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Der Payyambalam Strand, 5 Minuten Fußweg von meiner Einsatzstelle entfernt (Foto: EMS/Oellig)
Der Payyambalam Strand, 5 Minuten Fußweg von meiner Einsatzstelle entfernt (Foto: EMS/Oellig)
09. Januar 2024

Routinen, Erziehung & Co

Luisa

Luisa

Indien
Mädchenheim
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Hallo liebe Leser und Leserinnen,

seit meinem letzten Blogeintrag ist bereits über ein Monat vergangen und ich durfte viele neue Erfahrungen und Bekanntschaften machen.

Gerade in diesem Moment sitze ich im Zug auf einer 13 stündigen Zugfahrt nach Nagercoil, wo im 20km weiter entfernten Azhagiapandipuram ein Zwischenseminar stattfinden wird. Deswegen habe ich jetzt gaanz viel Zeit :)

Im letzten Blogeintrag hab ich versprochen einen kleinen Einblick in den Tagesablauf der Mädchen zu geben.

Dieser beginnt bereits um 5 Uhr morgens (mit Ausnahme von Sonntag um 6 Uhr), ob die Kinder in die Schule gehen oder nicht. Sie beginnen ihren Tag mit einer kleinen Morgenbewegungseinheit, dann haben sie eine halbe Stunde bis zum morgendlichen Prayer in der sie teilweise schon mit Lernen beginnen und nach dem Prayer machen sie teilweise Hausarbeiten, 4 der älteren Mädchen helfen mit dem Frühstück und Mittagessen und die jüngeren Schulkinder machen sich fertig oder lernen bis es dann um 8 Uhr für alle Frühstück gibt. Da komme ich dann selber auch dazu. Momentan kann ich morgens nämlich nicht so viel helfen, da die Küche schon voll ist und die Mädchen Läuse haben, weswegen ich Ihnen nicht beim Haareflechten oder Ähnlichem helfen darf. Die Läuse haben die Mädchen jetzt schon seit ich im Heim bin und obwohl ich das Gefühl habe es ist deutlich besser geworden, sehe ich immer noch oft Mädchen beim Kratzen. Aber wirklich was unternommen wird nicht, was mir erstmals sehr deutlich gemacht hat in was für einer privilegierten Position ich bzw wir hier in Deutschland leben, vorallem weil ich in meiner Reiseapotheke Läuseshampoo mit dabei habe. Sollte ich also Läuse haben könnte ich diese problemlos in kürzester Zeit loswerden und die Mädchen haben sie jetzt schon fast 2 Monate..Zu Privilegien aber später mehr!

Jetzt geht es erstmal nach dem Frühstück weiter, wenn sich die restlichen Mädchen fertig für die Schule machen. Ein paar sind meistens aber schon fertig und mit ihnen kann ich dann noch ein wenig Zeit verbringen bis sie um 9 Uhr in die Schule gehen. Da kommen sie dann in der Regel pünktlich zur Teatime um 16 Uhr zurück, gehen sich duschen und ihre Schuluniformen waschen. Dann können wir Zeit zusammen verbringen bevor um 18:30 Uhr Zeit für einen letzten Prayer ist. Danach ist bis zum Abendessen um ca 20:30 Uhr Studytime und anschließend bis 22 Uhr nochmal.

Es wird also klar, dass der Alltag fest geplant und relativ streng ist. Allgemein muss man sagen, dass sich die Erziehung hier teilweise sehr zu der in Deutschland unterscheidet. Das liegt daran, dass Schlagen als Erziehungsmaßnahme toleriert und teilweise sogar erwartet wird und gegenseitiges Anschreien komplett normal ist. So kam es schon vor, dass die Mädchen mich aufgefordert haben die anderen zu schlagen oder die Tanzlehrerin mit ihrem Taktstock nach einem Mädchen geworfen hat, dass einem anderen nach wiederholtem Untersagen trotzdem mit der Choreo helfen wollte. Das kleine Mädchen hat erst das zweite Mal beim Tanzunterricht mitgemacht  und musste dann alleine vortanzen, hat die Choreo aber immer und immer wieder vergessen und nach bestimmt 10 min als die Tränchen sich nicht mehr zurückhalten haben lassen, durfte sie erst nebenan mit einer anderen Tänzerin die Choreo nochmal von vorne durchgehen. Oder ein anderes Mal wo ein paar der Mädchen ins Büro diktiert wurden und eine selber den Stock holen musste mit dem ihre Schwestern anschließend geschlagen wurden. Selber dabei war ich zum Glück nicht, aber das braucht es auch gar nicht um nicht total geschockt zu sein…

Für die Mädchen ist das aber Gang und Gebe, auch in der Schule und Zuhause. Mit einem Mädchen hab ich mehr darüber gesprochen und da habe ich sie gefragt, ob sie sauer oder traurig ist, wenn ihr Vater sie dann schlägt (ihre Mutter möchte das selber nie machen) und sie hat ganz verwundert mit dem Kopf geschüttelt, warum sollte sie denn..

Dass diese strenge Erziehung aber Spuren bei den Mädchen hinterlässt, fällt mir deutlich auf. Fast immer wenn Auntie vorbeigelaufen kommt, setzen die Mädchen sich wieder gerade auf und überlegen was sie falsch machen könnten oder es macht sie wirklich traurig, wenn Auntie wieder schreit und sie gar nicht wissen warum.

Das hört sich jetzt alles ziemlich schrecklich an, und das ist es teilweise auch, aber die Beziehung zu Auntie kann auch eine wirklich schöne sein. Sie können auch unbeschwert miteinander lachen und sich mal knuddeln. Der Kontrast ist nur sehr stark und oft ziemlich plötzlich.

Komplett im Gegensatz dazu steht aber die Erziehung der Enkel der Superintendent.

Fast jeden Tag ist irgendein Enkel auch im Heim und obwohl sie nicht so viel gemeinsam machen, sind sie auch wie Brüder für die Mädchen, wie eine Familie. Sie werden aber nicht ansatzweise so streng erzogen wie die Mädchen: sie dürfen ans Handy, haben auch schon widersprochen und nicht gemacht was ihnen gesagt wurde und trotzdem wurden sie nicht geschlagen. Das Alltagsleben und die Erziehung im Heim kann man also nicht unbedingt verallgemeinern.

Jetzt während der Weihnachtszeit ist jedes Wochenende was los. Die letzten beiden Samstage sind wir zum Christmasprogram in andere Kirchengemeinden gegangen und es wurde gegessen, vorgetanzt und gesungen. Manchmal gab es auch Auktionen und einmal sind am Ende des Programms fast alle aufgestanden haben zu Jingle Bells getanzt und sind auf die Bühne gerannt und haben auch mich mitgerissen. Hier begegnet sich wirklich jeder sehr offen und vorallem innerhalb der Gemeinde wirkt es gerade bei solchen Veranstaltungen wie eine riesige Familie.

Meistens bekommen die Mädchen und ich am Ende noch Geschenke, wo ich sagen muss, dass es mir teilweise sogar ein bisschen unangenehm ist, wenn ich sogar ein größeres Geschenk bekomme als die Mädchen, obwohl ich ja anders als sie gar nichts zum Programm beigetragen habe. Es sind wirklich alle sehr freundlich, da passiert es nicht selten, dass ich zu Leuten nachhause eingeladen werde und die Standardfrage, vergleichbar mit dem deutschen„wie geht es dir“, ist hier in Indien, ob ich schon was gegessen oder Tee getrunken habe. Gerade auch im Zug hat mich der wildfremde Sitznachbar gefragt ob ich schon gefrühstückt habe und der andere hat sich interessiert erkundigt in was für einer Sprache ich denn diesen Blogeintrag gerade schreibe. Er kommt übrigens aus seinem Abudhabiurlaub zurück :)

Ich hatte das große Glück schon in Deutschland eine ganz arg tolle Frau kennengelernt zu haben, die zufälligerweise auch hier in Kannur lebt und mir Malayalam beigebracht hat. Mittlerweile haben wir uns schon zwei Mal getroffen und sie und ihre Familie haben mich total aufgenommen, mir die typischen Essen und Snacks, Klamotten und Schmuck gekauft. Wir schreiben auch fast täglich, halten uns gegenseitig auf dem Laufenden und sie erzählt mir von Festivals, typischem Essen und Bräuchen hier in Kerala bzw Indien und ich bin unfassbar dankbar sie kennengelernt zu haben!

Ein paar Mal in der Stadt war ich nun auch schon und da ist mir oft aufgefallen wie direkt neben Gebieten, die relativ niedergekommen wirken auch einfach mal ein paar Villen stehen- nur wenige Meter voneinander entfernt. Der Kontrast ist oft also deutlich zu sehen. Außerdem ist die Realität was Sicherheit betrifft in Indien auch eine komplett andere. Wenn sich Eltern hier trennen ist das nämlich ein großes Problem für die Kinder, weil sie nicht alleine zuhause sein können, wenn das Elternteil dann arbeiten geht. Sie werden dann also von der Regierung in ein anderes Heim geschickt, weil alleine zuhause zu sein schlichtweg zu gefährlich ist.

Meine Privilegien, Freiheiten und Möglichkeiten werden mir im Heim auch sehr vor Augen geführt. Beispielsweise, dass ich ein Moskitospray und Moskitonetz habe, das mich schützt oder mir neue Kleidung kaufen kann und dann auch noch besonders behandelt werde wegen meiner Hautfarbe. Damit umzugehen ist nicht immer einfach und ich bemerke von mir selbst wie ich deswegen teilweise versuche einige Dinge zu verstecken und nicht zu zeigen. Sobald ich etwas Neues anhabe beispielsweise, merken die Mädchen das meistens sofort oder auch im Gegenteil, wenn ich etwas nicht anhabe. Neulich ist mir abends meine Kette kaputt gegangen und als ich sie am nächsten Morgen nicht getragen habe, haben mich 3 unterschiedliche Mädchen drauf angesprochen- und das nur an diesem Tag. Die Mädchen geben mir dabei gar nicht das Gefühl, dass sie neidisch oder beleidigt sind, aber ich selber fühle mich schlecht, einfach weil die für uns scheinbar kleinen Dinge hier eine viel größere Besonderheit haben.

Auch als ich Süßigkeiten aus Deutschland mitgebracht habe, haben sie sich total gefreut. Aber was mich am Meisten beeindruckt hat, war wie sie alles miteinander geteilt haben und für die anderen Mädchen immer gefragt haben ob die auch nicht vergessen wurden und auch was bekommen haben. Das finde ich immer total schön, wenn sie trotz der Aufregung und Vorfreude die anderen nicht vergessen, sogar die kleinen Kinder mit nur 8 Jahren!

Ich konnte mich in den letzten paar Wochen echt gut hier einleben und fühle mich sehr wohl im Heim und mit den Leuten. Mein Verhältnis zu den Mädchen hat sich auch nochmal deutlich vertieft und mittlerweile kann ich auch im Büro helfen. Das freut mich immer total und währenddessen kann ich mich manchmal auch mit meiner Einsatzstellenleiterin unterhalten und sie ein bisschen über Indien ausfragen :)…

Das war es auch schon wieder mit meinem Blogeintrag, ich habe aber definitiv noch mehr zu erzählen, also bis ganz bald,

eure Luisa !

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Haus am Straßenrand (Foto: EMS/Oellig)
Haus am Straßenrand (Foto: EMS/Oellig)
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Typische Süßigkeiten aus der Bäckerei (Foto: EMS/Oellig)
Typische Süßigkeiten aus der Bäckerei (Foto: EMS/Oellig)

Kommentare

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Steph 23. Januar 2024 Deutschland
Ich habe deinen Kommentar mit großem Interesse gelesen.
Wahnsinn, wie eng getaktet das Leben der Mädchen im Heim ist und was sie zum Teil aushalten müssen.
Es ist schön, über die große Offenheit gegenüber Gästen im Land zu lesen. Von dieser Gastfreundschaft können wir in Deutschland auch noch mehr gebrauchen.
Alles Gute weiterhin!