Weltweit erlebt
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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Der Innenhof der Arab Episcopal School (Foto: EMS/Janke)
Der Innenhof der Arab Episcopal School (Foto: EMS/Janke)
28. Februar 2019

Miss Anna

Anna

Anna

Jordanien
wirkt an einer integrativen Blindenschule mit
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Miss – so wird hier an der Arab Episcopal School jede Lehrerin angesprochen. Dass auch ich diesen Titel bekomme, ist mir seit dem ersten Tag unangenehm, stelle ich mich doch immer wieder der einen Frage: Welche Rolle nehme ich hier eigentlich ein, bin ich eher eine Lehrerin oder eine Schülerin?

Die AES ist jetzt seit knapp 6 Monaten mein Arbeitsplatz. Sie umfasst eine Schule von der 1. bis zur 10. Klasse, einen Kindergarten und eine Nursery. Der Lehrplan steht unter der so genannte ‚Peace Education‘ (Friedenserziehung), zu welcher hier in Irbid vor allem die Inklusion von sehbehinderten und blinden Kindern zählt. So sind von den 270 SchülerInnen aus dem Schuljahr 2018/2019 41 Kinder sehbehindert oder blind und lernen gemeinsam und gleichwertig mit ihren sehenden Klassenkameraden. Aber auch das Zusammensein von Mädchen und Jungen, Christen und Muslimen macht die Schule besonders, vor allem da sich diese Diversität auch im Lehrerkollegium wiederfindet. Schon von Anfang an hat mir das hier gut gefallen, an der AES ist es egal welcher Religion, welchem Geschlecht du angehörst oder wie gut du sehen kannst.

Das zeigt sich besonders im Klassenzimmer, in jeder Klasse gibt es mehrere blinde und sehbehinderte Kinder. Mit der Hilfe von Brillen oder Hilfsmitteln wie Tafelkameras, die das an der Tafel Geschriebene vergrößern, sind viele sehbehinderten Schüler sehr eigenständig und brauchen im normalen Schulalltag nur wenig Hilfe. Die blinden Kinder lernen schon im Kindergarten die Brailleschrift, eine Punkteschrift, die sich ertasten lässt. Mit dieser können sie im Unterricht mitschreiben und mithilfe ihrer Bücher, welche ebenfalls in Braille sind, dem Unterrichtsgeschehen folgen. In den unteren Klassen befinden sich außerdem meistens zwei Lehrerinnen in einem Raum. So kann eine Lehrerin gezielt den Blinden helfen, etwas diktieren oder ein Bild beschreiben. Diese Aufgabe übernimmt oft eine der fünf blinden Lehrerinnen an der AES, da diese durch ihre eigenen Erfahrungen den SchülerInnen oft viel besser helfen können, als ihre sehenden Kolleginnen.

Manchmal übernehme diese Aufgabe aber auch ich. Wenn ich meinen Aufgabenbereich beschreiben möchte, dann fällt mir das gar nicht so leicht. Mein Stundenplan ist sehr vielfältig, meine Hauptaufgabe in der Schulzeit ist aber die Unterstützung der Lehrerinnen im Englischunterricht. In der 4., 5. und 6. Klasse arbeite ich mit der Englischlehrerin Miss Heba zusammen. Ich helfe ihr im Unterricht, korrigiere Arbeiten oder tippe ihre Arbeitsblätter und Examen ab. Außerdem bin ich mit Miss Shatha im Englischunterricht der 9. Klasse und unterstütze hier den stark sehbehinderten Ali, indem ich für ihn mitschreibe oder ihm Sachen erkläre.
Zu einen meiner Lieblingsstunden gehören aber die Sportstunden. In den ersten sechs Klassen bin ich in dem wöchentlichen Unterricht dabei und beschäftige mich meistens mit den 2 bis 3 Blinden. Wir spielen dann je nach Vorliebe Fußball, Basketball, gehen auf das Klettergerüst, zum Trampolin oder laufen einfach nur ein paar Runden auf dem Gelände herum. Diese Stunden machen mir oft viel Spaß, weil ich mich mit den Kindern individuell beschäftigen kann und mit ihnen mache, auf was sie Lust haben.

Meine absolute Lieblingszeit und mein Ausgleich nach einem anstrengenden Schultag ist aber die Nursery. Das ist die Vorstufe des Kindergartens und die Kinder hier sind zwischen zwei und vier Jahre alt. Miss Dia, die Erzieherin, beaufsichtigt alleine 10 bis 15 Kinder und ist dementsprechend froh über jede Hilfe. Trotz oft sehr anstrengender Arbeit schaffen die Kinder es doch irgendwie immer, meine Laune zu bessern.
In meinen Freistunden und nach der Schule helfe ich dann noch im Büro mit. Der Pfarrer (auf Arabisch ‚Assis‘) hat viele Kontakte nach Deutschland, weshalb ich mich für ihn um Mails und sonstige Korrespondenz kümmere und Dankeskarten für SpenderInnen bastele. Manchmal hat auch die Schulleiterin eine Aufgabe für mich, meistens geht es darum, Dekoration für die Schule zu machen, Luftballons aufzuhängen oder irgendwo zu helfen, wo Hilfe benötigt wird.

Man merkt bestimmt: mir wird nicht langweilig, aber das finde ich gar nicht so schlimm. Mir gefällt sehr, dass ich so viel Abwechslung in meinem Schultag habe und mit so vielen SchülerInnen, Lehrerinnen und Mitarbeitern zusammenarbeiten kann. Außerdem mag ich es sehr, dass ich eigentlich nicht die Rolle einer Lehrerin habe, was ich auch gar nicht könnte. Im Englischunterricht sitze ich meistens mitten unter den Schülern und bin auch gerne mal die Ablenkung von dem langweiligen neuen Grammatikthema. Manchmal besteht der Unterricht sogar plötzlich darin, Miss Anna arabische Wörter beizubringen und ihre Sprachkenntnisse zu testen. Auch in der Nursery bin ich meistens einfach nur der Spielpartner der Kinder, weshalb der Lautstärkepegel im Raum, wenn ich auf die Kinder alleine aufpasse, auch von Minute zu Minute ansteigt.

Aber irgendwie gehöre ich auch zum Kollegium der Schule. Mein Schreibtisch steht im Lehrerzimmer, weshalb ich in engem Kontakt mit den Lehrerinnen bin. Ich genieße es sehr, mich hier zu unterhalten, zu diskutieren oder einfach nur den Gesprächen der Lehrerinnen zuzuhören. Von Anfang an haben sie mich als Teil des Kollegiums aufgenommen und akzeptiert. Seit diesem Halbjahr gebe ich, zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Annabelle, Deutschunterricht in den unteren drei Klassen. Die Unterrichtsstunden werden von Annabelle und mir vorbereitet und durchgeführt, eine Lehrerin hilft uns aber, die Klasse ruhig zu halten. Außerdem geben wir keine Noten, der Unterricht soll Spaß machen und den Kindern einen Einblick in die deutsche Sprache bieten.

Trotzdem sehe ich mich immer noch als Schülerin, wo ich doch jeden Tag von den Lehrerinnen, allen Mitarbeitern, aber vor allem von den Schülerinnen und Schülern dazulerne.

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Sportunterricht mit Batool aus der 2. Klasse auf dem Trampolin. (Foto: EMS/Janke)
Sportunterricht mit Batool aus der 2. Klasse auf dem Trampolin. (Foto: EMS/Janke)
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Fußball mit den Jungs aus der 5. Klasse. Wir spielen mit einem Ball, der im Inneren eine Glocke hat und bei jeder Bewegung Geräusche macht. (Foto:EMS/Janke)
Fußball mit den Jungs aus der 5. Klasse. Wir spielen mit einem Ball, der im Inneren eine Glocke hat und bei jeder Bewegung Geräusche macht. (Foto:EMS/Janke)