Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)
Hallo meine Lieben,
nun ist es soweit und ich habe einen Blick hinter die unbekannte Tür meines Freiwilligendienstes gewagt. Seit ungefähr 1 ½ Monaten wirken ständig neue Eindrücke auf mich ein und ich darf neue Erfahrungen sammeln. Genau von diesem ersten Erleben möchte ich euch nun berichten.
Den ersten Schritt machten wir sieben Freiwilligen am 9. September, als wir in Frankfurt in den Flieger nach Chennai (Tamil Nadu) stiegen. Bereits während des Fluges durften wir uns einen kleinen Eindruck von einem südindischen Reisgericht machen.
Orientierung
In Chennai angekommen, wurden wir Sieben von Rev. Solomon Paul der CSI (Church of South India) empfangen und in das CSI Synode Center gebracht. Gemeinsam verbrachten wir drei erlebnisreiche und für mich sehr hilfreiche Orientierungstage. Sehr eindrucksvoll empfand ich das Essen mit der rechten Hand und das Überqueren einer stark befahrenen Straße. Wir erfuhren sehr viel über verschiedene Projekte der CSI und wurden immer zwischen den Hauptmahlzeiten mit leckeren Snacks (Nüssen, Kuchen, Keksen) und Tee versorgt. Das Leben und die Kultur in Indien unterscheidet sich sehr von meinem Gewohnten und ich bin sehr dankbar, dass wir Sieben diese Erfahrungen am Anfang teilen und erleben konnten.
Von Chennai fuhren wir gemeinsam zum ersten Mal eine längere Zeit Zug. Das Ziel war Bangalore. Die Zeit verging jedoch wie im Flug, denn wir erhielten wieder Snacks (Popcorn, Samosa, Schokomuffin) und ein warmes Abendessen. In Bangalore am Bahnhof wartete ein Team der CSI auf uns, welches uns drei weitere Tage beim Eingewöhnen unterstützte. Wir machten beispielsweise eine sehr eindrucksvolle geführte Tour durch das Zentrum Bangalores. Dabei sollten wir darauf achten, welche Eindrücke uns glücklich, traurig, schockiert und wütend machten.
Zudem lernten wir in der zweiten Hälfte der Orientierungstage unsere Wardens (Betreuer/ innen) unserer jeweiligen Einsatzstelle kennen. Sie sind unsere Ansprechpartner, Begleiter und Freunde für die nächsten 10 Monate unseres Freiwilligendienstes.
In Bangalore hieß es dann Abschied nehmen. Wir Sieben brachen mit unseren Wardens zur jeweiligen Einsatzstelle auf und so trennten sich unsere gemeinsamen Wege. Meine Einsatzstelle liegt ungefähr neun Stunden von Bangalore entfernt. Zum ersten Mal stieg ich also mit meiner Warden Ester in einen komfortablen „sleeper bus“ ein und wir fuhren „schlafend“ die ganze Nacht durch. Ich wachte tatsächlich auch erst wieder um 7 Uhr auf, als wir in Sivakasi ankamen. Sivakasi ist eine größere Stadt und liegt ungefähr 15 Minuten mit dem Auto vom Elwin Center in Satchiyapuram entfernt. Ein Fahrer des Elwin Centers holte uns mit einer Auto- Rikscha ab und dort angekommen, wurde ich von ein paar Kindern und meiner zweiten Warden, Rebecca, herzlich mit einem Willkommensschild empfangen. Anschließend öffnete ich „meine neue Haustür“ und begann mit dem Erforschen meines neuen Zuhauses…
Elwin Centre – CSI School for the Mentally Retarded
Das Elwin Centre ist ziemlich groß, da es aus einer Schule für geistig behinderte Kinder, einer Schule für Gehörlose und zwei geschlechtlich getrennten Heimen, für Mädchen und Jungen besteht. Ich verbringe meine Zeit aber ausschließlich in der Schule und dem Heim für die geistig behinderten Kinder. Es gibt 13 Klassen mit jeweils 6-10 Kindern. Insgesamt besuchen 116 Kinder die CSI School for the Mentally Retarded.
In meiner ersten Woche im Center durfte ich direkt mit in die Klassen gehen. Da es die letzte Woche vor den Ferien war, wurden den Kindern ihre Examen abgenommen. Dabei testete der Schulleiter praxisnah ihre Entwicklung in verschiedenen Bereichen. Ein Bereich ist die Motorik, welcher beispielsweise durch das Öffnen und Schließen eines Flaschendeckels oder eines Schlosses getestet wird. Zudem war eine Aufgabe, dass sie einen Wasserbecher aus Pappe zu einem bestimmten Ziel tragen mussten. Der Schulleiter erklärte mir, dass es nicht so einfach für manche Kinder ist, da sie die Balance des richtigen Druckes herausfinden müssen, damit der Becher nicht überläuft. Das Examen wurde von der jeweiligen Lehrerin durchgeführt und die Ergebnisse wurden von dem Schulleiter festgehalten. Dabei wurde für jedes Kind individuell dokumentiert, in welchem Bereich es noch verstärkt Training und Förderung benötigt.
Wie sieht aber eigentlich ein typischer Tag im Elwin Center für mich aus?
Um 5.30 Uhr stehen alle Kinder auf, um ihre Zähne zu putzen, sich zu waschen und anzuziehen, den Hof zu kehren oder ihre Wäsche zu waschen. Dabei unterstütze ich gelegentlich die Kinder beispielsweise beim Einseifen, bei den Hemdknöpfen zu machen, bei der Körperpflege oder beim Haarzöpfe flechten.
Frühstück für die Kinder gibt es dann ab 8 Uhr. Hierbei unterstütze ich die Betreuer bei der Essensverteilung. Wenn die Kinder fertig sind, spülen sie ihre Teller ab und ein Schüler kehrt dann immer den Essensraum aus. Anschließend esse ich zusammen mit den Betreuern und Köchinnen.
Um 9 Uhr gehe ich dann zum Prayer (Gebetszeit) für die Erwachsenen, welcher auf Tamil stattfindet. Hierbei werden mehrere Lieder gesungen, es wird gebetet und eine Bibelstelle gelesen. Anschließend finden zwei Prayer für die Kinder statt. Einer für die Älteren und einer für die Jüngeren.
Die Lehrer wechseln sich beim Gestalten der Prayer ab! Während des Prayers singen die Kinder verschiedene Bewegungslieder und da ich die Liedtexte noch nicht singen kann, begnüge ich mich vorerst damit, die lustigen Bewegungen der jeweiligen Lieder mitzusingen.
Nach dem Kinder-Prayer beginnt der Unterricht. Ich habe die Wahl, in welche Klasse ich gehen möchte. Bisher bin ich jeden Tag in eine andere Klasse gegangen, um mir einen Überblick zu verschaffen, wo und wie ich mich am besten einbringen kann.
Mittagessen gibt es dann für die Kinder um 12.30 Uhr. Ich unterstütze wieder die Essensausgeber und esse selbst anschließend mit den Lehrern und Betreuern zusammen.
Bis 13.30 Uhr ist Mittagspause. Anschließend haben die Kinder noch einmal Unterricht bis 16 Uhr. Dann haben sie Freizeit, um zu spielen oder Wasser zu holen.
Nach der Schule ist für mich „tea time“ bei meinen Chefs im Büro und wir reflektieren den Tag auf Englisch. Lecker sind die kleinen Snacks, wie beispielsweise Chips, süße oder salzige Teigtaschen, Obst oder Kekse, die zum Tee serviert werden. Danach spiele ich meistens mit den Kindern. Sie lieben es beispielsweise mit mir auf dem Spielplatz zu sein, Fußball zu spielen oder einfache Klatschspiele auszuprobieren. Aber ich nehme mir auch Zeit für mich. Ruhe mich aus oder wasche von Hand meine Wäsche.
Vor dem Abendessen, welches um 19 Uhr beginnt, findet ein Abendprayer für die Kinder statt. Hierbei singen sie wieder Bewegungslieder und beten zusammen.
Nachdem die Kinder ins Bett gebracht wurden, schließen die Betreuer den Tag mit einem gemeinsamen Prayer ab. Den Abend verbringe ich dann manchmal noch mit ein paar Lehrern oder gehe in mein Häuschen.
Anfangs fiel es mir echt schwer, mich in den Tagesablauf einzufinden. Selten glich ein Tag dem anderen. Beeinflusst durch Essensspenden von externen Leuten, Elterntreffen, Problemen mit meiner Registrierung oder spontanem Einkaufen in Sivakasi gab es ständig Veränderungen. Natürlich machte es das für mich aber auch spannend und abwechslungsreich. Inzwischen habe ich mich an den ständig wechselnden Tagesablauf gewöhnt.
Herausfordernd finde ich auch, dass ich meine Aufgaben frei wählen darf und keine Vorgaben zur Mithilfe bekomme. Ich darf mich mit meinen Fähigkeiten und Interessen einbringen, wo ich gebraucht werde. Folglich habe ich mich sehr bemüht, viele unterschiedliche Situationen mitzuerleben und möglichst wenig zu verpassen. Zeit für mich ist schwierig einzuplanen.
Sehr gerne möchte ich mich in der Schule einbringen und den Unterricht mitgestalten oder einzelne Schüler unterstützen und fördern. Leider sprechen die Kinder nur Tamil und kommunizieren mit Zeichensprache, was unsere Verständigung deutlich erschwert.
Mit den Lehrern und Lehrerinnen verständige ich mich halb auf Englisch, halb auf Tamil und mit Händen und Füßen. Ich hoffe sehr, dass die Kommunikation zwischen uns immer besser gelingt und ich vielleicht dann die Chance bekomme, einzelne Projekte mit den Lehrern durchzuführen.
Bei meinen ersten Beobachtungen fiel mir auf, dass viele Kinder Schwierigkeiten in ihrer Fingerbeweglichkeit haben. Den Lehrerinnen habe ich daraufhin vorgeschlagen, Fingerübungen in den Unterricht mit einzubauen. Ich darf mir jetzt diesbezüglich Gedanken machen und Ideen sammeln. Einen Versuch habe ich schon in der sechsten Klasse gestartet. Ich wollte die Finger und die Hand der Kinder in den Vordergrund stellen. Also brachte ich meine Stifte und Papier in den Unterricht mit und malte um die jeweiligen Kinderhände bzw. -finger. Die Kinder hatten dabei die schwierige Aufgabe, ihre Finger dabei ganz ruhig zu halten. Anschließend sollten sie jeweils ihre gemalte Hand anmalen. Manchen ist dies nicht leichtgefallen.
Ich hoffe, dass ich in Zukunft noch mehr Fingerübungen gemeinsam mit den Lehrkräften durchführen darf und meine Ideen und meine Unterstützungsangebote für den Unterricht brauchbar werden. Ich erlebe die Lehrkräfte sehr offen und Neuem zugewandt.
Ein neues Zuhause zum Wohlfühlen…
Was mich wirklich immer wieder glücklich macht, ist die Offenheit und Energie der Kinder. Jedes Mal wenn ich über den Hof laufe, wird mir entweder zu gewunken, ein strahlendes Lächeln geschenkt oder begeistert “Akka” (große Schwester in Tamil) gerufen.
Alle Betreuer und Betreuerinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Wardens und meine Chefs haben mich sehr freundlich und fürsorglich aufgenommen.
In meiner ersten Woche im Elwin Center hatte ich Darmprobleme, was mir körperlich sehr zugesetzt hat. Jeder der mir in dieser Zeit begegnet ist, zeigte sich zuvorkommend und hilfsbereit. Die Chefköchin bemühte sich um spezielles Essen und Trinken für mich, meine Warden ging für mich Obst kaufen und kochte eine Suppe für mich und als wir uns dann für einen Arztbesuch entschieden, wurde ich durch meine beiden Chefs und beide Wardens begleitet.
Um noch mehr für mein Wohlbefinden und meine Gesundheit zu tun, habe ich begonnen, täglich Sport zu treiben. Da die Temperaturen eigentlich nur früh morgens milder sind, mache ich meine Sportübungen gleich nach dem Aufstehen. Das kostet mich zwar oft viel Überwindung, dennoch macht es mich glücklich und tut mir einfach gut.
Zu traditioneller südindischer Kleidung gehört bei vielen Frauen der Sari. Das ist ein sehr langes Stofftuch (ca. 5m lang), das mit einer besonderen Wickeltechnik um den Körper gewickelt werden muss. Diese Technik ist kompliziert und bedarf einiger Übung. Zwei Lehrerinnen haben mir anhand ihres eigenen Saris geduldig gezeigt wie dies funktioniert. Nun übe ich immer abends, wenn ich Lust und Zeit dafür habe, einen Sari um mich zu wickeln. Vor kurzem habe ich mir einen eigenen Sari gekauft. Die farblich passende Bluse wurde für mich angepasst und ab jetzt kann ich mit Üben beginnen.
Ich erlebe hier wirklich viel Herzlichkeit und Fürsorge und fühl mich sehr willkommen. Die Menschen hier scheinen ihre Türen für mich geöffnet zu haben und gerne trete ich bei ihnen ein.
Kolu Festival
Etwas Außergewöhnliches habe ich vor kurzem erlebt. An einem Abend fuhr eine Lehrerin mit mir zusammen zu einer hinduistischen Familie, welche mir das hinduistische „Kolu Festival“ in Sivakasi zeigen wollte. Die ältere Tochter der Familie, Pradeepa, spricht ziemlich gut Englisch und erklärte mir sehr viel über den hinduistischen Glauben. Als wir im Meditationshaus in Sivakasi ankamen, hatte die Veranstaltung bereits begonnen. Eine Tanzgruppe von mehreren Mädchen tanzte verschiedene traditionelle Tänze vor, die Geschichten von Göttern darstellen sollten. Die Tanzhaltung und Bewegungen waren sehr exakt und sahen sehr kompliziert aus. Mir wurde von Pradeepa erklärt, dass die Mädchen oft jeden Tag Tanzunterricht haben und mehrere Jahre lang die Tänze lernen müssen, bis sie perfekt aussehen. Es war wirklich sehr interessant, so hautnah mehr über den Hinduismus erfahren zu dürfen.
„Die unbekannten Türen“ und das was dahinter steckt scheinen nun nicht mehr ganz so fremd und ich habe das Gefühl, langsam anzukommen und mich an mein neues Zuhause zu gewöhnen.
Ich bin schon gespannt, welche Türen sich noch öffnen und was ich als Nächstes sehen und erleben darf. Gerne werde ich Euch davon berichten.
Bis dann,
eure Rahel