Weltweit erlebt
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14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Gemeinsam mit meiner Heimleiterin Bhagya (ganz rechts) und den Teilnehmern des Programms. Wie man sieht habe ich nicht genug Durchsetzungsvermögen und musste deswegen als "Weiße" auf einem Stuhl in der Mitte sitzen. (Foto: EMS/Janke)
25. Juni 2017

Wenn Kinder verheiratet werden...

Paula J.

Paula J.

Indien
absolviert ihren Freiwilligendienst in einem Internat
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Hochzeit mit 12 Jahren

Im letzten Blogeintrag habe ich euch ein bisschen in die indische Kultur des Heiratens mitgenommen. Mit dem Begriff Hochzeit verbinden die meisten Menschen etwas positives. Ein ausschweifendes Fest, der wichtigste Tag im Leben zweier Menschen, ein großes gesellschaftliches Ereignis. Doch, wie ich feststellen musste, ist das nicht überall so. Als westliche, privilegierte, "weiße" Freiwillige wusste ich zwar, dass es so was wie Kinderehe gibt, dachte jedoch, das würde nicht mehr wirklich praktiziert werden. Ich wurde eines Besseren belehrt. In meiner Umgebung in Indien, dem ländlichen Andhra Pradesh, ist es gerade auf den kleinen Dörfern noch verbreitet, seine Kinder, auf jeden Fall die Mädchen, so früh wie möglich zu verheiraten. Und damit meine ich nicht ein Alter von 18 oder 19 Jahren. Was in Deutschland rechtlich erlaubt, aber immernoch als sehr früh angesehen wird, ist hier das beste Alter zum Heiraten. Nein, wenn ich von Kinderehe spreche, dann von 12-14 Jahren. Zu Beginn meines Einsatzes, als ich eher einen oberflächigen Eindruck der Kultur und Lebensweise in Indien hatte, bekam ich noch nicht soviel von diesem Thema mit. Dann durfte ich Ende Oktober mit dem staff meines Hostels in ein kleines Dorf zum "Cultural Outreach Programm" fahren. Das Thema dieses Aufklärungs-Programms war "child marriage". Daraufhin wollte ich mehr erfahren und bin so in mehreren Gesprächen auf das Thema zu sprechen gekommen. Was ich dabei erfahren habe, hat mich teilweise sehr schockiert.

Zur Erklärung: Meinen Freiwilligendienst in Indien verbringe ich in Andhra Pradesh, dem siebtgrößten Bundesstaat, mit einer Fläche etwa halb so groß wie Deutschland. Die meisten der 49 Millionen Menschen leben auf kleinen Dörfern von der Landwirtschaft, große Städte mit Tourismus gibt es kaum. Wie man sich denken kann, leben die meisten Menschen sehr traditionell und einfach. Sie leben in ihrer eigenen kleinen Welt, haben meistens noch nie einen anderen Bundesstaat Indiens besucht. Dementsprechend sind sie wenig aufgeklärt und halten sich an Traditionen fest. Ein großes Problem des Bundesstaates ist die Bildung. Die Alphabetisierungsrate liegt nur bei 67% (unter dem indischen Durchschnitt), vor allem auf dem Land besuchen viele Kinder nie eine Schule. Unter den Analphabeten sind auffallend viele Mädchen. Frauen werden meist als Hausfrau und Mutter angesehen, die Mädchen besuchen nur bis zu ihrer Heirat die Schule, danach sind sie für den Haushalt zuständig, auch wenn sie erst Teenager sind und nicht mal die High School beendet haben. So wurde zum Beispiel eine Köchin meines Hostels mit 12 verheiratet. Die Schule hat sie bis zur 7. Klasse besucht, danach nicht mehr. Kein Wunder, dass sie kein Englisch kann und selbst Telugu, ihre Muttersprache, nicht fließend lesen und schreiben kann. Und das ist nicht das einzige Beispiel. Fast alle Mütter der Mädchen meines Hostels wurden als Kinder verheiratet. Ein Mädchen aus der 9. Klasse erzählt mir, dass zwei Mädchen aus ihrer Klasse mit der Schule aufgehört haben, da sie jetzt verlobt sind und bald heiraten werden. Und ein 18-jähriges Mädchen ist nach den Sommerferien nicht mehr ins Hostel gekommen, da sie im August heiraten wird. Dabei hat sie mir noch vor einem halben Jahr erzählt, wie toll sie es findet, dass ihre Eltern sie aufs College gehen lassen. Dieses wird sie nun nicht beenden, hat also keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Ich habe viel über dieses Thema nachgedacht. Was den Mädchen alles genommen wird. Nicht nur eine gute Ausbildung, auch die halbe Kindheit. Mit 12 Jahren, da habe ich mich noch mittags mit meinen Freunden zum Spielen verabredet und hatte keine anderen Sorgen als die nächste Mathearbeit. Ich kann mir nicht mal vorstellen, jetzt, mit 20 Jahren zu heiraten, geschweige denn mit 12 oder 13 Jahren. Und auch wenn viele es nicht so schlimm finden, wenn die Mädchen 15 oder 16 sind, auch dann ist man immer noch ein Kind und meiner Meinung nach nicht heiratsfähig.Doch warum werden die Mädchen so früh verheiratet? Wie so oft spielt Geld eine Rolle. Die meisten Menschen auf den Dörfern Andhras sind sehr arm, sie rackern sich auf den vielen Reis- und Gemüsefeldern für einen Hungerlohn ab, der nicht reicht um die ganze Familie zu ernähren. Aufgrund der schlechten Bildung hat niemand eine Chance, weder Mann noch Frau, einen besseren Beruf zu bekommen. Meistens besteht eine Familie aus den Eltern mit 3-4 Kindern. Da das Geld nicht für alle ausreicht, werden die Kinder so früh wie möglich verheiratet, damit sie den Eltern nicht mehr auf der Tasche liegen. Die Schulgebühren sind eh viel zu teuer, das Geld wird für Wichtigeres wie Essen und Kleidung gebraucht. Der Teufelskreis geht so immer weiter, da auch die nächste Generation wieder auf dem Feld arbeiten muss und kaum genug Geld zum überleben hat. 

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Viele Menschen in Andhra Pradesh leben vom Anbau und Verkauf ihrer Produkte, hier auf dem Gemüsemarkt in Nandyal. (Foto: EMS/Janke)
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Mit den Mädchen aus meinem Hostel beim "Bangels" (Armreife) verzieren. (Foto: EMS/Janke)