Liebe Blog-Leser:innen,
lange habe ich nichts mehr von mir hören lassen. Mittlerweile bin ich seit dem 09. April wieder zurück in Deutschland.
Meine letzten Tage und Wochen in Nagalapuram waren dann plötzlich doch prall gefüllt, da Schwester Kasthuri sich nochmal Zeit genommen hat, mir verschiedene Projekte zu zeigen. Ich durfte eine Schule für gehörlose Kinder und ein Zentrum für Kinder und junge Erwachsene mit geistiger Beeinträchtigung in Nazareth besuchen. Außerdem wurde mir das St. Luke’s Leprosarium in Peikulam gezeigt. Alle drei Projekte gehören der Diözese Thoothukudi-Nazareth an, in welcher sich auch das Centre befindet. In allen Projekten wurde sich viel Zeit genommen, um mir alles zu zeigen und Fragen zu beantworten.
Gerade über die Infektionskrankheit Lepra konnte ich viel lernen: In Indien gibt es die meisten Lepraerkrankten weltweit denn – Lepra zählt als Krankheit der Armen. Durch schlechte hygienische Verhältnisse und bei Menschen mit geschwächten Immunsystemen kann sich die Krankheit leicht verbreiten. Kaum eine Krankheit ist so stark von Stigmatisierung und Vorurteilen geprägt. Tatsächlich ist Lepra nur bei langem engem Kontakt ansteckend und kann eine Inkubationszeit von bis zu 20 Jahren haben. Zudem ist die Krankheit mittlerweile behandelbar. Für die Betroffenen ist Lepra vor allem durch den gesellschaftlichen Ausschluss, selbst durch Freunde und die eigene Familie besonders schmerzlich. Deswegen wird die Krankheit oft verschwiegen und zu spät behandelt. In Leprosorien werden die Erkrankten behandelt und können einfache Arbeiten ausüben, da es für sie quasi unmöglich ist eine Arbeitsstelle zu finden oder diese nach der Diagnose zu behalten. Der Besuch im Leprosorium war sehr bedrückend aufgrund der Verhältnisse in denen die Patient:innen dort leben – obwohl dieser Ort für alle eine enorme Verbesserung zu den vorherigen Lebensumständen darstellt.
Bevor ich zu meiner zwei-wöchigen Südindien Reise mit meinem Vater aufgebrochen bin, wurde ich von meiner indischen Familie mit einem Farewell mit Tanz und Theater verabschiedet. Ostern haben wir an meiner Einsatzstelle verbracht, wo für die Kinder und netterweise auch für uns wie in Deutschland ein Osternest versteckt wurde. Die Mädchen waren allerdings total übermüdet da der Ostergottesdienst schon um 3:00 beginnt und sie in der Nacht davor vor Aufregung nicht schlafen können und sich gegenseitig Mehendis (Henna Tattoos) malen. Dementsprechend chaotisch war dann auch meine endgültige Verabschiedung vom WWTC. Einige Mädchen hatten am gleichen Tag ihre Abschlussprüfung, für die sie noch bis spät in die Nacht gelernt haben und zu Allem Übel noch im 5:00 Gottesdienst zum Monatsanfang erscheinen mussten. Schlaf wird, sowohl bei den Mädchen als auch bei den Erwachsenen nicht gerade priorisiert und die Tage sind oft lange mit frühen Gottesdiensten Schule und Lernen. Hinzu kommen die immer heißeren Temperaturen so kurz vor den Sommerferien.
Als wir schlussendlich am Flughafen in Chennai auf unseren Flug warteten, war es für mich surreal dieses nun nicht mehr ganz so fremde Land wieder zu verlassen, auch wenn ich mich inzwischen sehr auf Deutschlang gefreut habe.
„Und? Wie war es in Indien?“ ist wohl die Frage, die ich in den letzten Monaten unzählige Male beantworten sollte. Ganz davon abgesehen, dass diese Frage gar nicht so leicht zu beantworten ist, hat sich meine Einstellung dazu von meiner Landung in Deutschland bis zum Schreiben dieses Blogbeitrags auch immer wieder verändert. Zunächst einmal ist Indien ein faszinierendes, oft paradoxes und sicherlich kein einfaches Land. Auf dem Zwischenseminar hat eine Mitfreiwillige recht treffend gesagt: „Indien ist sehr viel von Allem.“ Und das ist es tatsächlich, ins Positive wie auch ins Negative. Indien ist unvorstellbar bunt, voll Musik, Tanz, Gastfreundschaft, Essen, Schärfe, Süße, Kultur, Schmuck, Schönheit, Prunk, Festen und gleichzeitig gibt es auch viel Lärm, Dreck, Verkehr, Menschen, Müll, Straßenhunde und Armut. Reichtum und Armut sind oft in direkter Nachbarschaft zu finden.
Es war nicht immer leicht für mich diese Gegensätze unter einen Hut zu bringen. Oft hatte ich das Gefühl, gerade als ich dachte etwas verstanden zu haben über das Kastenwesen oder hinduistische Gottheiten, eine neue Information zu erhalten und hinterher noch weniger zu wissen als zuvor. Es gab Tage, an denen Indien für mich von „viel von Allem“ gekippt ist zu „zu viel“. Zu viel Hitze, ständige Musikbeschallung und zu viel von dem Leben, welches sich so stark zu dem Leben hier in Deutschland unterscheidet. Ich genieße es sehr, hier in Deutschland meine Selbstständigkeit im Alltag wieder zu haben, welche ich in Indien während meines Freiwilligendienstes größtenteils aufgeben musste. Gleichzeitig kam mir Deutschland bei meiner Ankunft trist und langweilig vor im Vergleich.
Aktuell merke ich, wie mich das Fernweh packt und ich viele Dinge aus Indien vermisse. Angefangen bei meinen kleinen Schwestern aus Nandyal, Nagalapuram und auch Chennai, für die das Leben nach den Sommerferien weitergeht. Die Faszination für Indien ist während meiner Zeit dort erst so richtig entfacht worden und ich merke, dass ich eine tiefe Verbundenheit zu diesem Land entwickelt habe, welche mich vermutlich nie ganz loslassen wird und die ich weiterhin durch Literatur, Film, Rezepte und Nachrichten pflegen kann. Ich bin noch nicht fertig mit Indien, zu viel gibt es noch zu sehen und zu entdecken.
Die Lebensrealität von den Menschen vor Ort und ganz besonders der Mädchen und Frauen, der Dalits, OCBs (Other backward castes) oder anderen religiösen Minderheiten hat mich stark betroffen. Beispielsweise habe ich von Schwester Kasthuri erfahren, dass eines der drei Mädchen, welches ihren Schulabschluss im März gemacht hat und studieren wollte nicht die Erlaubnis ihrer Eltern bekommen hat, da sie Geld verdienen soll für ihre Hochzeit. Während meiner Zeit im Ausland bin ich auch so vielen inspirierenden Frauen begegnet, welche echte Vorbilder für mich geworden sind.
Während des gesamten letzten Jahres standen wir Freiwilligen untereinander im monatlichen Kontakt per Online-Meetings und das Auswertungsseminar war eine ganz besondere Woche, auch wenn sie den Abschluss dieses besonderen Jahres dargestellt hat. Wir waren uns alle einig – ein Wiedersehen ist gewiss. Ich bin sehr dankbar, diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen. Sie wird mich noch lange begleiten. Es bleibt mir nur danke zu sagen an die CSI, ans WWTC, an die EMS, an meine Mitfreiwilligen und an meine Familie und Freunde für diese außergewöhnliche Zeit.
Und danke auch allen, die hier meine Reise mitverfolgt haben. Vielleicht habt ihr Lust noch in andere Blogs reinzulesen, ich freue mich schon auf die Berichte von den Freiwilligen 2024. Das wars von mir. Bleibt gesund :)
Liebe Grüße
Carolin
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