
Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

Szenenwechsel 1.0
Eine Autofahrt, zwei Tage Makassar, 24h Parepare
Auch wenn dieser Blogeintrag nicht mein Alltagsleben beschreibt, wollte ich euch meine Erlebnisse in zwei anderen Städten nicht vorenthalten. Da ich die ganze Zeit über mit Indonesiern zusammen war, ist es aus meiner Sicht auch kein klassischer Touri-Ausflug gewesen. Genug der Rechtfertigung, allein die Anreise ist es schon wert erzählt zu werden...
Nachdem ich am Sonntag, dem 9. Oktober um 6:30 Uhr mit meinen Gastgeschwistern in die Kirche ging, ein Abendmahl an einer langen Tafel miterlebte und zwei Stunden später hektisch nach Hause rannte, um den Driver nicht zu verpassen, saß ich zuhause auf dem kleinen Balkon und wartete. Um 11 Uhr kam der Driver schließlich und sammelte mich und meine Gast-Ibu ein. Außerdem fuhren im Auto ein älteres Ehepaar mit und eine Frau mit ihrem dreijährigen Sohn, der friedlich auf ihrem Schoß schlief. Nachdem ich mit den beiden Ibus auf der Rückbank etwas geplaudert habe, holte ich mir beim Versuch zu schlafen die ein oder andere Beule, da bei jedem Schlagloch mein Kopf gegen die Scheibe knallte. Obwohl man hier sagen muss, dass die Straße schon erheblich besser ist, als zur Zeit meiner Vorfreiwilligen. Irgendwann erreichten wir dann auch Polewali. Ich sah lange staunend aus dem Fenster und bewunderte mal wieder Indonesiens wunderschöne Landschaft. Etwas hinter Parepare aßen wir in einem Warung, begleitet von den Gesängen der Muezzins. Mittlerweile war die muslimische Mehrheit der indonesischen Bevölkerung wieder spürbar und ich bewunderte erneut das selbstverständliche Zusammenleben der Christen und Muslime in dieser Gegend. Sehr gut gelaunt durch die generell gute Atmosphäre stieg ich wieder ins Auto und es ging weiter. Dabei rasselten kurze Regenschauer herunter, dicht gefolgt von schlagartig klarem Himmel. In Barru brummte der Automotor dann nur noch kurz auf, bevor er wieder ausging (ich war sowieso überrascht, dass dieses Auto solange durchhielt, da wir z.B. einmal mit etwa 60 km/h durch ein Schlagloch bretterten, wobei alle einfach nur lachten). So brachten wir etwa eine Stunde am Straßenrand zu. Während der Driver mit zwei anderen zur Hilfe geeilten Männern vor der offenen Kühlerhaube des grünen Toyotas stand, freundete ich mich mit dem dreijährigen Stefano an. Dann – Stefano und ich waren grade im Auto – schoben sechs Leute einschließlich der Ibu plötzlich das Auto an, um mit Schwung den Toyota zum Anspringen zu bewegen, doch leider ohne Erfolg. Als ich mich schon auf einen längeren Aufenthalt an Barrus Straßenrand gefasst machen wollte, hielt die Ibu auf einmal den Arm heraus, was ich dann auch tat. Und so waren wir fünf Minuten später wieder unterwegs und trampten das letzte Stück nach Makassar, d.h. gegen eine kleine Spende von umgerechnet etwa 2€ . Auf der Rückbank des Autos unterhielt ich mich dann mit einer muslimischen Ibu, deren Mutter aus Saudi-Arabien kommt, und einer im 7. Monat schwangeren Frau, die mir einen Mundschutz gab gegen die staubige Luft. Etwa eine Stunde später wurde ich geweckt, da wir endlich angekommen sind und von Wasty (Musas Schwester) begrüßt wurden. Sie studiert grade und wohnt in einer Art WG zusammen mit Willi, einem 19-jährigen “computer science“ - Studenten und seiner Schwester Nya, die schon arbeitet. Nya war letztes Jahr für sechs Monate als EMS - Freiwillige in Deutschland gewesen. Und zusammen mit Meri, die an diesem Abend aus Jakarta zurückgekommen ist quatschten wir noch zwei Stunden wobei wir auf den angenehm kühlen Fliesen direkt unter dem Ventilator saßen.
Am nächsten Morgen aß ich Nasi kuning (gelber Reis) und perkedal jagung (Zwiebel-Mais-Bratlinge) begleitet von durchgehend laufenden Barbie-Songs. Diese wurden für eine Zweijährige abgespielt, die vergnügt dazu tanzte und zusammen mit ihrer Mutter oft zu Besuch in der WG ist. So oft, dass mittlerweile auch Nya, Wasty und Willi die Songs auswendig können. Dieses Problem, dass viele kleine Mädchen eine Prinzessin sein wollen ist mir auch schon im TK aufgefallen, wo sehr viele Mädchen eine Frozen - Schultasche, - Jacke oder zumindest eine Frozen -Trinkflasche haben. Vor allem wird das durch einige Mütter noch gepusht, die ihre süßen kleinen Kinder auch wie eine Prinzessin behandeln. Sicher trifft das nicht auf alle zu, doch es ist mir schon häufiger aufgefallen. Diesen Trend gibt es natürlich nicht nur in Indonesien. Auch andere Länder wie zum Beispiel die USA oder Deutschland sind davon betroffen. Diesbezüglich gefährlich sind Filme, in denen den Kindern das klassische - in der heutigen Gesellschaft aber veraltete - Ideal der Weiblichkeit vermittelt wird. Meiner Meinung nach ist die Menge entscheidend - also wenn das Kind rund um die Uhr Zugang zu solchen Medien hat, ist es kein Wunder, wenn es diesem Trend nachkommt. Dies ist ein sehr großes Thema, das ich an dieser Stelle nur mal als Denkanstoß einwerfen wollte.
Aber zurück zu Makassar. Anschließend fuhren Nya, Meri und ich zum Kirchenbüro der GKSS, wo wir meinen Mitfreiwilligen Johann und Erasmus Hariawang trafen. Letzterer ist Vorsitzender der GKSS (Gereja Kristen Sulawesi Selatan) und gleichzeitig auch Johanns Gastvater. Zusammen gingen wir erstmal was essen und anschließend zu Erasmus´ Haus, das in der Nähe vom Flughafen ist. Am meisten beeindruckt hat mich ein ca. 2x3 m großes Foto an der Wand in der Küche, auf dem Erasmus mit Frau und Tochter im verschneiten Deutschland zu sehen ist (sie haben dort vier Jahre gelebt). Danach zeigte mir Meri noch ihren Lieblingsbuchladen aus ihrer Studienzeit in einer Shoppingmall und wir aßen in ihrem Lieblingscafé – ein sehr starker Kontrast zu Mamasa. Anschließend fuhren wir per Pete-pete zur Uferpromenade Pantai Losari. Pete-pete sind kleine türkise Minibusse mit offener Tür und manchmal auch sehr lauter Musik. Davon fahren so viele in Makassar herum, dass man nie lange am Straßenrand warten muss und eine Fahrt kostet grade mal 5000 Rupiah, umgerechnet etwa 33 Cent. Ein bezahlbarer Preis für die "normale" Bevölkerung. Am Pantai Losari angekommen machten wir sehr spontan eine inoffizielle Bootsfahrt, wo außer dem Besitzer und uns niemand mitfuhr. So fuhren wir zehn Minuten im Hafengelände herum, genossen den Sonnenuntergang und den Moment, der begleitet war von lauter Partymusik auf dem Boot und dem Gesang des Muezzins vom Ufer - diese beiden Klänge ergaben wirklich eine merkwürdige Mischung. Nach einem Picknick auf einer Parkbank und dem Beobachten einer Joggergruppe, die immer zwischen einer Strecke von 30m hin- und herrannte, fuhren wir zurück in die WG, wo wir nur noch träge von der Hitze auf dem Boden herumlagen.
Am Dienstag besichtigte ich zusammen mit Nya, Meri, Ibu und Johann den Rammang-Rammang Nationalpark – etwa anderthalb Stunden mit dem Auto von der Stadt Makassar entfernt. Zuerst von einem schmalen bunten Holzboot (allerdings mit Motorantrieb) aus und anschließend weiter zu Fuß entdeckten wir einen weiteren Teil von Indonesiens facettenreicher Natur inklusive einer Tropfsteinhöhle und Karstfelsen. Etwa eine Stunde „wanderten“ wir zwischen Reisfeldern entlang, über ein 30 cm breite Brücke, auf einen kleinen rauen Felsen, wo wir uns eine Kokosnuss gönnten. Und ich dachte, dass selbst dort Leute einen kleinen Kiosk betreiben, die vermutlich so einige Zeit ihres Lebens damit verbringen dazusitzen und auf Kundschaft zur warten. Ich möchte das gar nicht schlecht reden, vielmehr ist mir dieses Phänomen schon einige Male begegnet und ich bin immer wieder fasziniert von der Gelassenheit, die diese Menschen ausstrahlen. In der Dämmerung zurück in Makassar gingen wir noch in ein kleines Schwimmbad, wo Nya und ich versuchten Meri das Schwimmen beizubringen. Sie hat zwar 18 Jahre lang in Parepare, einer Stadt am Meer gelebt, aber wie so einige Indonesier nie schwimmen gelernt. Abends ging die ganze WG-Truppe dann zu Karaoke. Ich hatte sowas vorher noch nie gemacht und war ziemlich verwundert als wir plötzlich in einem abgeschotteten Raum saßen und ich anfangen sollte zu singen – besonders da ich in Deutschland nicht viele Leute kenne, die Karaoke mögen. Doch nachdem ich mich darauf eingelassen hatte war es eigentlich ganz amüsant. Willi schien allerdings die allermeiste Freude daran zu haben und ging zusammen mit seiner Schwester ordentlich zu der japanischen K-Pop-Band ECO ab.
Um 10 Uhr am nächsten Tag waren Meri und ich bereits in Parepare angekommen und ich lernte Meris Kinderfreundin und ehemalige Nachbarin Nadia kennen, die in einem wunderschönen dunklen Stelzen-Holzhaus wohnt. Zu dritt gingen wir zu der alten Grundschule der beiden, wo mir sofort viele Kinder in ihrer wunderschönen Batik-Schuluniform hinterherrannten und ich viele Fotos mit den muslimischen Lehrerinnen machte. Dann zeigte uns Nadia die Schule in der sie jetzt unterrichtet. Sie bestand aus TK, Grundschule (SD) und High School (SMP & SMA). Auch dort rannten uns die Mädchen und Jungs unterschiedlichsten Alters hinterher, aber sie waren echt gut drauf und wir hatten viel Spaß zusammen. So jagte ich beispielsweise einen 12-Jährigen, der vorher nakal (frech) gewesen war, weshalb ich ihn durchkitzelte und er dann vor mir wegrannte. Dabei bekam ich große Lust mit diesen Kindern zu arbeiten, besonders als ich erfuhr, dass ein Musiklehrer gesucht wurde. Dies ging mit einer Welle an Gefühlen einher, dass ich hier alles besser fand als in Mamasa, dass Parepare sowohl dörfliche Züge hat, als auch ein buntes Stadtleben bietet mit einer Art Stadtpark, Nachtmarkt, gelben Pete-pete und auch noch am Meer liegt. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, wurde mir aber auch klar, dass mir in den 24 Stunden, die ich in Parepare verbracht habe, natürlich nur die guten Seiten an dieser Stadt aufgefallen sind und ich blind war hinsichtlich all der negativen Dinge, die mir in Mamasa hingegen schon bewusst werden. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich froh bin im angenehm kühlen Mamasa zu wohnen und es auch toll ist – nur eben anders und vielleicht ungewohnter für mich. Deswegen brauche ich schlichtweg etwas länger, um mich richtig einzuleben.
Dann gingen Nadia, Meri und ich mit einem dicken Mangosaft in der Hand durch die beeindruckende Markthalle, besuchten zwei alte Freunde aus Meris Kindheitstagen – das lief auf beiden Seiten nicht ohne Tränen ab – und liefen anschließend über die idyllischen Gartenanlagen, auf denen viele Familien ihr eigenes Gemüse anbauen, zurück zu Nadias Haus. Abends gingen wir dann noch auf den Nachtmarkt, wo wir auf einer Mauer direkt am Meer aßen. Vorbei am Denkmal des 3. indonesischen Präsidenten, der aus Parepare kam, liefen wir zu dem zentralen Platz. Diesen umrundeten wir erstmal in einem bunt blickenden, Musik dröhnenden „Fahrrad-Tret-Auto“ mit einer Geschwindigkeit von etwa 5 km/h. Als wir uns in die Mitte des Platzes auf die Wiese setzten – ich fühlte mich sehr an schöne Abende in Dresden erinnert – gesellten sich noch vier Freunde von Nadia zu uns, von denen einer Soldat werden wollte, was ein angesehener Beruf in Indonesien ist.
Am nächsten Morgen brachen Meri und ich mit dem drei Stunden verspäteten Auto wieder nach Mamasa auf. Einen interessanten Umweg machten wir in ein Gebiet wo Ziegelsteine produziert wurden, um zwei Frauen einzusammeln. Dabei fühlte ich mich echt wie „in the middle of nowhere“. Nach mehreren Stunden schwitzender Fahrt, einer erfrischenden Mangopause und ausführlichen Gesprächen mit Meri über uneheliche Kinder und Indonesiens Müllproblem, ging es endlich in die Berge, wo es auch schlagartig kühler wurde. Beim Absetzen der beiden Frauen wieder mal etwas abseits, hatten wir noch eine kleine Panne, da ein Reifen neben der „Straßenplatte“ gestrandet war und 1m über der Erde hing. Doch nach etwa 20 Minuten haben die männlichen Mitfahrer das Auto wieder auf die richtige Bahn gebracht. Und wir erreichten Mamasa grade noch rechtzeitig um das Feuerwerk - anlässlich der neu eingeweihten katholischen Kirche - vom Balkon aus mitzuerleben.
Das ist jetzt eher eine Art langer Tagebucheintrag geworden. Aber zumindest ist es mir so möglich gewesen, gewisse besondere Momente und Situationen genauer zu beschreiben und eben nicht nur an der Oberfläche zu kratzen.

