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Weihnachtsschmuck in Fuheis (Foto: EMS/Leidel)
Weihnachtsschmuck in Fuheis (Foto: EMS/Leidel)
06. April 2024

Weihnachten in der Ferne

Johanna

Johanna

Jordanien
Internat
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Weihnachtsgefühle, innere Konflikte, Erfahrungen

Woran denkst du, wenn du an Weihnachten denkst? An einen schön geschmückten Tannenbaum? An Kerzenschein? An die Gans mit Knödeln oder Kartoffelsalat mit Würstchen, die jedes Jahr im Kreise der Familie verdrückt werden? Denkst du an Schnee oder an die Wärme und Geborgenheit, die dir ein warmer Tee und Weihnachtsplätzchen bei Kerzenschein spenden können? Wenn du daran denkst, geht es dir ähnlich wie mir. Doch diese Jahr war Weihnachten vertraut und doch ganz anders.

Schon seltsam - Weihnachten in Jordanien. Nicht gemeinsam mit der Familie wie die letzten 19 Jahre. Aber ist das nicht eine willkommene Abwechslung? Solche Fragen stellten wir drei - zwei meiner Mitfreiwilligen und ich - uns, als wir beschlossen, kein Flugticket zu buchen, sondern Weihnachten gemeinsam in Jordanien zu verbringen. Wir wollten auf dem Gelände der Theodor-Schneller-Schule feiern, in unserer kleinen WG - fast schon wie ein richtiges Zuhause. Bis zum 1.Weihnachtsfeiertag hatten wir nicht den Drang verspürt, Plätzchen zu backen. Auch wenn die Adventszeit für mich immer viel mehr war als Teig Naschen und Zuckergussflecken auf der Küchenschürze, sind es doch auch diese kleinen Momente, die diese Zeit besonders machen. Es war schwer in Weihnachtsstimmung zu kommen.
Wie ihr euch denken könnt, wurde das Aufkommen von weihnachtlicher Vorfreude in diesem Jahr durch verschiedene Umstände erschwert. Zunächst ist Jordanien stark vom Islam geprägt. Zwar ist Jesus auch für die Muslime ein Prophet, aber das Christentum schreibt ihm als dem erwarteten Messias eine sehr viel höhere Bedeutung zu. So war der Taxifahrer ganz überrascht, als wir ihm an Heiligabend erzählten, dass wir heute zur Kirche wollen, weil Weihnachten ist, das Fest, an dem wir die Geburt Jesu feiern. 

Vor allem aber war Weihnachten 2023 geprägt von der aktuellen politischen Lage: Als wir in der deutschen Gemeinde in Amman ankommen, ist die Predigt im Gottesdienst wenig festlich. Wie kann man unbeschwert feiern, wenn in unmittelbarer geographischer Nachbarschaft Krieg herrscht? Wie soll man feiern, wenn in Gaza viele Menschen noch nicht einmal einen Stall haben, in dem sie Zuflucht finden können? Auch in den vergangenen Jahren beschäftigten mich an Weihnachten Probleme und Konflikte. Aber in diesem Jahr war der persönliche Bezug ein anderer. Wir leben eng mit den palästinensischen Schülerinnen und Schülern der Theodor-Schneller-Schule zusammen und waren alle vom Krieg im Nachbarland betroffen. Aus Solidarität mit den Opfern auf beiden Seiten war auch von offizieller kirchlicher Seite bereits zu Beginn der Adventszeit beschlossen worden, dass weihnachtliche Aktivitäten eingeschränkt bzw. unterlassen werden sollten. Es wurden Weihnachtsbasare abgesagt, Konzerte verlegt und der traditionelle Weihnachtsmarkt auf dem Boulevard auf nächstes Jahr verschoben. Der Boulevard ist eine Einkaufsstraße in Abdali, einem eher westlich geprägtem Stadtteil Ammans. Weihnachtsstimmung wurde so zu einer individuellen, etwas versteckten Angelegenheit und die Adventszeit fand mehr im Verborgenen statt.
Wir - die vier Freiwilligen in Jordanien - wollten der Hoffnungslosigkeit etwas entgegensetzen und machten uns gleich am ersten Advent auf den Weg nach Fuheis. Der Ort ist eines der eher christlichen Dörfer in der Nähe von Amman. Wir hatten den Plan, Weihnachtsschmuck und Geschenke zu besorgen. Für unseren Geschmack war die Dekoration oft sehr amerikanisch und kitschig. Trotzdem kehrten wir abends mit vollen Tüten, einem kleinen Plastikweihnachtsbaum und einem guten Gefühl zurück. So zog es sich durch die ganze Adventszeit. Wir sangen mehrstimmig Weihnachtslieder mit Flötenbegleitung, wichtelten in der WG, trafen uns mit anderen Freiwilligen - auch ‘mal um Drei Nüsse für Aschenbrödel zu schauen. Wir bastelten Sterne für die WG und trafen uns abends am Adventskranz. So wurde es unsere ganz persönliche Adventszeit. 
Am 24.Dezember gingen wir erst einmal weihnachtlich essen. Mansaf (das jordanische Nationalgericht) traf auf Penne Arrabbiata. Anschließend besuchten wir den Gottesdienst der Deutschen Gemeinde und saßen bei weihnachtlichen Gesprächen mit anderen Gemeindegliedern bei Schokolebkuchen und Glühwein noch ein wenig zusammen. Zurück in der WG telefonierte jeder kurz mit seiner Familie, bevor wir uns zum gemeinsamen Tagesabschluss in einer von Lichterketten und Kerzen erleuchteten Küche trafen. Den größten Teil des 1.Weihnachtsfeiertages verbrachten wir damit, von Grund auf Rotkraut, Knödel und vegetarische Bratensoße herzustellen, was uns auch mehr oder weniger gelang. Heute am 2. Weihnachtsfeiertag war dann wieder Sprachschule und wir machten einen kleinen Ausflug zur Besichtigung der Zentralmoschee in Amman. Der Besuch einer Moschee an diesem Tag, passte noch gut zu unserem widersprüchlichen Weihnachtsfest in Jordanien. Die Zentralmoschee ist ein imposantes Gebäude, das  schon von weitem an seiner blau-weißen Fassade zu erkennen ist. Nachdem wir den Eintritt gezahlt hatten, wurden uns braune Gewänder verteilt, mit denen wir unsere Haare und große Teile unseres Körpers bedeckten und die uns im ersten Moment an Mönchskutten erinnerten. So bekleidet besuchten wir das kleine Museum über die Geschichte Jordaniens und betraten den Hauptraum der Moschee. Der Zufall wollte es, dass wir genau zur Mittagszeit dort waren und sich viele muslimische Männer zum Gebet versammelten. Aus der Entfernung sahen wir, wie sie ihren Glauben bekannten. Der Bewegungsablauf und das gemeinsame Sprechen des Gebets wäre auch ohne die mächtige Kuppel der Moschee und den riesigen mit rotem Teppich ausgelegten Raum ein Erlebnis gewesen. Aber der Ort verlieh dem Moment eine wirklich beeindruckende Wirkung. So trafen für uns an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag Islam und Christentum an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag ganz unmittelbar aufeinander.

Ich genieße dieses so andere Weihnachtsfest und doch kommt eine gewisse Melancholie auf, wenn man die alten und liebgewonnenen Strukturen nicht mehr hat und gleichzeitig aus der Ferne mitbekommt, wie sie auch ohne einen weiterleben. - Aber wenn ihr mich jetzt aber fragt, ob ich lieber nach Hause gefahren wäre, dann ist meine Antwort: Nein. 
So wünsche ich euch allen frohe Weihnachten, gesegnete Festtage voller wunderbarer Momente und einen guten Rutsch in ein neues Jahr. Möge es eine gute Balance zwischen vertrauten Gewohnheiten und aufregendem Neuen sein.
Johanna

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Kirchenfenster in der Nähe von Kerak. (Foto: EMS/Leidel)
Kirchenfenster in der Nähe von Kerak. (Foto: EMS/Leidel)
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König-Abdullah-Moschee in Amman. (Foto: EMS/Leidel)
König-Abdullah-Moschee in Amman. (Foto: EMS/Leidel)

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