpfen.

Auch in meiner Einsatzstelle erlebe ich viel Armut. Oft kommen die Kinder meiner Einsatzstelle aus sehr armen Familien, die nur sehr wenig Geld haben und sich nicht um ihre Kinder kümmern können. Durch das wenige Geld, das ihnen zur Verfügung steht, können sie ihre Kinder nicht in eine andere Schule schicken und ausreichend medizinisch versorgen. Da sie sehr viel arbeiten müssen haben sie keine Zeit für ihre Kinder. Meist sieht man den Kindern und Familien ihre Armut nicht an. Die Erwachsenen sind immer gut gekleidet und besitzen oft auch ein Smartphone. Die Kinder hingegen bekommen doch häufig alte Klamotten mit Löchern oder Schuhe, die überhaupt nicht passen.

Außerdem erlebe ich Armut auch bei den Mitarbeiter*innen meiner Einsatzstelle. Sie haben teilweise große Geldprobleme, was jedoch nicht offensichtlich ist. Durch Gespräche wurde mir dies immer bewusster. Die Mitarbeiter*innen haben einen sehr geringen Lohn, der gerade so zum Leben reicht. Sobald jedoch zusätzliche Kosten entstehen, haben sie ein großes Problem. Sie können sich keine zusätzlichen Dinge außer den notwendigen leisten und müssen ihr Geld gut einteilen. Vor Weihnachten habe ich eine Mitarbeiterin und ihre vierköpfige Familie zuhause besucht und war doch sehr erschrocken, dass sie zu viert in einer wirklich sehr kleinen Hütte leben, die genau zwei Räume hat. Ein Schlafraum, in dem auf dem Boden geschlafen wird, und eine kleine Küche. Ein Badezimmer gibt es nicht, alles wird draußen im Freien erledigt. Sie sind jedoch froh, ein Dach über dem Kopf zu haben.

„Das indische Essen ist scharf und wird mit vielen Gewürzen zubereitet"
„Inder essen nur Reis"                            

Ob ich wirklich jeden Tag nur Reis esse und das Essen hier scharf ist? Das erfahrt ihr in einem separaten Blogeintrag.

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Die traditionelle hinduistische Stirnbemalung und der Bindi (Foto: EMS/ Mayer)
Die traditionelle hinduistische Stirnbemalung und der Bindi (Foto: EMS/ Mayer)
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Gegensätze in Bangalore: Ein Müllberg und saubere Natur (Foto: EMS/ Mayer)
Gegensätze in Bangalore: Ein Müllberg und saubere Natur (Foto: EMS/ Mayer)