
Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

Dinge, die ich vermisse (oder auch nicht)
Liebe Leserinnen und Leser!
In diesem Beitrag werde ich wahrscheinlich ins Schwärmen verfallen, wofür ich mich jetzt schon entschuldigen möchte. Nicht vorenthalten möchte ich Euch und Ihnen allerdings diese vier Dinge aus Jordanien, die ich in Deutschland vermisse.
Mein Schwärmen möchte ich aber zu Beginn mit ein paar Dingen relativieren, die ich nicht vermisse:
Da wären zum einen manche Männer, denen ich meist täglich auf der Straße begegnet bin. Nie gewöhnen werde ich mich vermutlich an die Blicke, anzügliche Gesten, an die Fotos, die ungefragt von mir gemacht wurden oder an manche Männer, die an mir vorbeifuhren und dabei nicht mehr auf die Straße, sondern nur noch auf mich schauten. Ich war selbst leider von sexueller Belästigung betroffen. Die Person wurde aber zur Verantwortung gezogen. Aber das ist zum Glück die große Ausnahme! Der große Teil der Männer, denen ich begegnet bin, hat mich sehr respektvoll und höflich behandelt und auf mein Wohl geachtet.
Zum anderen habe ich mich aufgrund der Abgeschiedenheit von der Theodor-Schneller-Schule und der großen Stadt darum oft einsam gefühlt. Es war nicht so einfach Freundschaften zu schließen und am Wochenende war oft niemand an der Schule. Deswegen musste ich darauf achten, dass ich beschäftigt bleibe, mich mit Leuten verabrede und Programm habe. Eine Stütze war in dieser Situation, dass ich mit Lisann und David zusammengewohnt habe. Danke an die beiden!
Und jetzt viel Spaß beim Lesen der Dinge, die ich vermisse:
Minibus fahren
Mit quietschenden Reifen hält ein Toyota Minibus neben mir an, als ich den Zeigefinger auf der Straße ausstrecke. „Yallah, Itla!“ (frei übersetzt: Auf geht’s, steig ein!) wird mir gesagt und ich springe in den Bus. Meist bekomme ich als Frau einen Sitzplatz zugewiesen, auch wenn der Bus schon voll ist. Mit rasender Geschwindigkeit brettert der Bus über die Straße und hupt, um potentielle Mitfahrende anzuwerben. Nach ein paar Minuten gebe ich dem Mann, der für das Öffnen der Türen und das Geldeinsammeln zuständig ist, 35 Piaster – den festen Fahrpreis für die Strecke nach Amman. Ich lehne mich in meinem Sitz zurück. Höre und sehe mich um. Meist läuft das Radio im Bus: Manchmal werden Suren aus dem Koran rezitiert, dann läuft das neuste, beliebteste Lied oder man kann schon etwas älteren Liedern lauschen (mein persönlicher Favorit!). „Nejmeh, Nejmeh!“, ruft der Mann, der vorher mein Geld eingesammelt hat. Damit sagt er eine Haltestelle an und die Leute, die aussteigen wollen, melden sich. Zwischendurch auszusteigen ist allerdings auch kein Problem.
Obwohl man seine Ankunftszeit nicht gut planen kann, das rasende Tempo mir manchmal Angst machte und ich anfangs das System nicht verstand, vermisse ich diese Art der Fortbewegung. Denn irgendwann kannte mich das Personal der Busse. Sie kannten irgendwann auch den Ort, an dem ich aussteigen wollte. Und einmal, ich war auf dem Rückweg vom Krankenhaus, wurde ich auf der gesamten Strecke kostenlos mitgenommen. Manchmal habe ich auch ein paar Gespräche mit Frauen neben mir geführt oder mich zu dritt in eine Reihe gequetscht, wenn es mal wieder voll war. Wie schon erwähnt ist es mir nicht leicht gefallen Anschluss in Jordanien zu finden, ich habe mich manchmal einsam in der Theodor-Schneller- Schule gefühlt. In den Bussen hatte ich allerdings immer das Gefühl „unter Menschen zu sein“.
Einkaufen
Lebensmittel einkaufen gehen ist eine Sache, die mir überall Spaß macht, nicht nur in Jordanien. Mit Lisann und David bin ich am liebsten in das Viertel Marka zum Einkaufen gegangen. Das lag circa zehn Minuten mit dem Minibus entfernt. Neben einem Supermarkt waren meine Lieblingsläden die Bäckerei und der Obst-und Gemüseladen. In der Bäckerei gibt es Fladenbrot auf Fließbändern, das dann frisch in Tüten verpackt wird. Manche Personen haben die Bäckerei mit überdimensional großen Brottüten verlassen, was ich sehr amüsant fand. Die Bäckerei habe ich auch aufgrund der vielen Torten und süßen Spezialitäten geliebt. Manchmal habe ich mir ein Stück Torte gegönnt und konnte bei der Hälfte nicht mehr weiteressen, weil es so süß war. Von charmanten, jungen Männern wurden wir im Obst-und Gemüseladen begrüßt, die uns mit der Zeit gut kannten. Hin und wieder haben wir ein bisschen Smalltalk geführt, bei dem mein Arabisch prima zum Einsatz kam. Mit der Zeit waren wir auch als Plastiktütenvermeidende bekannt. Der Obst-und Gemüseladen war mit Abstand mein Lieblingsladen in Jordanien. Nicht nur, weil er mir vertraut geworden ist, sondern auch weil das Obst und Gemüse zu schönen Türmchen aufgehäuft wurde und alles so frisch und lecker aussah.
Albanaat (arabisch für „die Mädchen“)
Wenn ich von den „Banaat“ spreche, meine ich die Mädchen aus meiner Familie im Internat, wo ich hauptsächlich gearbeitet habe. Zehn wundervolle Mädchen waren es insgesamt, die meine Zeit in Jordanien „versüßt“ haben. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich das erste Mal in die Familie kam. Ich hatte gerade in meinem Arabischkurs das Präsens gelernt, konnte es allerdings längst noch nicht anwenden. Ihr könnt euch also vorstellen, dass ich besorgt war, was die Verständigung mit den Kindern anbelangte. Doch die Sorgen waren erstmal vergessen, als die Mädchen auf mich zukamen und mich mit Fragen löcherten, die ich teilweise sogar verstand. „Wie heißt du? Hast du einen Bruder? Hast du eine Schwester?“, wollten sie wissen. Sie beeindruckten mich mit ihrer Offenheit und Neugierde. Relativ schnell war das Eis gebrochen.
Ich bin gerne in die Familie gegangen und habe Zeit mit den Mädchen verbracht. Wir haben zusammen gegessen, Englischhausaufgaben gemacht, gespielt, gebastelt und herumgesessen. Manchmal musste ich auch das eine oder andere Mädchen ermahnen, wobei ich nur damit drohen konnte ihnen abends kein Gutenachtlied zu singen. Autorität hatte Miss Maha, meine liebe Arbeitskollegin.
Mich von der Familie im Internat zu verabschieden, mit dem Gedanken, dass ich manche Mädchen wahrscheinlich nie wieder sehen werde, war nicht einfach.
Den „Banaat“ (Jawaher, Isra’a, Rahme, Nawal, Bisaan, Sadiin, Halla, Lujayn, Faize, Rawan) und Miss Maha wünsche ich nur das Beste!
Arabisch sprechen
Wenn ich zuhause in Deutschland irgendjemand unterwegs Arabisch sprechen höre, versuche ich ganz genau hinzuhören und zu verstehen. Am liebsten würde ich die Personen ansprechen, traue mich aber nicht… Ich höre mir arabischsprachige Lieder an, versuche in den Alltag im Zusammenleben mit meinen Eltern und meiner Schwester immer mal wieder arabische Wörter einzubauen.
In meinen Ohren klingt die Arabische Sprache wundervoll: Sie hört sich für mich mal rau, mal melodisch, poetisch und bildhaft an.
Es gibt Wörter, die ich sofort in meinen Sprachgebrauch aufnehmen würde (und teilweise auch schon aufgenommen habe), einfach, weil sie sich so schön anhören und Dinge gut erklären können. So mag ich das Wort „Alhamdulilah“ – Gott Sei Dank. Das kann man auf die Frage „Wie geht es dir?“ antworten. Ich mag auch das Wort „Insha’allah“, was so viel bedeutet wie „So Gott will“. Wenn mich zum Beispiel jemand fragt, ob ich morgen Zeit habe und ich mir unsicher bin, dann kann ich „Insha‘allah“ sagen. Ich weiß nicht ob ich kommen kann, aber so Gott will, werde ich da sein.
Liebe Grüße
Annika

