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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Felix und ich beim Entziffern eines Schildes auf dem TSS-Gelände (Foto: EMS/Schnotz)
Felix und ich beim Entziffern eines Schildes auf dem TSS-Gelände (Foto: EMS/Schnotz)
22. Oktober 2018

Die Sprachbarriere

Lisa Luka

Lisa Luka

Jordanien
arbeitet in der Theodor-Schneller-Schule mit
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يحكي عربي بس شوي = Ich spreche nur wenig Arabisch

Einer der Hauptgründe wieso ich für meinen Freiwilligendienst nach Jordanien gehen wollte, ist mein Wunsch, Arabisch zu lernen. Arabisch?- Wurde ich in Deutschland oft erstaunt gefragt.- Da nimmst du dir aber was vor! Ja, das stimmt, da habe ich mir ganz schön was vorgenommen und leicht ist es nicht.

Ich habe zwar schon einige Wörter (und das Alphabet) in Deutschland gelernt, aber leider sind Bücher dafür nicht besonders gut geeignet. Es gibt nämlich kein einheitliches Arabisch, sondern eine Vielfalt an verschiedenen Versionen der Sprache. Hocharabisch, die geschriebene Sprache, findet man in der Reinform im Koran, im Alltag gesprochen wird sie allerdings so gut wie nirgendwo. Stattdessen haben die vielen arabischsprachigen Länder und ihre Regionen eine unglaublich breite Palette an Dialekten. Dieser linguistische Reichtum ist zwar sehr interessant, stellte für mich jedoch eine praktische Schwierigkeit dar: Die hier in Jordanien gesprochene Form von Arabisch kann man von Deutschland aus nicht aus dem Lehrbuch lernen.
Wie erwartet wurde das Ankommen also ein Sprung ins kalte Wasser!

Meine bisherige Zeit hier (ich bin inzwischen seit 2 Monaten hier) ist stark geprägt davon, dass ich mit meinen Arabisch-Kenntnissen noch am Anfang bin. Dass man sich über Sprache verständigen kann, eine Tatsache über die ich bisher nicht groß nachgedacht habe, ist für mich nun nicht mehr selbstverständlich.
Meine Erfahrungen darüber, was so eine Sprachbarriere bedeutet und wie sie in meinem Alltag wirkt, möchte ich im Folgenden mit Euch teilen.

Wenn ich so darüber nachdenke, stelle ich mir die Sprachbarriere wie eine Wand vor, die zwischen mir und den Arabischsprachigen um mich herum steht. Sie kann in beide Richtungen blockieren:

Einerseits scheitert meine Umwelt, die mit mir in Kontakt treten möchte, immer wieder an meinem Unverständnis. Bei der Arbeit mit den Kindern zum Beispiel werde ich natürlich von den Mädchen angesprochen: Ein Schwall Arabisch, oft in eindringlichem, aufgeregtem, freundlichem Tonfall, dringt auf mich ein – häufig beendet von einer Frage. Neugierige Augen schauen mich an und erwarten offensichtlich eine Antwort – aber zwischen uns steht die unsichtbare Wand. So wende ich immer wieder den guten Rat an, einfach zu lächeln und zu hoffen, dass das eine angemessene Reaktion ist – nicht selten endet so eine Situation in beidseitiger Verwirrung.
Häufig ist diese Blockade jedoch nicht so drastisch spürbar. Manchmal sind es auch Gespräche um mich herum, deren Inhalt ich einfach überhaupt nicht wahrnehme. Ein Beispiel dafür ist eine Unterhaltung, die letzte Woche neben mir im Büro geführt wurde. Ich hatte es gar nicht richtig registriert, doch kurz darauf fragte mich eine Frau, wo denn meine Schuhe her seien. Gerade eben hätte man nämlich darüber diskutiert, wo solche schönen Schlappen zu bekommen wären.

Andersherum blockiert die Wand auch, wenn ich in mehreren Sätzen etwas von mir aus erzählen will. Zum Glück kann ich das Wichtigste für den praktischen Umgang aber schon verstehen und anwenden. Trotzdem wirken sich meine fehlenden Sprachkenntnisse auf meine Arbeit hier aus und ich habe das Gefühl deswegen manchmal passiv sein zu müssen. So kommt in bestimmten Phasen der Gedanke auf: Wenn ich jetzt die gleiche Muttersprache wie mein Umfeld hätte, könnte ich.... z.B. ein Spiel anleiten, eine Email beantworten, bei den Geographiehausaufgaben helfen, eine Geschichte erzählen... All diese Dinge bleiben dann ungesagt – und ungetan.

Aber halt – das Bild von der gänzlich abriegelnden Wand muss ich korrigieren! Zum Glück gibt es jede Menge Fenster, Brücken und Schleichwege, die die Kommunikation für mich retten.

Zum Einen ist die Blockade nämlich durchsichtig. Gesichtsausdrücke, aber vor allem Gesten zeigen mir in vielen Situationen an, was gemeint ist – sie sind die Fenster in der Mauer. Ein Beispiel dafür ist das Einkaufen von Obst und Gemüse auf dem Markt, das die ersten Male fast völlig über Deuten abgelaufen ist.

Ab und zu finde ich mit den Menschen hier auch den Umweg einer dritten, gemeinsamen Sprache. Aber leider ist das Englische in den meisten bisherigen Fällen ein sehr schmaler Pfad, der sich auch als Irrweg entpuppen kann. Einmal sind wir wegen einer falschen Zeitangabe sogar schon um vier Uhr früh zu einer Einladung aufgebrochen, die eigentlich für abends angedacht war. :D

Insgesamt muss ich aber sagen, dass die Menschen um mich herum trotz der Schwierigkeiten super freundlich sind und die teils mühevolle Kommunikation nicht scheuen. Dafür bin ich unglaublich dankbar, denn es ist ja nicht selbstverständlich so viel Geduld für die neue Freiwillige aufzubringen, die gekommen ist mit der gewagten Idee hier praktisch von Null auf Arabisch zu lernen. Zuletzt bleibt zu erwähnen, dass es noch eine Brücke über die Mauer der Sprachbarriere gibt, die sich Google Übersetzer nennt und ab und zu tatsächlich recht hilfreich sein kann!

Dazu kommen die Löcher, die die Mauer an einigen Stellen inzwischen schon hat. Es sind Löcher, durch die ich gerade so hindurch passe, doch sie retten immer wieder die Situation!

Die allerwichtigsten Wörter und Sätzchen sind nämlich durchaus vorhanden: Vokabeln zum Begrüßen & Verabschieden, Uno-Spielen, Einkaufen, Essen, Bus-&Taxi fahren usw. waren durch Abschauen in eindeutigen Situationen schnell gelernt und werden durch tägliche Wiederholung vertieft.

Und zum Glück gibt es auch Werkzeug, mit dem ich die Mauer um durchlässige Stellen erweitern kann. Sei es durch eine freundliche, geduldige Erklärung, ein aufgeschnapptes und durch die Situation verstandenes Wort oder natürlich den sehr hilfreichen Sprachkurs, den wir zweimal die Woche besuchen - ich kratze fleißig an meiner Seite der Mauer und freue mich riesig über jede freigelegte Stelle. Zwar sind es kleine Schritte und ich habe inzwischen verinnerlicht, dass so ein Unterfangen Zeit braucht. Aber in den letzten, arbeitsintensiven Wochen konnte ich doch merken, dass es vorangeht!

Inzwischen bin ich neben der Betreuung der Mädels in der family nämlich auch in der Verwaltung der TSS tätig, sodass meine Tage gut gefüllt sind. Obwohl das durchaus anstrengend sein kann, hilft mir dieses tiefe „Eintauchen“ in die Sprache doch auch jeden Tag Neues zu lernen. Kleine Erfolgserlebnisse, wie die geschaffte Kommunikation mit einem freundlichen Taxifahrer, geben mir dann neuen Mut und die Hoffnung, dass ich die Wand in den nächsten Monaten Stück für Stück abbauen kann.

Beim Zusammentragen dieser Erfahrungen kommt mir in den Sinn, was ich in Deutschland immer wieder im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema gehört habe: das Erlernen der Sprache als Schlüssel zur Integration. Wie wichtig, aber auch schwierig dieser Schritt ist, habe ich in der letzten Zeit selbst erlebt – obwohl die Umstände meines Auslandsaufenthaltes natürlich grundverschieden von denen der Geflüchteten sind. In beiden Fällen stellt das Erlernen der Sprache die Möglichkeit dar, Hürden zu überwinden und sich neue Welten zu erschließen.

Natürlich gibt es eine Menge Unterschiede zwischen dem Leben in Jordanien und dem in Deutschland. Doch auch wenn ich vorhin von einer Mauer erzählt habe, fällt mir immer wieder auf wie ähnlich wir uns auf beiden Seiten sind. Gerade was menschliche Dinge angeht, sehe ich nämlich auch ohne das wörtliche Verständnis täglich Gemeinsamkeiten – und sei es nur die Freude daran, beim Schaukeln ganz hoch angeschubst zu werden.

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Beim Obsteinkauf auf dem Markt - inzwischen klappt das auch ohne Zeichensprache (Foto: EMS/Thier)
Beim Obsteinkauf auf dem Markt - inzwischen klappt das auch ohne Zeichensprache (Foto: EMS/Thier)
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Auf dem Weg zur Sprachschule - es liegen noch einige Stufen vor mir... (Foto: EMS/Schnotz)
Auf dem Weg zur Sprachschule - es liegen noch einige Stufen vor mir... (Foto: EMS/Schnotz)