
Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

Kamerun - ein Land vor dem Bürgerkrieg? – Teil 1
Der historische Hintergrund der anglophonen Krise
Die ganze Welt blickte diesen Herbst auf Katalonien: Wie würden die Katalanen am 1. Oktober abstimmen? Würde danach wirklich die Unabhängigkeit ausgerufen werden? Kann es sogar zur gewaltsamen Eskalation des Konfliktes kommen?
Diese gab es hier schon. Denn Katalonien ist neben Kurdistan nicht die einzige Region, die 2017 versuchte, sich unabhängig zu machen. Just an dem Tag, an dem die Katalanen über die Unabhängigkeit abstimmten, riefen Separatisten hier, im anglophonen Teil Kameruns, die Unabhängigkeit aus. South Cameroon oder auch Ambazonia soll der neue Staat heißen. An diesem Tag griff das Militär brutal gegen Protestierende durch. Die Folgen: Mehr als 500 Inhaftierungen, mindestens 40 Tote, etliche Verletzte. Mediale Aufmerksamkeit bekommt dieser bedrohliche Konflikt in Deutschland kaum bzw. gar nicht. Dabei liegen die Wurzeln des Konfliktes durchaus auch in der Geschichte Deutschlands:
Nach dem 1. Weltkrieg ging die damals deutsche Kolonie Kamerun durch den Versailler Vertrag in den Besitz des Völkerbundes über. Der Völkerbund erteilte Großbritannien und Frankreich das Mandat zur Verwaltung dieses Gebiets. Großbritannien und Frankreich teilten das Land unter sich auf: Frankreich bekam vier Fünftel und Großbritannien ein Fünftel. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Völkerbundmandate durch die UNO in Treuhandmandate umgewandelt. Damit wurde das Ziel verfolgt, dass die Gebiete langsam in die Unabhängigkeit entlassen werden. Nach einem Unabhängigkeitskrieg erklärte sich der französisch besetzte Teil Kameruns am 1. Januar 1960 für unabhängig und nannte sich Ost-Kamerun. 1961 stimmte der britisch besetzte Teil in einer Volksabstimmung darüber ab, ob er zu Kamerun oder zu Nigeria gehören wolle. Die zwei nördlichen Regionen entschieden sich für Nigeria, die zwei südlichen dagegen für Kamerun. Mit dieser Abstimmung entstand die „Bundesrepublik Kamerun“ mit Ost-und Westkamerun als Teilstaaten und den Amtssprachen Englisch und Französisch (zusätzlich gibt es über 200 nationale Sprachen). Nach Reformen 1972 und der Umwandlung der Bundesrepublik in den Einheitsstaat „Vereinigte Republik Kamerun“ übernahm 1982 Paul Biya das Präsidentenamt. Dieses hat der inzwischen 84-jährige heute immer noch inne.
In den ca. 40 Jahren der französischen bzw. englischen kolonialen Verwaltung waren der anglophone Teil und der frankophone Teil immer verschiedener geworden: Nicht nur die offizielle Sprache war eine andere, sondern auch das gesamte Rechts- und Bildungssystem waren unterschiedlich konzipiert. Das änderte sich auch nicht, als Ost- und Westkamerun zu einem Staat fusionierten. Der anglophone Teil erhielt beim Beitritt zu Ostkamerun viele Zugeständnisse, z.B. für den Erhalt des Englischen und des britischen Rechtssystems, dem common law. Damals wurde dem anglophonen Teil ein föderales System versprochen, in dem es seine Besonderheiten behalten können sollte. In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich aber der Föderalismus immer mehr zum Zentralismus, durch den die frankophone Zentralregierung immer mehr Rechte bekam. Im anglophonen Teil hat sich viel Frustration angestaut: Die Menschen hier fühlen sich marginalisiert und diskriminiert, als Kameruner*innen zweiter Klasse. Sie beklagen z.B. die schlechte Infrastruktur: Während im frankophonen Teil z.B. die Straßen saniert wurden, gibt es in den anglophonen Teilen immer noch viele unbefestigte Straßen. Diese Unzufriedenheit spiegelt sich auch in den Wahlen wieder: Die einzige wirkliche Oppositionspartei des Landes hat ihre Stammwählerschaft in den beiden anglophonen Regionen. Da es aber nur zwei anglophone und acht frankophone Provinzen gibt, gewinnt immer der frankophone Kandidat Paul Biya. Viele Menschen halten die Präsidentenwahl damit für eine Farce und gehen gar nicht mehr wählen.
Wie die anglophone Krise in den letzten eineinhalb Jahren immer weiter eskaliert ist und wie sie meinen Freiwilligendienst beeinflusst hat, könnt ihr in meinem nächsten Blogbeitrag lesen!
