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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Unterricht in der Taubstummen-Klasse (Foto: EMS/Thiel)
Unterricht in der Taubstummen-Klasse (Thiel/EMS)
14. Juli 2019

Gedanken zu meiner Arbeit im RBM

Merle

Merle

Indonesien
unterstützt eine Einrichtung für Kinder mit Behinderung
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Meine Einsatzstelle war das RBM (Rehabilitasi Bersumberdaya Masyarakat), das heißt gesellschaftlich verankerte Rehabilitation und beschreibt das wichtigste Ziel: Bewusstsein in der Gesellschaft für Menschen mit Behinderungen schaffen!

Zu Beginn meiner Arbeit wurde mir erklärt, dass Behinderungen auf Fehltritte in der Familie zurück geführt werden und Menschen mit Behinderungen in Indonesien deshalb aus der Öffentlichkeit gehalten werden. Dies ist aber nicht zu verallgemeinern, denn während meiner Arbeit im RBM konnte ich beide Seiten erfahren: Familien, die ihre Kinder mit Behinderungen bestmöglich unterstützen und lieben, andererseits Familien, die ihre Kinder aufgrund von Behinderungen vernachlässigen.

Geschichte des RBM:

Das RBM ist 1994 aus der kirchlichen Frauenarbeit in Toraja hervorgegangen. Zu Beginn wurde über eine Einrichtung nachgedacht, in der die Kinder mit Behinderungen dauerhaft wohnen und betreut werden können. Diese Idee wurde jedoch nicht umgesetzt, denn man wollte die Sichtweise auf Menschen mit Behinderungen grundlegend verändern und Menschen im Umgang anlernen. 

Zu Beginn suchten Mitarbeiter des RBM aktiv in umliegenden Dörfern nach Familien mit Kindern mit Behinderung und nahmen sie in das Programm auf. Heute ist dies nicht mehr nötig und Eltern kommen eigenständig aufs RBM zu und suchen Hilfe.

RBM heute:

Heute arbeiten rund 30 Menschen in verschiedenen Einrichtungen. Meine Einsatzstelle lag ungefähr zehn Minuten mit dem Roller vom Zentrum Rantepaos entfernt, auf einem kleinen Berg mit Sicht auf die umliegenden Reisfelder.

Ich arbeitete in einer Schule des RBM und in dem Besuchsdienst. Eine Arbeitswoche in der Schule ging von Montag bis Donnerstag und es waren meist zwischen zehn bis 15 Kinder und fünf Ibus anwesend, die mit den Kindern lernten. Weiterhin kochte eine Frau täglich für die Kinder, Pak Eddie war für die Abholung der Kinder von zu Hause verantwortlich und Ibu Sarungallo, die Verantwortliche des RBM und ihr Sekretär waren für offizielle und bürokratische Angelegenheiten zuständig. 

Ein Tag im RBM (war eigentlich so vorgesehen):

9.00-10.15 Unterricht (variierte ganz häufig und wenn Kinder schon fertig waren durften sie früher gehen)

10.15-10.30 Spielen

10.30-11.30 Basteln von Torajaschmuck

11.30-12.00 Mittagessen

12.00 Beten und anschließend nach Hause fahren

… änderte sich aber sehr häufig ! :D

Noch genau kann ich mich an meinen ersten Arbeitstag und meine Überforderung erinnern. All die Ibus mit den ähnlichen Namen, die Sprachbarriere, die vielen Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen und niemand, der mir wirklich zeigte, wie ich mich einbringen kann. Mit der Zeit lernte ich viel dazu, zu Beginn durch zuschauen und später, als mein Indonesisch besser wurde, durch nachfragen. Was meine Arbeit in der Schule zu Beginn so schwer machte, war mein fehlendes Wissen bezüglich der Kinder und ihren Handicaps. Erst mit der Zeit verstand ich, dass einige Kinder taubstumm sind und andere geistige Behinderungen haben. Dass in den ersten Wochen aufgrund von Krankheitsfällen alle in einer Klasse unterrichtet wurden, machte es unglaublich chaotisch und ich fing an, den Sinn meiner Arbeit zu hinterfragen, denn in einer Stunde Unterrichtszeit wurden häufig drei Bibelverse an die Tafel geschrieben und die Kinder sollten sie abschreiben. Doch mit der Zeit entwickelten sich wieder feste Strukturen: Die Kinder wurden in drei Klassen eingeteilt, je nach ihren Bedürfnissen und auch ich verstand, dass es hier um mehr als das Lernen geht. Viel wichtiger sind die sozialen Kontakte und die Aufmerksamkeit, die den Kinder im RBM ermöglicht werden.

Meine Aufgaben in der Schule:

Während ich zu Beginn den Kindern hauptsächlich beim Schreiben half, war meine Hauptaufgabe nach einigen Wochen mit zwei Jungen (William, der Downsyndrom hat und Effrat der verhaltensauffällig ist) in einem Raum zu spielen, da Frontalunterricht nicht das richtige für sie wäre. Anfangs war es schwierig für mich die Kinder ihren Bedürfnissen entsprechend zu betreuen, doch mit der Zeit gewöhnten wir uns aneinander. William verbrachte seine Zeit am liebsten im Bällebad oder erkundete die Flure, was mit sehr viel Fangenspielen meinerseits verbunden war. :D

Effrat summte zu Beginn immer vor sich hin und redete kaum, doch als ich ihm dann eine Melodie aus dem Unterricht vorsang, entdeckten wir seine Vorliebe fürs Singen und er öffnete sich mir mehr und mehr, was ein schönes Gefühl war.

Anna, eine taubstumme Lehrerin im RBM kann super Englisch und war mir meine Zeit über eine große Hilfe. Zu Beginn verständigten wir uns per Zettel und Stift, doch relativ schnell brachte sie mir geduldig die Grundlagen der Gebärdensprache bei. Die Gebärdensprache zu lernen war eine unheimliche Bereicherung für mich, denn so konnte ich mich besser mit Anna und auch mit den taubstummen Kindern verständigen. Gleichzeitig durfte ich dadurch auch immer öfter in der Taubstummen Klasse unterrichten, was mir viel Freude bereitete. Ich übte mit den Kindern die Zeichen für das Taubstummen-Alphabet und half ihnen dabei Worte richtig auszusprechen. Durch das Tasten der Stimmbänder oder das Fühlen vom Luftstoß beim Sprechen konnten sie Worte aussprechen ohne sie zu hören und da ich die einzig Hörende im Raum war, sollte ich die Aussprache bewerten und verbessern. Das war unglaublich spannend und beeindruckend zugleich, denn die Kinder waren so ehrgeizig und motiviert die Aussprache zu lernen, obwohl es sehr schwierig und fordernd für sie ist. Aldi, ein taubstummer Junge übte zu Hause mit seiner Familie viel und seine Aussprache war so gut, dass man fast alles verstand. Die Wissbegierigkeit und der Ehrgeiz der Kinder, faszinierten mich sehr oft.

Nach dem Unterricht half ich den Kindern beim Perlenschmuck basteln, welcher verkauft wird und zum Abschluss aßen alle gemeinsamen Mittag und beteten bevor der Heimweg bevorstand. Neben dem Schulalltag wurden im RBM auch häufig Gäste erwartet, die dann Aktivitäten mit den Kindern im RBM unternahmen. Gleichzeitig konnte das RBM diese Termine nutzen und den Menschen zeigen, was diese Kinder leisten können und die Ziele und Werte des RBM verbreiten.

Meine Aufgaben im Besuchsdienst:

Freitag und Samstag waren für den Besuchsdienst vorgesehen, doch auch hier wurden Besuche spontan zu- oder abgesagt. Der Besuchsdienst gilt Kindern, die in entlegenen Dörfern wohnen und unter Spastiken leiden. Die Spastiken sind entweder angeboren, durch Komplikationen bei der Geburt entstanden oder durch Unfälle im Laufe der Kindheit. Die Ibus im RBM wurden von einem niederländischen Arzt angelernt, welcher jährlich zurückkehrt und Weiterbildungen gibt und die Behandlung der Kinder prüft. Aufgabe der Ibus ist es durch Physiotherapie die Spastizität einzudämmen, auch wenn eine Heilung nicht möglich ist. Doch fast noch wichtiger als die medizinische Versorgung ist die seelische Arbeit und Aufmerksamkeit. 

Den Familien das Gefühl zu vermitteln nicht alleine gelassen zu werden und sie im Umgang mit ihren Kindern zu unterstützen, ist von großer Bedeutung. Meine Rolle in der Arbeit zu finden, fiel mir zu Beginn nicht leicht, denn die Sprachbarriere machte es kompliziert, mit den Familien ins Gespräch zu kommen. Als mein Indonesisch besser wurde, konnte ich mich mehr einbringen und mit den Familien austauschen, was sehr geschätzt wurde. Bei einigen Kindern konnte ich die Ibus auch bei der Physiotherapie unterstützen, doch da bis Januar ein ausgebildeter Physiotherapeut aus den Niederlanden im RBM arbeitete, machte er die Hauptarbeit und erklärte viel, was mir ein besseres Verständnis für die Thematik gab. Neben den interessanten und anspornenden Seiten der Arbeit, gab es auch einige traurige Situationen und Schicksale von Kindern, die mich tief ergriffen und zweifeln ließen. 

Ich möchte von Faisal erzählen: Faisal ist als Jugendlicher aus einem Baum gefallen und seitdem vom Hals abwärts gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Seit dem Unfall vernachlässigt ihn nicht nur seine Familie, sondern auch all seine alten Freunde wendeten sich ab. Er lebt in einem entlegenen Dorf, in einem einfachen Holzhaus. Seine Eltern arbeiten als Reisbauern und somit ist Faisal tagsüber alleine. Da er ohne Unterstützung nichts machen kann, sitzt er tagsüber an einem Fenster, mit Blick auf die Reisfelder und guckt in die Ferne, 8 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. In seiner Hand hält er einen dünnen Stock, mit dem er sich die Tränen abwischen kann, denn seine Hand kann er nicht zum Auge führen. 

Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch bei Faisal und mein Gefühl, fehl am Platz zu sein. Mir stiegen Tränen in die Augen und ich ging kurz nach draußen, denn vor ihm zu weinen schien mir unpassend. Ich fragte mich wie es auszuhalten ist, all seine Freunde zu verlieren und der Eigenständigkeit durch einen Unfall beraubt zu werden. Wie es ist den ganzen Tag ins Leere zuschauen und von der Familie alleingelassen zu werden. 

Wir redeten mit Faisal, brachten ihm neue Kleidung und eine Musikbox, damit er wenigstens ein wenig Ablenkung hat und anschließend wurde er von der Ibu gewaschen, mehr konnten wir in dem Moment nicht tun. 

Als wir ihn zwei Wochen später erneut besuchten, trug er die selbe Kleidung wie bei dem Mal zuvor, seine Musikbox war nicht mehr auffindbar und in seinem Trinkbecher waren zig Ameisen. Faisal ist der „schlimmste“ Fall, der dem RBM bekannt ist, falls man solche Situationen überhaupt kategorisieren kann, doch diese Hilflosigkeit kurzfristig nichts bewirken zu können, macht die Arbeit so schwer. Umso mehr bewundere ich das Durchhaltevermögen, der Frauen die im RBM arbeiten, denn auch wenn kleine Erfolge zu sehen sind: für große, dauerhafte und flächendeckende Veränderungen im Umgang mit Menschen mit Behinderungen in Sulawesi wird es noch einige Jahre dauern. 

Doch Fortschritte sind sichtbar: In Makassar (Hauptstadt Sulawesis)  gibt es ein Ausbildungszentrum für Jugendliche mit körperlichen Einschränkungen, in dem sie verschiedene Berufe erlernen können. Während meiner Zeit im RBM begleiteten wir Arnol, einen Jungen aus Toraja nach Makassar, der dort die Möglichkeit bekam seine handwerklichen Fähigkeiten anzuwenden und eine technische Ausbildung zu machen, was in Toraja nicht möglich gewesen wäre. Solche Erlebnisse machen Mut und zeigen, dass Bemühungen und Engagement nicht umsonst sind. 

Die Arbeit der Menschen im RBM verdient großen Respekt und ich bin dankbar diese Arbeit ein Stück begleitet zu haben. Das Durchhaltevermögen, der Glaube an eine gerechtere Gesellschaft und die Freude am Arbeiten, haben mich inspiriert und bereichert.

Danke ! 

Mit diesem Beitrag verabschiede ich mich vom ÖFP-Blog. Es hat mir wirklich Spaß gemacht euch an meinem Freiwilligendienst teilhaben zu lassen, auch wenn es nicht einfach ist all das Erlebte in Worte zu fassen, doch ich hoffe eine möglichst anschauliche Darstellung von meinem Leben in Toraja gegeben zu haben. 

Viele Grüße Merle

 

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Einige der Kinder aus der Schulklasse im RBM (Foto: EMS/Thiel)
Einige der Kinder aus der Schulklasse im RBM (Thiel/EMS)
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Mit Ibu Anna, Ibu Rumissing und Ibu Rina, meinen Kolleginnen im RBM (Foto: EMS/Thiel)
Mit Ibu Anna, Ibu Rumissing und Ibu Rina, meinen Kolleginnen im RBM (Thiel/EMS)