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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Morning prayer im Schulhof (Foto: EMS/Mayer)
Morning prayer im Schulhof (Foto: EMS/Mayer)
19. Dezember 2018

Mein neues Zuhause

Lea

Lea

Indien
unterstützt ein Heim für Kinder mit geistiger Behinderung
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Meine Einsatzstelle Balar Gnana Illam in Salem, Tamil Nadu

Meine Einsatzstelle CSI Balar Gnana Illam ist ein Heim, eine Sonderschule und berufliche Rehabilitation für geistig eingeschränkte Kinder und Jugendliche. Insgesamt leben ca. 70 Kinder im Heim und zusätzlich kommen 20 Kinder täglich zur Schule. Zur Einsatzstelle gehört außerdem ein Heim für Frauen, die tagsüber Schmuck und "wire bags" herstellen.

"Zum Reisen gehören Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen und dass man sich nicht durch widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen niederschlagen lasse." (Adolf Freiherr von Knigge)

Dieses Zitat finde ich sehr passend für mein Leben und die bisherige Zeit hier in meiner Einsatzstelle in Salem. Der Prozess des Ankommens und Einlebens war für mich facettenreich und dauerte einige Zeit. Es gab und gibt Höhen und Tiefen aufgrund der ganz anderen Kultur und des so ganz anderen Lebens in Indien. Ich musste mich an Vieles erst gewöhnen und mich in die fremde Lebensweise einfinden. Ich habe versucht, mich nicht entmutigen zu lassen und würde behaupten, dass mir dies gut gelungen ist. Einige Dinge haben mich anfangs, ganz allein in einer fremden Kultur und einem völlig fremden Land, doch mehr bekümmert als sie das in meinem gewohnten Umfeld getan hätten.

Meine Ankunft

Nun mehr zu meiner Ankunft und dem Einleben: Am Abend meiner Ankunft nahmen mich alle Kinder und Mitarbeiter sehr freundlich und herzlich in Empfang. Trotzdem war es ein seltsames und zugleich schönes Gefühl, bestehend aus Freude, aber auch aus Sorge, da ich kein Wort der Kinder verstanden habe und mir nach dem Abschied von Deutschland nun erst richtig bewusst wurde, dass dies mein Zuhause für die nächsten zehn Monate sein wird. Die ganz andere Kultur und Mentalität war anfangs wirklich gewöhnungsbedürftig, weshalb ich wenig Appetit hatte. Meinem Körper war wohl auch alles zu viel, bald lag ich einige Tage mit Fieber im Bett. Kranksein wiederum ist ebenfalls ganz anders als im gewohnten Umfeld zu Hause. Alle kümmerten sich jedoch sehr liebevoll um mich, wofür ich den Heimmitarbeiterinnen sehr dankbar bin.

Ein weiteres anfängliches Problem war der Umgang mit der Managerin des Heimes, die täglich ca. eine Stunde kommt und meines Erachtens eine besondere Persönlichkeit ist. Mittlerweile habe ich für mich und mein Leben gelernt, dass es mit vorgesetzten Menschen schwierig sein kann und man seinen eigenen Weg finden muss damit umzugehen. Ich weiß nun, dass es einfacher ist, wenn ich mir nicht alles zu Herzen nehme und manches mit Humor sehen kann, wie es auch das Zitat erwähnt.

Man gab mir genug Zeit, um anzukommen, die ich auch benötigte. In kleinen Schritten gewöhnte ich mich an die neue Kultur. Mittlerweile fühle ich mich hier sehr wohl und es ist schon jetzt ein zweites Zuhause geworden.

Im Nachhinein würde ich meinen Prozess des Einlebens mit allen Höhen und Tiefen so beschreiben: Ich lebte wie in einer Blase, aus der ich die Geschehnisse und die neue Mentalität nur teilweise und weniger detailliert wahrnahm.

Mein Alltag

Nach und nach entwickelte sich meine alltägliche Routine. Meist beginnt mein Tag um ca. 7 Uhr indem ich den Mädels nach dem Duschen ihre Kleidung gebe und manchen helfe, sich anzuziehen, da es ihnen selbst schwerfällt. Nachdem alle angezogen und die Haare zu Zöpfen geflochten sind, gehen ich ca. dreimal die Woche mit den Älteren in den Hof, um unsere Kleidung an den Waschsteinen zu waschen. Um 8.30 Uhr gibt es Frühstück, bei dem ich mit den anderen Heimmitarbeiterinnen das Essen austeile. Anschließend esse ich selbst.

Für alle Kinder beginnt der Schultag mit dem "Morning prayer" im Hof. Es wird gesungen, gebetet und wichtige Nachrichten aus der Zeitung werden den Kindern vorgelesen. Bisher habe ich jede Klasse von Primary 1 bis zur vocational class eine Woche lang besucht. In dieser Zeit habe ich viel über das Schulsystem und den Unterricht für geistig und sprachlich eingeschränkte Kinder gelernt: In einem Zeitraum von drei Monaten bekommt jedes Kind fünf Kompetenzen, die es lernen muss und die anschließend geprüft werden. Je nach den Möglichkeiten, die ein Kind hat, werden diese Kompetenzen zugeteilt, weshalb auch nicht die gesamte Klasse, sondern jeder Schüler einzeln unterrichtet wird. Beispielsweise könnte es für die Kleinen oder stärker eingeschränkten Kinder das Namennennen der Familienmitglieder sein. Andere müssen diese aufschreiben, einfache Sätze vorlesen, Geld umtauschen oder leichte Matheaufgaben lösen. Außerdem wurden mir verschiedene Methoden gezeigt, wie man den Kindern Wörter, Zahlen, etc. beibringt. Bei manchen Lehrern durfte ich auch schon selbst einem Schüler Zahlen und Wörter beibringen; grundsätzlich versuche ich aber, so gut es geht zu helfen.
Bisher habe ich allerdings nicht nur diese positiven Seiten kennengelernt. Ich war teilweise erschrocken, dass manche Lehrer ihre Schüler überhaupt nicht unterrichten, sondern den ganzen Tag im Klassenzimmer sitzen ohne etwas zu tun. Ich finde das sehr schade, da viele Kinder gerne lernen möchten und somit auch für das Leben außerhalb des Heimes besser vorbereitet wären.

Eine ganz andere Art des Unterrichtes ist die "vocational class". Die älteren Schülerinnen und Schüler stellen hier "wire bags" her, das sind aus Plastikbändern geflochtene Taschen, Telefonmatten und Fußmatten, die anschließend verkauft werden. Auch ich habe gelernt, wie man "wire bag" flicht und habe mittlerweile meine erste eigene Tasche fertig.

Zwischen 12:30 - 13 Uhr gibt es Mittagessen und ich helfe wieder beim Austeilen. Die Köchin der Einsatzstelle kocht meist für alle Kinder. Mehrmals wöchentlich kommen jedoch auch Spender, die entweder das Essen bezahlt haben oder eigenes vorbeibringen, meist zu Geburtstagen, Hochzeiten oder anderen Feiern. Mir wurde erklärt, dass die Einsatzstelle auf die Essenspenden angewiesen ist, da es sonst unmöglich wäre, alles zu bezahlen.

Die Schule geht um kurz vor 14 Uhr weiter und endet um ca. 16:15 Uhr. Die Uhrzeiten können sich jedoch täglich um einige Minuten, manchmal auch eine halbe Stunde ändern.

Wenn im Office bei Computerarbeiten meine Hilfe benötigt wird, helfe ich auch dort. Meistens besteht diese Arbeit aus dem Ändern von Dateigrößen, Scannen, Dokumente hochladen und momentan für die Weihnachtsfeier Ende Dezember die Einladung gestalten. Nach der Schule gibt es dann meist einen Snack für mich und alle Kinder. Anschließend nehme ich mir etwas Zeit für mich und ruhe mich aus. Nach der Pause geht es, je nach Wetter und Motivation, nach draußen und es wird gespielt und getobt. Die Kinder lieben Wettrennen, Fange und Tanzen- vor allem die Jungs, weshalb wir öfters kleine Tanzpartys veranstalten, wo wir beispielsweise auch schon das Fliegerlied getanzt haben. Jedes Mal ein riesengroßer Spaß, der mich sehr glücklich macht, wenn ich die Kinder so fröhlich sehe. Insgesamt wird es hier keinen Tag langweilig und mit den Kindern und anderen Mitarbeiterinnen gibt es immer viel zu lachen, da den Kindern doch sehr oft lustige Dinge passieren.

Gegen 18 Uhr gehen dann alle in den Essensraum und es wird gesungen und gebetet. Nach dem Abendessen schauen wir häufig fern und gegen 20- 20:30 Uhr helfe ich dabei, die Kinder fertig fürs Bett zu machen. Anschließend ist auch für mich der Tag vorbei und ich freue mich, in mein Zimmer gehen zu können. Auch wenn ich nicht unterrichte wie ein Lehrer und manchmal im Unterricht nichts machen kann, ist es doch sehr anstrengend, da die Kinder immer reden und spielen wollen und dauerhaft ein hoher Geräuschpegel herrscht.

Alle zwei Wochen ist Samstag vormittags Schule. Meist bleibt jedoch der ganze Nachmittag, um draußen oder drinnen zu spielen, zu reden oder zu singen. Oft bringen mir die Kinder Lieder oder Spiele auf Tamil bei oder ich versuche, mit ihnen etwas auf Deutsch oder Englisch zu lernen, was aber nur bei den Kindern funktioniert, die keine oder nur kleine Beeinträchtigungen haben. Mit anderen mache ich einfache Spiele wie Tiergeräusche nachmachen/erraten, woran die Kleinen großen Spaß haben.

Meine Highlights

Sonntags gehe ich mit der Warden und ca. 10 Kindern um 7 Uhr bis 8:30 Uhr in die Kirche. Da wir gegen 6.40 Uhr losfahren, muss ich ziemlich früh aufstehen, um meinen Saree zu binden, was ich mittlerweile selbst kann. Zu zwölft quetschen wir uns dann in eine Rikscha und es geht Richtung Kirche. Bisher war sehr häufig ein Singgottesdienst, was mir sehr gefällt, da ich von dem normalen Gottesdienst doch recht wenig verstehe und es dadurch etwas langweilig werden kann. Ansonsten bleibt der ganze Tag zum Spielen, Basteln, Reden, Singen oder einfach mal zum Ausruhen, was nach einer vollen Woche auch sehr erholsam ist.

Manchmal finden auch verschiedene Feiern, wie beispielsweise der "world food day" statt, bei dem den Kindern viele verschiedene Lebensmittel gezeigt wurden.

Eines meiner persönlichen Highlights war der Sporttag. Ungefähr acht Schulen für beeinträchtigte Kinder in Salem haben teilgenommen und in verschiedenen Wettkämpfen gegeneinander gekämpft. Die Kinder hatten Spaß und waren mächtig stolz dabei zu sein. Ein sehr schöner Tag, da er den Kindern gezeigt hat, dass sie trotz ihrer Beeinträchtigung Talente haben und sehr viel erreichen können. Auch ich war sehr stolz auf alle Kinder.

Momentan sind wir in vollen Zügen in den Weihnachtsvorbereitungen. Ende Dezember findet unsere Weihnachtsfeier statt, wofür ein Krippenspiel, Gebete und Tänze geübt werden. Da die meisten der Kinder aufgrund ihrer Beeinträchtigung erschwert und langsam lernen, braucht das Üben viel Zeit.

Außerdem findet seit Ende November ca. zweimal wöchentlich der "Christmas Carol" statt. Gemeinsam gehen wir mit einigen Kindern abends zu Häusern der Kirchenmitglieder, singen ein Lied und beten für sie. Meist gibt es für die Kinder Süßigkeiten oder Snacks und eine Spende für die Einsatzstelle. Für mich ist das sehr interessant, da ich ganz unterschiedliche Häuser und Wohnungen sehe, von den kleinsten Hütten bis hin zu doch ziemlich pompösen Häusern. Eine spannende Erfahrung, die mir viele Eindrücke der Kultur wiederspiegelt.

Insgesamt ein doch sehr stressiger Alltag, da es immer sehr viel zu tun gibt und die Kinder stets unterhalten werden wollen. Es macht mir jedoch sehr großen Spaß und bereitet mir große Freude, die Kinder lachend und glücklich zu sehen. Nach den drei Monaten sind mir alle schon sehr ans Herz gewachsen.

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Das Hostel und ein Teil des Innenhofes (Foto: EMS/Mayer)
Das Hostel und ein Teil des Innenhofes (Foto: EMS/Mayer)
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Ein paar Kinder und ich an einem freien Nachmittag (Foto: EMS/ Mayer)
Ein paar Kinder und ich an einem freien Nachmittag (Foto: EMS/ Mayer)