Liebe Leserinnen und Leser,
seit meinem letzten Blogeintrag ist viel Zeit vergangen und es ist einiges passiert. Mittlerweile sitze ich nämlich in einer anderen Einsatzstelle und an einem anderen Ort, aber jetzt erst mal von vorne.
In Indien ist momentan die BJP (Bhadatiya Janata Party) mit Narendra Modi als Premierminister an der Macht. Das ist eine hindu-nationalistische Partei, deren Ziele kurz zusammengefasst sind: Indien vereinheitlichen, Hindi überall als Hauptsprache einführen und alle Religionen außer den Hinduismus verdrängen. Diesbezüglich hat er schon ganz klare Messages gesendet und beispielsweise auf einer abgerissenen Moschee einen prächtigen Tempel bauen lassen und er hat vor, auf den Geldscheinen Gandhi mit hinduistischen Göttern zu ersetzen. Aber das ist noch nicht alles, er stoppt alle Sozialhilfen aus dem Ausland. Das bedeutet, dass NGOs (Non Governmental Organizations) aus dem Ausland nicht mehr
weiter arbeiten können und alle sozialen Einrichtungen, die mit ausländischen Geldern finanziert werden jetzt vor einem riesigen Problem stehen. In den meisten Fällen stehen sie sogar vor der Schließung, und genau so war es nun auch in meinem Heim. Das Geld der ems macht hier nämlich zwei Drittel aller Ausgaben aus und obwohl die ems es zur Verfügung gestellt und nach Chennai geschickt hat, wird es blockiert und kann nicht verwendet werden. Also kann das Heim nicht mehr die Standards aufrecht erhalten, die verlangt und gebraucht werden und muss schließen, denn das fehlende Geld wird natürlich nicht vom Staat ergänzt.
Das stellt ein unglaublich großes Problem für die arme Bevölkerung Indiens dar, der jegliche Zukunftsperspektive genommen wird, denn anders als Premierminister Modi es wirken lassen möchte, gibt es in Indien noch viele arme Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind um sich ein gutes Leben aufbauen zu können. Wie sehr das alle Einrichtungen in Indien betrifft, sei es Kinderheime, Frauenhäuser oder anderweitige Projekte, und wie viel Wut die ganze Situation auslöst, habe ich auch beim Austausch mit anderen Freiwilligen und bei mir selbst immer wieder festgestellt.
Letzte Woche kamen die Wahlergebnisse für die neue Legislaturperiode, und Modi und die BJP sind wieder gewählt worden, allerdings mit weniger Sitzen im Parlament als erwartet.
Die meisten Kinder meines Mädchenheimes sind also Anfang April das letzte Mal im Heim gewesen, da dann Schulferien begonnen haben. Jetzt im Juni sind sie alle verteilt auf andere Heime, sind teilweise sogar alleine, ohne vor Ort jemanden zu kennen und gehen bis auf einige wenige Ausnahmen auch in andere Schulen. Die Verabschiedung war wirklich sehr traurig, denn wie ich zu meinen Freunden und Familie immer sage, bin ich hier zu „Mama meiner Babys“ geworden. Jetzt nicht zu wissen wo sie sind und wie es ihnen da geht und keine Möglichkeit zu haben, sie zu sehen oder zu kontaktieren, ist total traurig und fühlt sich komisch an, weil ich ja trotzdem noch „so nah“ hier in Indien bin.
Drei ältere Mädchen haben vor zwei Jahren mit einer Fashiondesignausbildung angefangen und sind jeden Morgen zusammen zu ihrem College gelaufen. Auf diesem Weg haben sich zwei davon dann heimlich mit ihren Freunden getroffen und wurden leider dabei erwischt. Die Folge war, die Mädchen dürfen nicht mehr alleine den Weg zum College laufen und mussten deshalb ihre Ausbildung abbrechen. Als ich mit meiner Superintendent drüber geredet habe, meinte sie, hier in der Kultur ist es nicht erlaubt einen Freund vor der Hochzeit zu haben, und zusätzlich dazu hat sie noch die Verantwortung und wenn irgendetwas passieren sollte, bekommt sie direkt polizeiliche Probleme. Das war ein Risiko, dass sie nicht auf sich nehmen konnte, zumal die Mädchen wohl sowieso relativ schlechte Noten bekommen hätten. Das dritte Mädchen durfte, nachdem ihre Mutter nochmal mit der Superintendent geredet hatte, doch noch zum College gehen, aber sie muss eine Maske tragen, damit sie keinem Jungen zulächeln kann. In welche Abhängigkeit dies die Mädchen gebracht hat, wurde nach der Schließung des Heimes sehr deutlich. Das Heim schließt jetzt nämlich, sie können in kein anderes Heim, weil sie über 18 sind, haben keine Ausbildung oder Aussicht auf einen Job und keine Familie zu der sie gehen können. Die einzige Möglichkeit, die ihnen nun also bleibt, um eine soziale und existenzielle Absicherung im Leben zu bekommen, ist zu heiraten. Jap, das ist wirklich erstmal erschreckend zu hören, eine arrangierte Ehe, aus der Not heraus in die komplette Abhängigkeit eines Mannes, das können wir uns in Deutschland gar nicht vorstellen. So schlimm wie sich das jetzt anhört, ist es im Endeffekt aber zum Glück nicht gekommen.
Über die Kirchengemeinde kamen einige Heiratsanträge. Von denen wurde einer von der Superintendent abgelehnt, weil der Bewerber zur falschen Kirche gehörte. Einige weitere hatte das Mädchen selbst abgelehnt, weil sie nicht wollte (die Männer waren teilweise auch über 10 Jahre älter). Eines Tages kam es aber wie es kommen sollte und sie hat „Ja“ gesagt! Bevor die Hochzeit fest geplant wurde, gab es noch ein Treffen, in dem zwischen den Familien, nicht dem eigentlichen Paar, alle Vereinbarungen gemacht wurden. In Indien ist es üblich, dass die Frau die Verlobungsparty und den Ring für den Bräutigam finanziert, und der Mann die Hochzeit und die Kette für die Frau, die hier die Bedeutung des Ringes hat. Da das Mädchen keine Eltern mehr hat und somit kein Geld, haben sie es anders arrangiert und seine Familie war dabei sehr
verständnisvoll und lieb. Nach einem Wochenende „Pre-marital Counseling“ haben sich die beiden auch richtig gut verstanden und haben täglich telefoniert, nicht nur zu zweit, auch mit der ganzen Familie. Nachdem es klar wurde, dass sie heiraten, haben sie sich wirklich direkt wie eine Familie behandelt und es war trotz der Angst und Aufregung irgendwie schön. Die Zeremonie mit Essenscatering und Ring für den Mann zu finanzieren, war dann erstmal eine Herausforderung. Aber es kamen Spenden von ganz vielen Freunden, vor allem aus der Kirchengemeinde und sie hat am Ende auch noch sehr viel Goldschmuck bekommen, der hier bei Hochzeiten ganz wichtig ist. Zum jetzigen Zeitpunkt sind sie schon zwei
Wochen verheiratet, das ist nämlich alles in weniger als 2 Monaten passiert. Sie wirken tatsächlich wie ein frisch verheiratetes, glückliches Paar. Der Mann und die Familie sind toll, sie ist glücklich und sie „darf“ eine Ausbildung oder ein Studium anfangen, wenn sie möchte.
Das Mädchenheim selbst wurde jetzt zu einem Hostel für Frauen umgewandelt. Das bedeutet, Frauen, die etwas lernen oder arbeiten, können dort gegen einen monatlichen Beitrag schlafen und essen. So sind nun drei ehemalige Heimmädchen wieder da, und zudem ein neues Hostelmädchen, mit der ich mich auch total gut verstehe und die sogar Englisch kann. Mit meiner Superintendent und ihren Enkeln verstehe ich mich auch super, weshalb sich Kannur und das Heim wirklich wie mein zweites Zuhause anfühlt und ich die Zeit dort richtig genieße. Wahrscheinlich werde ich also jedes Wochenende dorthin zurückkehren :)!
Es gibt immer noch mehr zu erzählen, von Kannur und von hier, aber dazu dann mehr in den nächsten Blogeinträgen, dieser hier ist glaube ich schon ausreichend vollgepackt!
Ganz liebe Grüße,
Luisa :)
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