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Mitten im taktilen Gebärden (Foto: EMS/Held)
Mitten im taktilen Gebärden (Foto: EMS/Held)
19. Juni 2018

Wie man erblindet und doch wieder sehen kann

Leon

Leon

Jordanien
unterstützt eine integrative Schule für Gehörlose
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Interview mit Hanady in taktiler Gebärdensprache

Hanady ist taubblind und das Institut ist zu ihrem zu Hause geworden. Täglich begegne ich ihr und bin immer wieder erstaunt, wie sie ihr Leben bestreitet. Somit haben ich mir viele Fragen gestellt, auf welche ich mir in einem Interview mit Hanady Antworten erhoffte. Ich fragte also die zweite Verantwortliche der Taubblinden-Abteilung, Asma (sie ist gehörlos), ob ich nicht zusammen mit ihr ein Interview mit Hanady machen könnte. Asma fand diese Idee sehr gut und organisierte einen Termin. Also trafen wir uns und ich durfte das Interview aufzeichnen, sodass ich es später abtippen konnte.
Dabei war ich sehr froh, dass Asma mich bei meinen Fragen unterstützte, da sich taktile Gebärdensprache doch ein wenig von der normalen Gebärdensprache unterscheidet. Aber was ist taktile Gebärdensprache eigentlich? Man kommuniziert sozusagen über Bewegungen, da das Gegenüber ja nichts sieht und hört. Hanady versteht mich, indem sie meine Hände von oben greift und meine Gebärden erfühlt. Das ein oder andere Mal kam es dabei schon zu Missverständnissen, aber alles in allem ist das Interview sehr gut geworden. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass man einen kleinen Einblick in das Leben einer taubblinden Person erhaschen kann.  

 

Asma (A): Also, dort sitzt Leon. Er wird dir nun einige Frage stellen.

Hanady (H): Hallo Leon.

Leon (L): Hallo Hanady, wie geht es dir?

H: Mir geht es gut, Gott sei gedankt. Wie geht es dir?

L: Super. Gott sei gedankt.

H: Es ist schön, dass du da bist.

L: Danke, die Freude ist ganz meinerseits.

Da die Gebärde „Danke“ am Gesicht gebärdet wird, haben Hanadys Hände wegen der taktilen Gebärdensprache meine Brille ein Wenig verschoben.

H: Entschuldigung, dass ich deine Brille verschoben habe.

L: Kein Problem. (Die Gebärde, die ich hier verwendet habe, bedeutet im Arabischen, dass etwas ganz normal und alltäglich ist)

A zu H: Gerade wurde alles mitgefilmt, ist dies für dich okay?

H: Ja, damit bin habe ich kein Problem. Von mir aus sind Fotos und Videos erlaubt.

L: Erste Frage: Wie alt bist du?

H: 56.

L: Vor langer Zeit, als du geboren wurdest, warst du da schon taub und blind, nur taub oder konntest du vielleicht noch ein bisschen hören?

H: Als ich geboren wurde, war ich nur taub. Ich hatte zudem hohes Fieber. Nach meiner Geburt wurde ich sofort in ein Krankenhaus nach Amman gebracht, in welchem die Ärzte meine Gehörlosigkeit bestätigten.

L: War deine Sehfähigkeit auch beeinträchtigt?

A: Nein, sie war nur taub.

A zu H: Du hattest nicht nur eine Gehörschwäche, du warst völlig taub, oder?

H: Ja, ich war völlig taub.

Nun gab es kleines Missverständnis, da Hanady für ihre Fieberkrankheit eine ähnliche Gebärde verwendete, wie die Gebärde für Gehörschwäche. Aus diesem Grund hat Asma nochmals nachgehakt.

L: Wie alt warst du, als du erblindest bist? Wurde dein Sehvermögen langsam immer schlechter und schlechter oder hast du ganz plötzlich vom einen auf den anderen Tag nichts mehr gesehen?

Bei dieser Frage habe ich ziemlich ungenau gebärdet. Ein sehender, gehörloser Mensch hätte dies wahrscheinlich verstanden, für eine taubblinde Person war dies aber wirklich schwer zu verstehen. Deshalb hat sich Hanady zu Asma gewendet.

H zu A: Hat Leon gerade über sich selber geredet?

A: Nein, in diesem Interview geht es nur um dich. Du stehst im Mittelpunkt.

H: Alles klar.

A: Als du geboren wurdest, warst du taub?

Diese Frage wiederholte Asma, um wirklich sicher zu gehen, dass Hanady zum einen bei der Sache ist und zum anderen versteht, auf was ich hinaus möchte.

H: Ja.

A: Du konntest also sehen.

H: Genau.

A: Hattest du früher nicht mal eine Brille?

H: Doch ich kann mich daran erinnern. Zuerst konnte ich sehr schlecht sehen. Alles was in weiter Ferne lag, war verschwommen. Ich konnte schon noch normal laufen. Allerdings sahen manche Dinge für mich so aus, als wären sie direkt vor mir. Das hat mich dann manchmal erschreckt. Deshalb ging ich zum Arzt, welcher mir eine Sehhilfe gab. Dann konnte ich perfekt sehen und ohne Probleme laufen.

A: Wie alt warst du, als du deine Brille bekamst?

H: Ich war 20 Jahre alt.

A: Okay, jetzt folgt eine Frage: Hat sich deine Sehvermögen langsam verschlechtert oder warst du ganz plötzlich blind?

H: Also, ich ging zuerst zu einem Arzt. Der hat dann ein paar Bilder von meinen Augen gemacht und gemeint, dass etwas mit beiden Augen falsch sei. Daraufhin habe ich meine Brille abgelegt und konnte nur verschwommen sehen. Dann bekam ich Medikamente. Augentropfen. Nach einiger Zeit aber, konnte ich trotz meiner Brille nicht mehr gut sehen. Ab diesem Moment war ich fast blind. Am 14.3.2010 hat man mir dann meine Augen rausgenommen und von etwas Schwarzem gesäubert. Allerdings hat diese Operation nicht viel geholfen und wir haben uns weiter nach Hilfe umgeschaut. Außerdem hatte ich eine Zeit lang eine Angestellte aus Asien, die mich über den Tag unterstützt hat.

A zu L: Verstehst du, was diese Angestellte ist?

L: Ich denke schon. Genauso eine Angestellte, die wir hier auch an der Schule haben.  

A: Nicht wirklich, weil diese war nur alleine für Hanady verantwortlich. Sie hat Hanady durch den Tag begleitet, auf sie aufgepasst und geführt.

L: Okay, verstanden.

A zu H: Wie alt warst du, als du blind wurdest?

H: 40.

H zu L: Ich war 40 Jahre alt, als ich erblindete.

Hanady war sich nicht ganz sicher, da sie ja blind ist, ob ich auch das gesehen habe, was sie zu Asma gebärdete. Deshalb hat sie manches nochmal in meine Richtung wiederholt.

L: Ich habe alles verstanden.

H: Als ich blind wurde, war ich sehr traurig und habe viel geweint. Auch meine Mutter und mein Vater waren sehr traurig und aufgewühlt. Mein Vater hat allerdings auch gemeint, dass Gott mir dieses Leben geschenkt hat und aus diesem Grund bin ich Gott auch dankbar. Somit konnte ich mich wieder etwas sammeln. Daraufhin besuchten wir viele Krankenhäuser und hatten Gespräche mit verschiedenen Ärzten. Vor allem in Amman. Wir wurden oft weitergeleitet und an einen anderen Ort geschickt. Wir riefen auch verschiedene Personen an und fragten nach Hilfe. Ein Arzt in Amman stellte uns sogar eine Therapie in Aussicht, welche aber unglaublich teuer war.

L: Zusammengefasst, war deine Familie und du sehr traurig und ihr habt alles versucht, um dir zu helfen.

H: Genau und ein Arzt in Amman hat wieder Bilder von meinen Augen gemacht und uns eine Therapie in Aussicht gestellt. Diese war aber zu teuer und hätte alles in allem 2200JD gekostet.

L: Hat dich deine Familie während dieser Zeit unterstützt? Ich meine, sie sind mit dir in verschiedene Krankenhäuser gefahren und haben sich anscheinend gut um dich gekümmert.

Hier muss man anmerken, dass eine taubblinde Person keine Ahnung von dem hat, was um sie herum passiert. Man hört nichts, man sieht nichts. Dies ist unglaublich schwer und für die meisten Menschen auch unbegreiflich. Deshalb braucht jemand mit solch einer Behinderung immer eine Person, die erklärt, was gerade in der Umgebung so passiert. Jemand taubblindes muss dieser Person auch vertrauen. Ansonsten hat man so gut wie dauerhaft Angst, weil man ja nicht weiß, wo man ist und was um einen herum passiert.

Auch bei dieser Frage habe ich einfach mit Hanady so gebärdet (aber trotzdem in taktiler Gebärdensprache), als sei sie nur eine taube Person.

A zu L: Frag sie nochmal und füge am Ende ein „Jaodernein“ hinzu.

Daraufhin wurde Hanady von Asma nochmals daraufhin hingewiesen, dass es in diesem Interview nur um sie alleine geht. Dadurch kann Hanady die Fragen besser verstehen, da klar ist, dass jede meiner gebärden an sie gerichtet ist und nicht an jemand anderes.

Hanady hat nach dieser Erklärung von Asma die Frage auch verstanden.

H: Ja sie haben sich um mich gekümmert, da sie ihr bestes gegeben haben, mir zu helfen.

L zu H: Ich habe alles verstanden. Was hast du dann in dieser Zeit noch so gemacht, außer dass du Ärzte und Krankenhäuser besucht hast? Saßt du einfach lange Zeit herum?

H: Mein Vater war Händler und hat durch seine Arbeit verschiedene Hotels besucht. Meine Mutter hat den Haushalt gemacht. Ihr konnte ich manchmal helfen beim Abspülen zum Beispiel. Wenn mein Vater dann nach Hause kam und Fernsehen schaute, saß ich nur herum.

L zu H: Also hast du damals lange Zeit nichts gemacht?

Auch hier hat Asma nochmals die gleiche Frage an Hanady gestellt, um sicher zu gehen, dass sie diese auch versteht.   

H: Ja genau. Das war eine schwere Zeit und das lange sitzen und nichts tun hat mich auch sehr genervt.

L: Wie alt warst du, als du hier zur Schule kamst?

H: Das war 2011. Damals habe ich zuerst eine Lehrerin vom Institut getroffen. Sie war eine Freundin meiner Tante. Sie hat viel mit mir geredet und mir manches über das Institut erklärt. Danach haben wir bei Brother Andrew (dem ehemaligen Rektor der Schule) angerufen. Er hat uns zu Haditsche (der Leiterin der taubblinden Abteilung) weitergeleitet. Diese meinte, ich wäre herzlich willkommen. Danach kam ich mit meinem Bruder und der Lehrerin der Schule zusammen. Wir konnten ein Treffen mit Brother Andrew organisieren und wir erklärten ihm einiges über mich selbst. Wer ich bin, wie alt ich bin und so weiter. Meine Mutter und mein Vater sind zu der Zeit schon verstorben. Danach wurde ein Formular ausgefüllt und dann war klar, dass ich hier an der Schule bleiben kann. Die nächsten Jahre lang lebte ich also hier an der Schule. Ich traf mich oft mit dieser Lehrerin und sie brachte mir taktile Gebärdensprache und vieles mehr in der taubblinden Abteilung bei. Dann traf ich weitere Lehrer/innen für taubblinde Menschen.

Hier musste ich kurz nachfrage, wer denn die Personen waren, über die Hanady gerade so gesprochen hat. Gehörlose Menschen können nämlich mit Namen nicht viel anfangen, deshalb werden allen anderen Menschen Gebärden gegeben. Die Gebärde der Lehrerin (mit der Faust seitlich an den Kopf schlagen) und ihres Bruders (mit zwei Finger um den Mund herumfahren) kannte ich noch nicht. Deshalb musste ich nachfragen.

L: Du kamst also hier zur Schule und hast angefangen verschiedene Dinge zu lernen. Taktile Gebärdensprache oder auch Brailleschrift.

H: Genau, ich wurde in verschiedenem unterrichtet. Unter anderem durfte ich in der Berufsausbildung ein wenig helfen. Issa (der Maler) hat mir einiges über seine Arbeit erklärt und auch in die Autowerkstatt durfte ich manchmal mitgehen. Dort hat mich Joshua (der ehemalige Leiter der Berufsausbildung) manchmal herumgeführt. Öfters gehe ich auch zu den Mädchen in die Berufsausbildung und lerne Nähen oder Weben. Ich habe überhaupt sehr viel gelernt und war in vielem auch sehr gut. Bis heute verbessere ich täglich Brailleschrift und taktile Gebärdensprache.

L: Machst du auch manchmal Ausflüge und kommst raus aus der Schule?

H: Ja, meistens zusammen mit Asma. Dann fahren alle Taubblinden zusammen in einem Bus zu einer Blumenwiese. Ich liebe diese Ausflüge sehr und bin an diesen Tagen immer ganz glücklich. Asma macht dann häufig Bilder und Fotos, um ja nicht zu vergessen, wie schön diese Tage immer sind.

A zu H und L: Hanady liebt diese Ausflüge deshalb so sehr, weil sie früher lange Zeit nur zu Hause saß, vielleicht sogar versteckt wurde, und selten nach draußen gekommen ist. Ihr Geist (oder auch Verstand) war verschlossen. Sie hatte nicht viel zum Nachzudenken. Wenig Fantasie. Hier an der Schule hat sie dann plötzlich viel gelernt. Ihre Augen wurden sozusagen geöffnet. Sie hat angefangen sich wieder an Dinge und Erlebnisse zu erinnern. Und dies liegt alles nur daran, da sie viel gelernt hat. Darunter ist das Wichtigste die taktile Gebärdensprache, da sie sich nun mit vielen Menschen unterhalten und austauschen kann. Dadurch kann sie trotz ihrer Erblindung sozusagen wieder sehen. Hier am Institut kann sie mit viel Freude leben.

Während Asma dies zu Hanady mit einer Hand gebärdete, sodass ich es besser sehen konnte, hat Hanady mit ihrer freien Hand oft gemeint, dass sie dem zustimmt.

L zu H: Ich habe alles mitbekommen. Früher warst du also für eine lange Zeit nur zu Hause. Dir war langweilig. Hier an der Schule bist du aber sehr glücklich. Zurzeit kümmert sich dein Bruder um dich, wenn du nach Hause gehst. Versteht er Gebärdensprache und vor allem taktile Gebärdensprache?

H: Ich habe versucht ihn zu unterrichten, sodass er mir helfen kann und sich mit mir unterhalten kann. Allerdings wollte er dies nicht wirklich lernen, hat vieles schnell wieder vergessen und irgendwie war es ihm auch nicht so wichtig. Wenn er mir mal etwas erklären oder helfen wollte, hat er meine Hände immer falsch herum angefasst. Ich kann bis heute nicht wirklich etwas versteht, weil er mehr in der Luft herumfuchtelt, als gebärdet. 

Wenn man mit Taubblinden gebärdet, greift diese Person die eigenen Hände immer von oben. Dadurch kann man den Gebärden besser folgen. Hanady hat hier meine Hände falsch herum angefasst, um zu zeigen, dass ihr Bruder keine Ahnung davon hat, wie man sich mit einer taubblinden Person unterhält.

L: Das muss sehr schwer für dich sein. Nächste Frage: Hast du irgendwelche Hobbies, wie zum Beispiel Nähen, oder Dinge, die du gerne tust, wenn du nach Hause gehst? Viele Menschen schauen gerne Fernsehen, aber du bist blind. Viele Menschen hören gerne Musik, aber du bist taub. Sitzt du wirklich nur lange Zeit herum oder hast du nicht vielleicht doch manchmal etwas zu tun?

Auch hier musste Asma mir wieder helfen und Hanady erklären, was ich von ihr wissen wollte

A zu H: Wenn du nach Hause gehst und nicht in der Schule bist, sehen deine Tage dann immer nur so aus, dass du schläfst, isst, herumsitzt und dann wieder schläfst oder machst du manchmal auch noch etwas anderes?   

H: Manchmal lerne ich Braille und wiederhole vieles, was ich in der Schule gelernt habe. Mein Bruder ist manchmal außer Haus. Dann frage ich, ob man mal einen Ausflug machen kann. Allerdings ist es bis jetzt kaum dazu gekommen.

A: Aber es gibt noch mehr, dass du gerne tust oder?

Dieses Mal konnte Hanady auch Asma nicht folgen. Deshalb meinte Asma, dass wir kurz eine Pause einlegen sollten, da Hanady sich nicht mehr so gut konzentrieren kann. Ich kann dies sehr gut nachvollziehen. Man muss sich vorstellen, dass Hanady diese schweren Fragen versteht, indem sie die Bewegungen anderer Menschen erfühlt und ihnen folgt. Natürlich braucht dies viel Konzentration und einen klaren Kopf. Deshalb meinte Asma, dass wir Hanady kurz Zeit geben sollten, um sich zu sammeln.

5 Minuten später:

L: Wenn du nach Hause gehst, kannst du dich irgendwie beschäftigen?

H: Die Lehrer geben mir viele Blätter mit Brailleschrift mit und ich lerne das dann zu Hause. Außerdem nähe oder webe ich mit einem kleinen Webrahmen ein wenig.

L: Okay. Nächste Frage: Wie sieht dein Schulalltag hier an der Schule aus? Gibt es da einen Plan?

Hierbei hat Asma zu mir gemeint, dass ich die Gebärden Plan und Stichpunkte hervorheben soll.

H: Zuerst ziehe ich mich an und gehe zum Frühstück. Danach gehe ich in die Kapelle zur Morgenandacht. Daraufhin muss ich mich für die Schule aufstellen. Heute hatte ich zuerst Religionsunterricht. Danach stand Gebärdensprache und Brailleschrift lesen auf dem Plan. Dann stand die Teepause an. Nachdem ich einen Tee getrunken hatte, lernte ich ein Bisschen mehr über das Land Jordanien, wo zum Beispiel die einzelnen Sehenswürdigkeiten liegen. Danach habe ich gebetet. Dann stand Arabisch Unterricht an. Danach gab es Mittagessen und ich konnte in der Mittagspause ein wenig entspannen. Anschließend stand noch ein Treffen mit Father Louay (dem Direktor der Schule) zusammen mit einigen Lehrern der Taubblinden-Abteilung an. Danach konnte ich noch bei der Wäsche und in der Küche helfen.

Normalerweise kann man anhand der Reaktion auf die Aussage eines Menschen feststellen, ob derjenige diese verstanden hat. Meistens ist dies ein Laut oder einfach eine besondere Mimik (dies ist vor allem in der Gebärdensprache der Fall). Hanady bekommt aber weder das Eine noch das Andere mit. Deshalb erklärte mir Asma, dass Hanady beigebracht wurde, dass ein Klaps auf den Oberarm bedeutet, dass man etwas verstanden hat.

L: Bald beginnt der Ramadan. Wirst du auch fasten?

H: Natürlich. Dies ist eine feste Regel.

L: Freust du dich darauf?

H: Ich mag das Fasten, weil ich es im Auftrag von Gott mache. Einen Monat lang werde ich tagsüber nichts essen oder trinken. Zum Beginn des Ramadans gehen alle Kinder nach Hause. Dann bin ich auch zu Hause und kann dort, ohne den ganzen Tag in der Schule gewesen zu sein, entspannter anfangen zu fasten.

L: Nächste Frage: Manchmal sitzt du lange Zeit nur herum. An was denkst du in dieser Zeit?

Hierzu ist anzumerken, dass ich Hanady täglich beim Frühstück und Mittagessen unterstütze. Ich reiche ihr essen, unterhalte mich mit ihr und helfe ihr zum Beispiel beim beträufeln des Joghurts mit Öl. Sie braucht nicht viel Hilfe. Man muss ihr meistens nur das Essen reichen, weil sie nicht weiß, wo es steht. Wenn sie aber fertig gegessen hat und ich mich mit ihr fertig unterhalten habe, sitzt sie halt wieder nur herum und ich habe mich immer schon gefragt, an was sie in solchen Momenten denkt.

Weil Hanady auch dieses Mal meinen Gebärden nicht ganz folgen konnte, hat Asma mir wieder unter die Arme gegriffen.

A zu H: Wenn du mal wieder lange Zeit alleine nur herumsitzt, an was denkst du da?

H: Ich mache mir Sorgen um meinen Bruder. Was, wenn er stirbt? Wer kümmert sich dann um mich? Außerdem denke ich auch an die Schule und versuche Gelerntes nochmal zu wiederholen. Ich rufe mir dann auch immer wieder ins Gedächtnis, dass, wenn jemand mit mir gebärdet, ich fokussiert bleiben muss und nicht in Gedanken abschweifen darf. Aber ich danke Gott auch, dass ich am Leben bin.

L: Wenn du also alleine bist, machts du dir oft Sorgen? Vor allem um deinen Bruder. Während ich mit Hanady gebärdete, merkte ich, wie sie mir zustimmt. Wenn ich taub und blind wäre, wäre ich unglaublich traurig. Aber wenn ich dich sehe, wie du lachst und dein Leben in die Hand nimmst, habe ich riesen Respekt vor dir.

Daraufhin war Hanady den Tränen ziemlich nahe und auch sehr glücklich.

H: Dankeschön. Ich habe alles verstanden, was du gebärdet hast.

L: Jetzt hätte ich keine weiteren Fragen mehr. Wenn du mich allerdings noch etwas fragen möchtest oder du noch etwas anderes los werden möchtest, kannst du das jetzt gerne machen.

H: Okay. Ich würde einmal gerne jemand zu mir nach Hause einladen. Also Besuch bekommen. Einfach, dass ich nicht so oft alleine bin und etwas Gesellschaft habe. Wenn ich nämlich zu Hause bin, bin ich sehr oft isoliert von der Außenwelt. Da hätte ich gerne jemanden, der mir ein Wenig Gesellschaft leistet.

L: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Deshalb setze ich mich auch meistens zu dir beim Essen, um dich zu unterstützen und um dir auch zu erklären, was gerade in deinem Umfeld passiert. Vor allem, wenn gerade Gäste am Institut sind und diese zusammen mit dir an einem Tisch sitzen, setze ich mich zu dir, weil ich mir sicher bin, dass keiner der Gäste gebärden kann und du sonst ziemlich alleine wärst.

H: Und dafür bin ich dir auch sehr dankbar.

L: Keine weiteren Fragen. Vielen Dank. Das Interview war sehr interessant und hat mir viel Spaß gemacht. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast.

H: Ich danke dir. Du kannst sehr gut gebärden und die Gespräche und Fragen haben mir auch Freude bereitet.

L zu A: Danke auch für deine Unterstützung. Manchmal habe ich ein wenig zu schnell gebärdet und auch die falschen Gebärden verwendet. Ohne dich wäre dieses Interview nicht möglich gewesen, auch weil du eine Expertin in taktiler Gebärdensprache bist.

A: Kein Problem. Habe ich doch gerne gemacht.

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Das ganze Interview wurde mitgefilmt, sodass ich es abtippen konnte. (Foto: EMS/Held)
Das ganze Interview wurde mitgefilmt, sodass ich es abtippen konnte. (Foto: EMS/Held)
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Hanady, Asma und ich. (Foto: EMS/Held)
Hanady, Asma und ich. (Foto: EMS/Held)