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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Ausblick von der Terasse vor der Wohnung meiner Familie im ersten Stock- ein lieblings Ruhe-Ort. (Foto:EMS/Günther)
Ausblick von der Terasse vor der Wohnung meiner Familie im ersten Stock- ein lieblings Ruhe-Ort. (Foto:EMS/Günther)
09. Oktober 2018

Meine Familie

Ruth

Ruth

Kamerun
hilft in einem Krankenhaus und einer Schule mit
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Meine Familie, das sind Madame Belinda (31), Mister Cletus (41) und deren Kinder Daniel (1) Mechi Grace (5), Daniella (8), Shalom (10) und Baltus (12). Außerdem 3 Pflegekinder: Ngo Brandon (11), Clodette (14) und Glen (17). Dann die beiden Schwestern meiner Mutter, Lum Odette (24) und Shiella (26) und die Tochter von Lum, Free Caris Joy (1). Zu guter Letzt zwei der Angestellten meines Gastvaters; Clovis (25) und Gerard (20)*. Mister Cletus leitet ein Kleinunternehmen, das Glas aus China importiert und hier einbaut. Es läuft sehr gut.

Er ist Montag bis Freitag von 8 bis 19 Uhr nicht zuhause.
Es ist ihm sehr wichtig, dass seine Familie und die Leute, die unter ihm arbeiten glücklich sind.
Die, mit denen ich zu tun hatte, bezeichnen ihn als ihren „Patron“ (Wort aus dem Französischen) und meinen er wäre wie ein Vater.
Die Hierarchie scheint mir in meinem Umfeld noch relativ ausgeprägt und so wird auch Mister Cletus sein Essen serviert: Bevor er morgens geht und sobald er wieder Zuhause ist.
Wenn er die Stimme erhebt (Was nur selten passiert), wird seinen Anweisungen gefolgt.


Madame Belinda ist Hausfrau, assistiert ihrem Mann jedoch ab und zu im Büro. Auch ihr ist es am wichtigsten, dass ihre Familie zufrieden ist. Sie hat sich außerdem zu meiner kulturellen Weiterbildung berufen gefühlt und macht das meiner Meinung nach sehr gut. Sie war mit mir einkaufen, weil sie möchte, dass ich meinen Kleiderstil mehr dem einer kamerunischen Frau anpasse. Sie will, dass ich alles Essen mal probiere und lieben lerne, meint jedoch auch, dass ich auf mich selbst hören muss: wenn ich etwas nicht vertrage, langsam machen. Sie sagt mir mindestens einmal am Tag, dass ich mir noch eine Jacke überziehen soll. Ansonsten ist sie Teil der „Christian Woman Fellowship“, der Frauengruppe in der Gemeinde. Sie hat eine sehr schöne, voluminöse Stimme, die deren Gruppentreffen als auch hier die Gebete mit Gospel Gesang bereichert.


Die Kinder: Alle sehr freundlich und sehr anstrengend. Sie versuchen sich mit gegenseitigem Anschreien und Rufen Gehör zu verschaffen und verhalten sich... wie Kinder. Gleichzeitig können sie sehr süß sein, sie kümmern sich um ihre jüngeren Geschwister mindestens genauso viel, wie sie sie auch anmotzen. Manchmal ist es schwierig, sie nicht gegenseitig zu bevorzugen. Wenn ich eine/n von ihnen einen Stift von mir benutzen lasse, dann kommen gleich vier Weitere und wollen auch. Alle Kinder sind ziemlich stramm in den Haushalt mit eingebunden. Ihre Zeit besteht aus Schule, Hausarbeit, Fernsehen und bei gutem Wetter draußen spielen, wobei je nach Alter mehr Mithilfe anfällt. Ich habe auch lange gebraucht, um zu verstehen wer im biologischen Sinne zur Familie gehört und wer nicht, da alle gleich behandelt werden - nur vom Alter her passt es dann nicht richtig. Die Schwestern meiner Gastmutter studieren in der Nähe von Bafoussam und wohnen deshalb noch bis zum Studienbeginn hier.

 

Sie sind für eine großen Teil der Kinderbetreuung, des Haushalts und der Koordination zuständig und kümmern sich um alles, wenn meine Mutter nicht zuhause ist. Was ihre Beziehung zu mir interessant macht, denn sie sind zwar vom Alter her Bezugspersonen für mich, weswegen wir uns auch gut verstehen und ich sie nicht mit „Ante“ anreden muss, so wie die Kinder es tun, verhalten sich jedoch auch mir gegenüber wie Mütter, da ich ja auch noch sehr viel zu lernen habe hier. Sie sind also Freundinnen und Respektspersonen; ich quatsche mit ihnen über Gott und die Welt und höre mir dann an, wie sie meinen jüngeren Geschwistern drohen, sie zu hauen, wenn sie sich nicht richtig verhalten. Demnächst werden sie jedoch fürs Studieren in eine andere Wohnung ziehen.


Die beiden Angestellten wohnen zusammen mit Glen ein Stockwerk tiefer und tauchen ab und zu zum Essen auf oder um mit Lum und Shiella zu reden. Meistens sind sie auf der Arbeit, oder verrichten Arbeiten wie zum Beispiel das Putzen des Hofs oder von Mister Cletus Auto.


Meine Familie kommt zwar ursprünglich aus einem kleinen Dorf namens „Santa“ im Nordwesten Kameruns, zog aber vor ein paar Jahren hierher und ist wegen dem anhaltenden Konflikt auch hier geblieben. Somit sprechen alle (Pidgin-)Englisch. Auch die Pflegekinder und Angestellten sind aus dem anglophonen Bereich: Die drei Kinder reden nicht viel über ihre biologischen Familien aber ich glaube ihre Eltern lassen sie bei Mister Cletus wohnen, weil sie hier sicherer sind und wegen den besseren Bildungsmöglichkeiten. Mister Cletus ist wohlhabend genug um so viele Menschen zu beherbergen und auch ein wichtiges Mitglied der Gemeinde zu sein.

Das Zusammenleben hier ist wie auch auf meiner Arbeit sehr kollektiv: Wenn man etwas hat, teilt man es und man hilft sich und man passt auf die Anderen auf. Außerdem fasziniert mich das hierarchische Verhalten immer wieder: Wenn jemand älter ist als du (und laut genug drohen kann), dann hast du zu spurten. Aus dieser Sache bin ich jedoch draußen:
Ich habe eine hohe Stellung, weil ich der Ehrengast bin, ich gehöre zwar zu den Erwachsenen, kann aber nicht im Haushalt arbeiten wie sie und schreie auch die Kinder nicht an. Ich mache manchmal ähnlich dumme Fehler wie die Kinder, darf aber nicht angeschrien werden. Ich esse als Einzige mit meiner Gastmutter mit meinem Gastvater zusammen. Das war und ist manchmal verwirrend für mich und ich weiß dann nicht immer, wie ich mich am besten verhalte. Aber so nach und nach gewöhne ich mich an meine Nische und habe die ganzen Leute hier schon richtig lieb.

Und ja, es ist ein Chaos - aber doch meistens ein idyllisches.

*Hier haben die meisten Leute mehrere Namen: ein englischer Name, der „afrikanische“ Familienname und oft noch mindestens einen „afrikanischen“ oder englischen Zweitnamen. Ich kann hier also nur die Namen nennen, die ich auch kenne. 

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Meine Gasteltern und ich vorm Sonntagsgottesdienst (Foto:EMS/Günther)
Meine Gasteltern und ich vorm Sonntagsgottesdienst (Foto:EMS/Günther)