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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Hier bin ich am glücklichsten: umgeben von Kindern. Auf meinem Schoß sitzen Mera und Rena, im Hintergrund spielen Raja, Nahim und Karam (Bild: EMS/Schiller)
Hier bin ich am glücklichsten: umgeben von Kindern. Auf meinem Schoß sitzen Mera und Rena, im Hintergrund spielen Raja, Nahim und Karam (Bild: EMS/Schiller)
02. November 2018

Fremd sein in einem anderen Land

Anna

Anna

Jordanien
wirkt an einer integrativen Blindenschule mit
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In Deutschland habe ich mir vor der Abreise immer wieder die Frage gestellt, wie sich Fremde eigentlich anfühlt. Aber vorstellen konnte ich es mir nicht. Klar hatte ich mich schon einmal fremd gefühlt, beispielsweise am ersten Schultag in der neuen Schule, an der ich niemanden kannte. Ich war total verloren, kannte mich nicht aus und hatte das Gefühl, jeder guckt mich an und erkennt, dass ich die Neue bin. Aber ich habe Freunde gefunden, gelernt mich zurechtzufinden, mich an die neue Schule gewöhnt und nach nicht allzu langer Zeit habe ich mich nicht mehr fremd gefühlt. Solch eine Situation hat wahrscheinlich schon jeder Mensch einmal irgendwann in seinem Leben erlebt. Ich glaube aber, dass die meisten Gedanken, die man sich macht, nur Einbildung sind. Ich meinem Fall bin mir fast sicher, dass die meisten Menschen um mich herum mir nicht angesehen haben, dass ich eine neue Schülerin bin. Wie sollten Sie auch, ich wirkte vielleicht ein bisschen verloren, aber sonst sah ich aus wie jeder andere Schüler auch.

Hier in Jordanien habe ich schnell gemerkt, dass die Situation anders ist. Auf der Straße werde ich von vielen Menschen angeschaut, da ich durch mein äußeres Erscheinungsbild auffalle, nicht in das „Bild“ passe. Jordanien ist muslimisch geprägt, circa 93% der Bevölkerung (ungefähre Angabe, die Prozentzahlen variieren stark, je nach Quelle) gehört dem Islam an. Die Religion beeinflusst natürlich die Kleidung, die die Menschen tragen. Das gilt nicht für alle, aber die meisten muslimischen Frauen bedecken in der Öffentlichkeit ihre Haare und achten außerdem darauf, dass Beine und Arme ebenfalls verdeckt sind. Auf der Straße sind deshalb Frauen ohne Kopfbedeckung eher selten zu sehen und ich glaube, das ist das erste Merkmal, weshalb ich auffalle. Ich verdecke meine Haare nämlich nicht und achte zwar darauf, Beine und Schultern zu bedecken, aber vor allem mittags, wenn es warm wird, laufe ich in einem T-Shirt durch die Gegend. Man sieht mir an, dass ich nicht dem Islam angehöre, aber das ist nicht alles. Ich habe anscheinend irgendetwas Deutsches oder Europäisches an mir, jedenfalls erkennen viele Menschen auf der Straße recht schnell, dass ich ein Fremder bin, also nicht von hier komme. Deswegen begegne ich tagtäglich auf meinem Schulweg nicht nur neugierigen Blicken, sondern auch vielen englischen Sprüchen wie „Welcome to Jordan“, „How are you“ und „I love you“. Dazu kommen noch viele hupende Autos, meistens sind dies Taxis, welche hoffen, mich als Kundschaft anwerben zu können. Ich bin ein Tourist, ich sehe anders aus und bin deswegen wahrscheinlich für viele Menschen interessant. Das ist auch gar nicht weiter schlimm, mir geht es ja genauso. Ich bin auf der Straße nur damit beschäftigt, alles ganz genau zu beobachten, die Autos, die Geschäfte und natürlich auch die Menschen.

Auf der Straße andere Personen anschauen und zu beobachten mache ich also auch, was stören mich denn dann die Blicke der Anderen so sehr? Mein Problem sind nicht die Blicke an sich, mich stört der Gedanke dahinter. Wenn Menschen auf der Straße auf mein Aussehen reagieren, dann sehen sie oft nicht mich als Person, sie sehen die Europäerin, die Deutsche oder auch einfach nur die Frau. Es stört mich sehr, dass ich in eine Kiste gesteckt und wegen meines Aussehens „verurteilt“ werde und ich glaube, dass das eine Sache ist, an die ich mich noch lange gewöhnen muss. Oft bleibt es nämlich nicht nur bei Blicken, wenn ich und meine Mitfreiwillige Annabelle durch die Innenstadt laufen. Wir bekommen Kommentare hinterhergerufen, welche sich auf unser Aussehen und unseren Körper beziehen. Meistens sind diese wahrscheinlich einfach nur nett gemeint, ich empfinde Sie aber als sehr unangenehm. Außerdem passiert es uns auch, dass Gespräche unterbrochen werden, wenn wir an Menschen vorbeilaufen, oder dass Personen ganz ungeniert und offen nur wenige Meter neben uns lautstark über uns reden. Wenn diese Dinge Einzelfälle wären, dann würden Sie mich glaube ich gar nicht so aufregen. Aber da diese Situationen nun schon sehr oft aufgetreten sind, beginne ich, sie als sehr nervig und anstrengend zu betrachten.

Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich bin bestimmt nicht die einzige Person, die solche Dinge schon einmal erlebt hat. Auch in Deutschland werden Menschen auf der Straße angeschaut und auf ihr Aussehen reduziert. Das kann eine Person mit einer körperlichen Beeinträchtigung sein oder ein Mensch, der nach Deutschland geflüchtet ist. Ich bin mir sicher, diese Menschen begegnen in Deutschland ähnlichen oder noch schlimmeren Blicken und müssen damit tagtäglich leben. Für mich ist sicher, dass ich in 8 Monaten nach Deutschland zurückfliegen werde und dort wieder unbemerkt durch die Straßen laufen kann. Aber andere Menschen haben nicht das gleiche Privileg. Sie müssen mit den Blicken und vielleicht sogar dummen Kommentaren oder Anfeindungen leben und können daran nichts ändern.

Ich selbst habe schon oft genug in meinem Leben Menschen auf der Straße hinterhergeguckt. Aber ich beginne darüber nachzudenken, was solche Reaktionen in einem Menschen auslösen. Vor allem, wenn mit den Blicken auch gleichzeitig Vorurteile und Stereotypen verbunden sind. Ich kann jetzt aus eigener Erfahrung sagen, dass solche Blicke und Reaktionen auf der Straße das Gefühl, fremd zu sein, verstärken. Man fühlt sich wie eine Ausnahme, nicht als Teil der Gruppe. Ich bin deswegen immer sehr froh, wenn mein Schulweg zu Ende ist und ich in der Arab Episcopal School angekommen bin. Hier kennen mich alle, ich fühle mich akzeptiert und kann in die Rolle von Miss Anna, wie ich in der Schule genannt werde, schlüpfen.

Ich möchte keinesfalls, dass dieser Blogeintrag zu negativ aufgegriffen wird. Alle Aussagen, die ich in diesem Text tätige, sind meine persönlichen, subjektiven Erfahrungen und Meinungen und dieser Teil meines Aufenthalts ist zwar nervig und unangenehm für mich, aber er ist nur ein kleiner Teil. Ich möchte außerdem nochmal darauf hinweisen, dass die gleichen Dinge, von denen ich hier berichtet habe, genau so auch in Deutschland und wahrscheinlich überall in der Welt passieren. Es geht mir zurzeit auch sehr gut, ich habe viel Spaß bei der Arbeit und fühle mich in der AES sehr wohl. Das Thema „fremd sein“ hat mich in den letzten Wochen einfach nur sehr beschäftigt und ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht.

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Die al-Husseini-Moschee in Amman, bisher die schönste und größte Moschee, die ich in Jordanien gesehen habe. (Bild: EMS/Janke)
Die al-Husseini-Moschee in Amman, bisher die schönste und größte Moschee, die ich in Jordanien gesehen habe. (Bild: EMS/Janke)
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Annabelle und ich auf dem Innenhof der Arab Episcopal School ganz klassisch mit Jordanienflagge als Fotohintergrund. (Foto:EMS/AES)
Annabelle und ich auf dem Innenhof der Arab Episcopal School ganz klassisch mit Jordanienflagge als Fotohintergrund. (Foto:EMS/AES)