Weltweit erlebt
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Weltweit erlebt

14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Unterwegs auf einer Veranstaltung anlässlich des Weltlehrertags.(Foto:EMS/Körner)
Unterwegs auf einer Veranstaltung anlässlich des Weltlehrertags.(Foto:EMS/Körner)
01. November 2018

Willkommen!

Ruth

Ruth

Kamerun
hilft in einem Krankenhaus und einer Schule mit
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Über unsere Ankunft hat ja Johanna in ihrem Blog Beitrag schon ein bisschen berichtet. Ich wurde am ersten Morgen von meinem Gastvater und zwei Freunden von ihm zu meinem neuen Zuhause gefahren. Erste Eindrücke: Grüne Wände, grüne Seidenvorhänge, graue Fließen und altmodische, grün-braune Sofas? Bitte nicht. Oh bitte nicht. Warmes Essen und anschließend Champagner und Whisky zu meinem Empfang? Um 10 Uhr morgens? Ach du meine Güte.Wer sind all diese Menschen? Zu viele Gesichter! Zu viele Namen!
Sehr ähnlich verliefen dann auch die nächsten Tage.

Aus der Unwissenheit heraus, ob das jetzt „normal“ hier ist, sagte ich mal vorsichtshalber zu Allem ja und hielt mich ansonsten so viel Zeit wie möglich in meinem Bett auf, meinem einzigen Privatsphäre-Bereich, denn in meinem Zimmer selber leben noch zwei Gastschwestern von mir. In den folgenden Wochen lernte ich viel viel viel, über die hier von den anglofonen Kamerunern gesprochene Sprache Pidgin, den Dialekt meiner Familie Hetar, über das Essen, die Fortbewegungsmethoden, Traditionen, Hierarchieverhalten, Wetter, Feiern, Familien, Haushalt, Tiere, Leben & Überleben,... Insgesamt wirkte es hier auf mich einfach sehr sehr anders als in Deutschland.

Im letzten Vorbereitungsseminar für unsere Zeit im Freiwilligendienst wurden uns viele hilfreiche No-Gos eingebläut. Unter Anderem ging es um das Berichten vom Einsatzort. “Keine Verallgemeinerungen!“ Nicht 'alle Inder essen scharf', sondern genaue Bezugnahme auf Personen. Das blieb hängen. Umso erschütternder war es dann hierher zu kommen und als Erklärung und Entschuldigung meistens folgenden Satz zu hören: „This is Africa!“ Wenn ich irgendetwas falsch machte, war das mir, aber auch der Tatsache verschuldet, dass ich noch nie vorher den Kontinent betreten hatte. Wenn ich mangels Bürgersteig auf der Straße lief und dann von einem Motorrad angefahren wurde (keine Angst, Alles gutgegangen), war es „You can not just walk on the streets without looking, this is Africa!“ Wenn ich vom Essen oder Trinken Bauchweh bekam, wenn ich mit den falschen Kleidern aus dem Haus lief, wenn ich im Auto schrie, weil es auf den nicht vorhandenen Straßen schleuderte oder die Verhaltensweisen der Patienten im Krankenhaus nicht verstand, dann gab es dafür nur eine Erklärung: „This is Africa!“

Natürlich ist das nicht ganz richtig. Denn viele Städte dieses Kontinents sind anders als Bafoussam. Es gibt dort anderes Essen, andere Kleidung, andere Traditionen, andere Straßen. Aber trotzdem hat mir diese Formulierung bereits einen neuen Blickwinkel gezeigt und es kommt mir sogar so vor, als hätte ich vor meiner Reise hierher die Andersartigkeit weiter Teile des Kontinents schlicht ignoriert.

Im Krankenhaus arbeite ich viele verschiedene Dinge, messe den Blutdruck, bediene Maschinen zum Messen der Sehstärke, notiere Patienten/innen, messe Blutzucker, identifiziere Dinge unter dem Mikroskop, lasse mich über Krankheiten wie Syphilis oder Cholera aufklären, führe Patienten von A nach B, assistiere den Krankenpfleger/inne/n wenn sie im Bett liegenden Patienten Blut oder Hautproben entnehmen...

Und beim gemeinsamen Essen-Teilen, oder gegen Ende der Schicht, wenn sich alle auf ein Plausch treffen, und ich mich mit meinen neuen Kollegin/nen und Freundin/nen zusammensetze, da versuche ich dann mehr zu erfahren, über dieses „Africa“, von dem sie da ständig reden, bzw. über Kamerun, Bafoussam, die Menschen und das Leben an sich aus der hiesigen Sicht. Auch nach fast 7 Wochen hier habe ich oft noch das Gefühl, ich stehe am Anfang, aber das ist wohl nicht 'typisch für Afrika' sondern typisch für das Leben. Und doch lebe ich mich anscheinend ein:

Diesen Samstag war ein Freundschafts- Fußballspiel zwischen meinem Krankenhaus und einer anderen Institution der Stadt. Eigentlich wollte ich gar nicht hingehen, denn ich bin absolut kein Fan von Fußball und das bedeutete, dass ich meine Samstag-Ruhepause aufgeben musste um meine Hin- und Rückfahrt in die Stadtmitte zu organisieren und nicht zur Jugendgruppe der Gemeinde gehen konnte, die gleichzeitig war. Dann wurde ich aber ständig während der Arbeit von Kolleg/inn/en dazu eingeladen - mir wurden die vielen Fürs aufgezählt - soziale Kontakte pflegen, Spaß haben, das Event „farbenfroher“ machen,  mitjubeln,... und ich konnte den Wunsch dann doch nicht abschlagen und freute mich auch schon ein bisschen darauf, die Leute aus dem Krankenhaus mal „in Zivil“ zu treffen. Ich ging dann Samstags Nachmittags in die „Chefferie“ wo der Platz ist und schaute mir die Sache mal an. Und sie waren so gut.

Mr Jeremiah, unter der Woche Putz-Mann im Krankenhaus, stellte sich als das Torwart-Talent des Jahrhunderts heraus. Mein momentaner Kollege im Labor Mr. Ebie konnte rennen wie kein Anderer auf dem Platz und auch der Techniker des Krankenhauses Mr. Desmond war ein unglaublich fähiger Mannschaftskapitän. Ob Krankenpfleger, Augenarzt, Securityman oder Fahrer, ob 1.60m oder 1.90m groß, ob 20 oder 40 Jahre alt: Alle waren schrecklich gut, schrecklich motiviert und begeisterten alle Zuschauer von Seiten des Krankenhauses.
Und die waren auch in einer Vielzahl da. Krankenschwestern, Hebammen, Apothekerinnen und Sekretärinnen oder Auswechselspieler und ältere Angestellte: Alle standen sie am Rand um kreischend und grölend über das gesamte Feld zu rennen, wenn ein Tor geschossen wurde, um die Spieler zu umarmen, wenn sie in die Pause gingen, um mit Verbandszeug übers Feld zu hüpfen, wenn sich jemand verletzte.

Und als dann gleich am Anfang das erste Tor fiel, grölte ich instinktiv sofort mit, es ging gar nicht anders.
Ich fieberte mit, mit all meinen Kollegen und konnte mich nur gerade so zurückhalten zwischendurch nicht wie die Anderen ständig rein zu rufen, zu klatschen und aufzuspringen. Und als dann in der letzten Minute noch ein Tor fiel und unsere Mannschaft ein wundervolles 3:0 spielte, da kamen auch mir fast die Tränen.
Ich lief übers Feld zu meinen Kolleg/inn/en, umarmte, begrüßte, lachte den Leuten ins Gesicht, schüttelte Allen die Hände und überlegte, wie ich wohl mit den hiesigen Möglichkeiten eine Gratulationstorte backen könnte, um sie dann an diese Spieler zu über reichen - denn sie hatten meiner Meinung nach gerade das beste je gespielte Fußballspiel hingelegt. Nicht, dass die andere Mannschaft schlecht gewesen wäre: Ich sah sie als ziemlich ebenbürtig, aber auch wenn sie den Ball mehrmals in Richtung Tor traten, er kam nun mal nie am Wart vorbei. Warum ich so begeistert von diesem Ereignis berichte, jedes Mal wenn mich jemand nach meinem Wochenende fragt? Weil ich es geliebt habe.

Warum, wo ich doch gar keine Fußballbegeisterte bin? Weil ich die Leute liebe. Ich liebe sie, alle, ich gehe mit einem Lächeln auf die Arbeit, jeden Morgen freue ich mich sie zu sehen und bleibe auch mal länger als meine Arbeitzeiten, um noch mein Gespräch zu beenden oder auf jemanden zu warten. Und ja, dieses Land ist fremd, vielleicht ist „Afrika“ sehr fremd ,aber diese Menschen! Diese Menschen, die sind eine Familie, wie man sie sich wünschen würde. Und wie ich sie vermissen werde.

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Ein Krankenhasu spielt Fußball. Meine Arbeitkollegen auf dem Platz nahe der Chefferie in Bafoussam.(Foto:EMS/Günther)
Ein Krankenhasu spielt Fußball. Meine Arbeitkollegen auf dem Platz nahe der Chefferie in Bafoussam.(Foto:EMS/Günther)