Jordanien - von kleinen und großen Unterschieden
Woran denkst du, wenn du Jordanien hörst? An Wüste, Steine, Hitze? An Petra, UN-Weltkulturerbe, die Handelsstadt der Nabatäer mit ihren in den Fels gebauten Grabstätten? An ein Land, das in einer vom Nahostkonflikt geprägten Region seit drei Jahrzehnten mit seinem Nachbarn Israel in einem durch einen Vertrag festgeschriebenen Frieden lebt? An das Haschemitische Königreich Jordanien mit seiner westlich gekleideten Königin? Denkst du an Lawrence von Arabien und seine waghalsige Eroberung Aqabas durch die Wüste, Teil einer langen Unrechtsgeschichte, die den Arabern widerfahren ist? Oder musst du ehrlich zugeben, dass du mit dem Land Jordanien nicht wirklich viel verbindest?
Mit diesem Text möchte ich dir einen Einblick in meine Erfahrungen geben und dir Bruchstücke dieses Landes näherbringen.
Wusstest du, dass Jordanien als unabhängiger Staat erst 1946 gegründet wurde als eine Abspaltung vom britischen Mandatsgebiet, das dort nach der arabischen Revolte 1916-18 und dem Ende des Osmanischen Reiches bestand? Wusstest du, dass Jordanien nach dem Libanon weltweit der Flächenstaat mit dem höchsten Anteil von Geflüchteten an der Landesbevölkerung ist?
Das macht sich natürlich auch politisch bemerkbar. In meiner Zeit hier habe ich wiederholt bemerkt, dass das Thema Israel-Palästina besonders nach den Ereignissen seit dem 7.Oktober 2023 große Gräben zwischen der stark von palästinensischen Flüchtlingen geprägten Gesellschaft und dem Königshaus aufreißt. So kam es auch hier im letzten Oktober zu großen propalästinensischen Demonstrationen, die aber anders als in anderen arabischen Ländern von staatlicher Seite nicht offen unterstützt wurden. Im Gegenteil griff das jordanische Militär aktiv ein, wenn sich Demonstrierende zu sehr der Grenze zum Westjordanland näherten. Während die Bevölkerung als Reaktion auf das Verhalten Israels im Gazastreifen eine ganze Reihe westlicher Marken boykottiert (eine Liste mit Pepsi etc. findet sich an so manchem Laternenpfahl, im McDonalds in unserem Stadtteil Marqua sieht man im Vorbeigehen praktisch nie Kunden und bestimmte Filialen von Starbucks oder Carrefour mussten wegen ausbleibender Kundschaft schon schließen) hat das jordanische Militär beim Angriff des Iran auf Israel in der Nacht vom 14./15.April aktiv das Nachbarland bei der Abwehr unterstützt, was in Jordanien und bei seiner Bevölkerung einen großen Aufschrei und Unverständnis auslöste. Der Wunsch nach einer klaren Positionierung der jordanischen Königsfamilie zur Situation in Gaza droht so den ohnehin schwierigen gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter zu belasten.
Ähnliche Streitpunkte, die ganz praktische Konsequenzen haben, sind etwa die Nutzung des Wassers des Jordans. Ein mögliches Bindeglied ist und bleibt die Königin, die palästinensischer Abstammung ist und oft gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Sohn und dessen Frau auch in der Öffentlichkeit durch überlebensgroße Bilder präsent ist. Bei einer solchen Machtdemonstration wundert es einen nicht, dass in Jordanien Königslästerung über der Gotteslästerung steht und entsprechend stärker bestraft wird.
Wie lebt es sich also in Amman, der Hauptstadt Jordaniens? Es ist ein Alltag mit spannenden Eindrücken und herausfordernden Widersprüchen! Auch in Amman hat die reiche Geschichte der Region seit den Nabatäern ihre Spuren hinterlassen, so etwa in Form der Zitadelle und des Amphitheaters aus der Römerzeit. Andererseits ist Amman in Teilen auch eine sehr moderne Metropole. Das zeigt sich zum Beispiel in Abdali, einem eher reichen und westlich orientierten Viertel Ammans, mit Straßen und Malls, die an europäische und amerikanische Einkaufsstraßen erinnern. Diese nicht nur vertragliche sondern auch ökonomische Annäherung an den Westen entwickelte sich besonders unter dem jetzigen König Abdullah II. und wird von Teilen der Bevölkerung Jordaniens eher kritisch beäugt.
So ist es ohne Frage, dass die Wahrnehmung des Landes sehr unterschiedlich sein kann je nachdem, wo man in Amman wohnt. Gut lässt sich das an uns deutschsprachigen Freiwilligen im Gegensatz zu vielen ausländischen Studierenden erkennen. Diese kommen etwa über das Austauschprogramm Erasmus ins Land und leben dann häufig während ihrer Zeit in Amman in Weibdeh oder an der Rainbow-Street. Wir dagegen wohnen, wie man aus vorherigen Blogbeiträgen entnehmen kann, im Stadteil Marka. Wenn wir das Menschen, wie zum Beispiel der Lehrerin unseres Sprachkurses, der in Weibdeh stattfindet, erzählen, sind diese meist sehr überrascht. Wir gehören wahrscheinlich zu den wenigen europäischen Bewohnern von Marka. Entsprechend fallen wir dort in den Geschäften auf, viele Leute kennen uns und die Busfahrer fragen schon gar nicht mehr, wo wir aussteigen wollen. Aber zurück zum Vergleich: Unsere Erfahrungen als Freiwillige in Marka sind, dass wir sehr rasch mit unserem noch überschaubaren Vokabular gezwungen waren, arabisch zu sprechen, wenn wir uns mit jemandem unterhalten wollten. Mit Fremdsprachen kommt man hier nicht weit! Klar war auch von Anfang an, dass in diesem stark vom Islam geprägten Stadtteil auf Kleiderregeln oder Regeln zur Sitzordnung im Bus (getrennt nach Geschlechtern) sehr viel Wert gelegt wird. Ein nicht ausreichend bedeckter Knöchel reicht, um zum Gesprächsstoff des Kleinbusses zu werden.
Versteht mich nicht falsch: Ich würde Marka, das Viertel, in dem ich wohne und viel Zeit verbringe, nicht tauschen wollen. Es ist einfach beeindruckend, wie anders unser Leben ist als das anderer junger Europäer, die nur 20 bis 40 min von uns entfernt wohnen. Besonders engen Kontakt hatten wir mit mehreren Freiwilligen und Studenten, die an der Rainbowstreet wohnten. Natürlich erlebt man auch dort deutlich den arabischen Einfluss, aber Kleiderregel oder der Erwerb bzw. der Konsum von Alkohol werden dort viel lockerer gesehen. Da Weibdeh zudem sehr international ist, ist es sogar möglich, dort eine lange Zeit zu wohnen und zu leben, ohne viel arabisch zu sprechen. Die großen Differenzen innerhalb derselben Stadt liegen natürlich auch daran, dass die Metropole Amman mit ihren knapp 2 Millionen Einwohnern und 21 eigenen Stadtvierteln die mit Abstand größte Stadt Jordaniens ist. Kleine Städte wie zum Beispiel Ma’an oder Madaba, die historisch einiges aufzuweisen haben, werden dagegen oftmals vergessen, weil sich viele Touristen mit ihrer begrenzten Zeit auf die Top-Drei-Reiseführer-Destinationen beschränken. Hat man, wie wir als Freiwillige, 10 Monate Zeit, lohnt es sich wirklich, auch kleinere Städte zu besuchen, in denen man viel von der jordanischen Realität und Geschichte kennenlernen kann.
Auch von seiner Geographie und Natur ist Jordanien sehr divers und viel mehr als die braun orangene Wüste mit den Felsen von Petra. Überraschend grün ist es etwa in Azraq, einem kleinen grünen Fleck mitten in der Wüste, der allerdings in den letzten Jahren sehr darunter gelitten hat, dass Wasser abgepumpt wurde, um Amman mit Trinkwasser zu versorgen. Beliebt ist Azraq besonders bei Vogelkennern aufgrund der dort rastenden Zugvögel. Generell kann man sagen, dass es, je weiter man sich in den Norden begibt, immer grüner wird. Hier liegen Orte wie Ajun mit seinen grünen Hängen und Olivenhainen oder Umm-Qays, ein weiterer Ort mit römischen Ausgrabungen, der besonders im Frühling einen wunderschönen Kontrast zwischen dem Grün der Natur und dem Schwarz der Steine aufweist. Besser bekannt ist dann wieder Aqaba im Süden des Landes mit seiner Möglichkeit zum Baden und Tauchen in den Korallenriffen des Roten Meeres und auch das nahegelegene Wadi Rum. Aber selbst an solchen Orten finden sich in der aktuellen Situation nur wenige ausländische Besucher - sehr bitter für ein Land wie Jordanien, in dem der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige ist.
So enttäuscht auch die Natur Jordaniens nicht. Man entdeckt Wälder mit Burg und Teleferique, orangerote Wüste mit Felsformationen, die man auch als Kulisse in Filmen wie DUNE 1 und 2 oder Indiana Jones wiederfinden kann, Meere verschiedener Salzgehalte :), Oasen, die wichtige Raststationen für Zugvögel sind, Steinwüsten mit ihren Wüstenschlössern, Wadis mit ihren fruchtbaren Flussbetten, die sich in den Fels gefressen haben und die ein tolles Ausflugsziel für abenteuerliche Wasserwanderer sind. Diese Variationen der Landschaft in Jordanien sind wirklich spannend, und so macht es viel Spaß, das Land in seiner Freizeit zu bereisen.
Nun hoffe ich, dass ich euch die Vielfalt dieses Landes etwas näher bringen konnte, eines Landes, dass so viel mehr ist als ein Wüstenstaat im Schatten des Nahostkonflikts.
Ich grüße euch aus Jordanien
Eure Johanna
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