Weltweit erlebt
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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Verschwommene Wahrnehmung, was White Saviorism bedeutet (Foto: EMS/Erstling)
Verschwommene Wahrnehmung, was White Saviorism bedeutet (Foto: EMS/Erstling)
16. Dezember 2019

Wir wollen doch nur die Welt retten?!

Valérie

Valérie

Indien
unterstützt ein Mädchenheim
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Seit ich in Indien bin hat sich für mich Einiges verändert. Mehr als die äußeren Veränderungen habe ich aber auch gemerkt, wie sich meine Einstellung verändert hat. Erst hier wurden mir Dinge bewusst, mit denen ich mich nie beschäftigt habe. Meine Hautfarbe, die mir hier ein privilegiertes Leben ermöglicht und mich vom Rest der Gesellschaft abgrenzt. Das neue Umfeld in dem ich mich bewege hat mich gezwungen mich mit meiner Position auseinanderzusetzen. Und es war wirklich höchste Zeit dafür.

Deutschland ist ein reiches Land mit einer Gesellschaft voller westlicher Werte. Auch wenn es an sich erst einmal sehr positiv klingt werden hier aber viele Dinge ausgelassen. Wie werden wir erzogen? Was lernen wir in der Schule über Länder des globalen Südens? Es scheint als spielt sich die Geschichte immer bei uns ab. Und die Gesellschaft lehrt uns, dass wir im Mittelpunkt stehen. Europa steuert die Welt. Anderen Ländern muss geholfen werden. Dieses Denken führt zu etwas, das in letzter Zeit immer häufiger aufgekommen ist: White Saviorism oder der White Savior Complex. Diesen abstrakten Begriff haben schon genug Westler*innen wunderbar mit Leben gefüllt: Westler*innen reisen in den globalen Süden um POC (people of colour) zu 'helfen' und 'etwas Gutes zu tun'. Die helfende Person nimmt dabei eine Art Messias-Rolle ein und hat mit dieser Tat die 'Welt besser gemacht'. Das Problem ist, es wird angenommen, dass Weiße es besser wissen und etwas von ihrem Wissen/ Reichtum/ etc. 'zurückgeben möchten'. Es klingt nach einem sehr noblen Grund um um die Welt zu fliegen. Doch das was damit ausgedrückt wird ist alles andere als gut. Doch woher kommt dieses Problem, und warum ist mir dieses Phänomen erst jetzt aufgefallen?

Auf der einen Seite sind es die Medien, die uns unterbewusst beeinflussen. Wir sehen Bilder aus dem globalen Süden meist nur, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Nachrichten von Wasserknappheit, Hungersnöten, Epidemien und Bürgerkriegen prägen unsere Wahrnehmung Afrikas und Asiens. Wir sehen Spendenplakate mit Bildern von dürren Kindern und hinterfragen es nicht. Es ist ein sehr einseitiges Bild. Und selbst wenn ein Verwandter in einem Land des globalen Südens war, sind seine Erzählungen immer schon voreingenommen von dem was er vorher über das Land erfahren hat.
Auch die Sprache, die wir verwenden verändert unseren Blick: Entwicklungshilfe; POC brauchen Unterstützung, da es ihnen nicht möglich ist sich selbst zu entwickeln. Oder Entwicklungsland. Woran wird der Entwicklungsstand gemessen? Was bedeutet entwickelt? Ist es nicht immer sehr eurozentrisch gesehen?

Das Problem ist die Einstellung, mit der sich Weiße auf den Weg in den globalen Süden machen. POC werden als hilfsbedürftig und unselbstständig aufgefasst, der Westler hilft, da er das Privileg dazu hat. So geht es dann leider auch vor Ort weiter. Wie kann eine Begegnung auf Augenhöhe passieren, wenn die eine Seite ein Gefühl der Überlegenheit hat? Und werden damit nicht Machtstrukturen reproduziert, die nach der Kolonialzeit hätten verschwinden sollen?

Die Frage ist auch, wie sich Westler*innen in ihrem 'Einsatz' darstellen. Ein Foto mit schwarzen Kindern und einem Weißen in der Mitte wirkt immer ganz nett, verstärkt aber erneut das Bild des 'White Saviors'. Und: wurden die Kinder gefragt, ob sie auf Bildern und Videos erscheinen wollen, die wild an alle Verwandten geschickt werden? Persönlichkeitsrechte, die man in Deutschland Jedem garantiert, werden missachtet. Aus der einzelnen POC wird eine Masse an 'vielen schwarzen Kindern, denen wir helfen'.  

Was mache ich also hier? Nehme ich auch die Rolle eines 'White Saviors' ein?
Natürlich war auch einer meiner Gedanken zu helfen. Ich merke aber mit der Zeit, dass es eher ich bin, der geholfen wird. Mir wird sehr Vieles bewusst, über das ich vorher nie oder selten nachgedacht habe. Ich hinterfrage Dinge, die ich gelernt habe einfach anzunehmen. Was immer 'richtig' und 'die Wahrheit' war verschiebt sich. Und das ist gut so. Viel zu Viele bleiben ihr Leben lang in dieser eurozentrischen Blase. Ich versuche, darauf zu achten nicht mehr in das Denken zu geraten, das mich als besser darstellt. Ich weiß nicht Alles besser, ich rette keine Menschen die schon immer auf meine Hilfe gewartet haben. Und doch war meine erste Reaktion auf dieses Thema erst einmal ausweichend.

Denn was passieren kann, wenn man sich mit neuen Meinungen konfrontiert sieht, ist eine Art Schutzreflex. Wir fühlen uns von denjenigen, die Probleme ansprechen falsch behandelt. 'Weiße Fragilität' ist ein weiteres Thema, das dann aufkommt. 'Ich bin doch kein Rassist' oder 'du übertreibst aber mit dieser Einstellung' sind mit Angst, Verletztsein oder Wut mögliche Reaktionen auf angesprochene strukturelle Probleme. Aber man muss kein Rassist sein, um rassistische Dinge zu denken, zu sagen oder rassistisch zu handeln. So ist es oft auch einfach nur gut gemeint, wenn Westler*innen in den globalen Süden reisen. Doch die Dinge anzusprechen ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Damit helfen wir auch bei uns lebenden Minderheiten, deren Meinungen zu oft überhört werden.

Ich hoffe es war nicht zuviel der Informationen. Es ist auf jeden Fall ein Thema, mit dem wir uns alle mehr beschäftigen sollten. Wenn ihr mehr über 'White Saviorism' wissen möchtet, habe ich euch meine Quellen verlinkt. Es sind interessante Artikel, die alles noch einmal besser erläutern. Wer Instagram hat kann sich bei @ffabae und @nowhitesaviors noch tiefer mit dem Thema auseinandersetzen.

Viele Grüße nach Deutschland und bis zum nächsten Mal,
Eure Valérie

www.thisisjanewayne.com/news/2019/11/21/reichweite-fuer-voluntourismus-instagram-der-white-savior-komplex/

wienerin.at/voluntourismus-was-wenn-hilfe-mehr-schadet-als-sie-gutes-tut

www.supernovamag.de/white-savior-complex-freiwillendienst-kolonialismus/

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Länder des globalen Südens werden oft auf ihre Schönheit begrenzt (Foto: EMS/ Erstling)
Länder des globalen Südens werden oft auf ihre Schönheit begrenzt (Foto: EMS/ Erstling)
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Begriffserklärung (Foto: EMS/Erstling)
Begriffserklärung (Foto: EMS/Erstling)