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14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Natürlich haben auch wir ein Bild mit dem Brautpaar gemacht. Zu sehen sind Madhuri, das Brautpaar, Ich, Rekha und Sukanya. (Foto: EMS/Janke)
14. Juni 2017

Hochzeit und Familie

Paula J.

Paula J.

Indien
absolviert ihren Freiwilligendienst in einem Internat
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Partnersuche in Indien

Die Familie ist der Lebensmittelpunkt eines jeden Menschen. Hier in Indien noch viel mehr als in Deutschland. Meist auf engsten Raum leben Vater, Mutter und Kinder zusammen, oftmals noch mit anderen Angehörigen wie Großeltern oder Onkel und Tanten. Privatsphäre ist hier ein Fremdwort, ein eigenes Zimmer besitzen nur wenige, geschlafen wird im gleichen Raum, meist zwei Personen auf einem Bett. Lediglich verheiratete Paare schlafen in einem seperaten Zimmer. Sieht man das, kann man verstehen, dass der Zusammenhalt innerhalb der Familie groß ist. Eltern unterstützen ihre Kinder bis weit in das Erwachsenenalter hinein.Im Gegenzug dafür haben sie in vielen Angelegenheuten ein großes Mitspracherecht. Etwa wenn es um die Auswahl des Berufes oder der Ehepartner geht.

Wahrscheinlich wisst ihr alle, dass es in Indien das System der arrangierten Ehe gibt. Dabei wird meistens von den Eltern und Verwandten der Ehepartner anhand von Kriterien wie Wohnort, Abstammung, Alter, Religion, Beruf und Verdienst ausgesucht. Auch Kaste spielt immer noch, obwohl das Kastensystem offiziell abgeschafft ist, eine Rolle. Und nicht nur diese Faktoren sind wichtig. Wann ist die Familie zum Christentum konvertiert und warum? Was üben die Geschwister für einen Beruf aus? Wie steht es um das gesellschaftliche Ansehen der Familie? Hat sich auch nur eine Person der Familie etwas zu Schulden kommen lassen? Der Prozess der Partnerwahl gestaltet sich oft als sehr langwierig und kostspielig. Gerade die reicheren Familien scheuen keine Kosten und Mühen, setzen Anzeigen in die Zeitung, registrieren sich bei Internetportalen oder engagieren eine Agentur.

In den Dörfern läuft vieles noch über Mund-zu-Mund-Propaganda ab und die ganze Familie sowie Nachbarn helfen mit. Dort ist es auch oft noch so, dass schon in der Kindheit passende Ehepartner ausgesucht werden, ein Mädchen (7. Klasse) im Hostel hat mir letztens ein Bild gezeigt, auf dem sie mit ihrem zukünftigen Ehepartner posiert. Natürlich ist das alles noch ganz geheim und kein anderes Mädchen darf es erfahren. Mit der Hochzeit wird auch noch gewartet, jedoch nicht zu lange, eine Frau sollte möglichst vor ihrem 25. Lebensjahr heiraten und dann am besten mit 25/26 ihr erstes Kind bekommen. Leider gibt es auch immer noch viele Kinderehen, gerade in weniger entwickelten Bundesstaaten wie Andhra Pradesh.

Ist der passende Partner gefunden, lernen sich erstmal die Familien kennen. Ein essentieller Part. Alles kann noch so passend und füreinander bestimmt sein, mögen sich die Familien nicht, dann findet die Hochzeit nicht statt. Die Tradition besagt, dass die Tochter bei der Heirat ihre Familie verlässt und zu der Familie ihres Mannes zieht. Welcher Vater würde nun seine Tochter ziehen lassen ohne vorher die andere Familie bis aufs kleinste Detail zu prüfen? Telefonate, Treffen, die gesamte Familiengeschichte wird dabei aufgearbeitet. Dann muss sich noch über die Mitgift der Braut geeinigt werden. Auch heute ist es immer noch Praxis, dass der Vater der Frau einen "Brautpreis" bezahlt, womit heutzutage in den allermeisten Fällen die Hochzeit finanziert ist. Je nach Alter, Beruf und Familie steigt und fällt der zu leistende Beitrag. Viele Familien verschulden sich, fast schon regelmäßig bekomme ich zu hören, dass eine Frau Suizid begangen hat, da die Familie des Mannes mit immer höheren Geldforderungen kam.

Doch wie läuft eine Hochzeit ab? Ich war bis jetzt nur auf einer christlichen Hochzeit, die mich leider sehr enttäuscht hat. Wie viele andere habe ich das Bild einer riesigen, ausschweifenden Feier vor Augen. So sollen Hochzeiten im hinduistischen Rahmen auch sein. Anfang Dezember wurde ich von einem Mädchen aus dem Hostel eingeladen, mit ihr und ihren Freundinnen zu der Hochzeit ihres "Onkels" zu gehen. Ich bin mir dabei nicht sicher, ob es wirklich ihr Onkel oder nur eine Person aus der weiteren Familie war. Da in Indien fast alle Verwandten als Bruder, Onkel oder Tante bezeichnet werden können, sind mir die genauen Familienverhältnisse nie ganz klar. Es war auf jeden Fall ganz normal, dass ich als völlig außenstehende Person zu der Hochzeit kam. Der spannendste Teil des Tages kam gleich zu Beginn. Ich durfte kurz einen Blick in den häuslichen "Beauty salon" der Braut werfen. Sämtliche Frauen der Familie helfen dabei mit, Umengen an Blumen im Haar festzustecken, die Braut zu schminken und den Hochzeitssari perfekt zu binden. Der darauffolgende Gottesdienst bestand größtenteils aus Zeremonien wie dem Austausch von Ringen, Schmuck und  Blumenketten. Natürlich zwischendurch immer schön für die Fotographen posieren. Vom Ablauf her ähnelte es einem Hochzeitsgottesdienst in Deutschland.  Die anwesenden Gäste haben sich nicht wirklich für das Geschehen interessiert sondern lieber den neusten Klatsch und Tratsch ausgetauscht. Beim Hinausgehen wurde das Brautpaar, wie könnte es anders sein, mit Reis beworfen. Auf dem Kirchenvorplatz war eine Bühne aufgebaut, wo dann jeder mit dem Brautpaar ein Bild machen konnte. Danach gab es Mittagessen, welches aus Chicken, colour rice und einem kleinen Desert bestand. Das war dann auch schon alles. Vielleicht ging es dann noch im privaten Rahmen weiter, das habe ich aber nicht mehr mitbekommen. Leider hatte ich bis jetzt nicht die Chance, auf eine Hindu-Hochzeit zu gehen, die bestimmt spannender ist.

Eins möchte ich zum Schluss noch erwähnen: arrangierte Ehe bedeutet keineswegs, dass es eine Zwangsheirat ist. Heutzutage haben die jungen Erwachsenen ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Ehepartner und sagen auch deutlich ihre Meinung, wenn sie mit der Auswahl der Eltern nicht einverstanden sind. Viele meiner Mädchen im Hostel sind zwar begeistert, wenn ich von "Love marriage" erzähle, ernsthaft tauschen möchte aber glaub ich niemand. Ist ja eigentlich auch ganz bequem, wenn die Eltern einem einen Ehepartner aussuchen und man keine Kraft und Energie auf das "Finden der großen Liebe" verschwenden muss. Außerdem hat man so die Sicherheit, auf jeden Fall einen Mann zu finden. In einem sind sie sich alle sicher: die eigenen Eltern finden immer den Richtigen, schließlich kennen sie ihre eigenen Kinder ja auch am Besten.

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Meine kleine indische Familie: Bhagya (Warden meines Hostels) Rapha und ich. (Foto: EMS/Janke)