Weltweit erlebt
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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Kamerun oder Wilder Westen? Die Landschaft, an der wir auf der Fahrt zu einer Hochzeit in Foumban vorbeikamen. (Foto: EMS/Günther)
Kamerun oder Wilder Westen? Die Landschaft, an der wir auf der Fahrt zu einer Hochzeit in Foumban vorbeikamen. (Foto: EMS/Günther)
21. Januar 2019

"Happy New You"

Ruth

Ruth

Kamerun
hilft in einem Krankenhaus und einer Schule mit
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Mein Letzter Beitrag ist schon wieder eine Weile her. Seit November ist so einiges passiert, wichtige kirchliche Veranstaltungen, eine Fahrt nach Kribi ans Meer, islamische und christliche Hochzeiten, Weihnachten und Silvester...
Aber was mich hier am unvorbereitetsten getroffen hat, war wohl der Alltag.

Denn je mehr man hier am Familien- und Gemeinde- und Arbeitsalltag teilnimmt desto mehr fühlt man sich angekommen und angenommen, aber man findet sich auch schnell in einer Woche wieder, wo, ohne dass jetzt eine besonderes Ereignis stattfindet, einfach keine Zeit ist, um mal mit der Familie zuhause zu telefonieren oder einen Blog zu schreiben.
Man berichtet vom Familienleben und der neuen Arbeit in der Schule und alle zuhause sind fasziniert.
Erst dann merkt man, wie normal einem die anfangs so fremden Alltagssituationen jetzt schon vorkommen und dass einen nicht mehr so viel vom Sockel hauen kann.

Nur Weihnachten war noch eine Hürde für mich. Die fast vollkommene Abwesenheit einer Weihnachtszeit und ein Weihnachtsfest, das mir irgendwie als das völlige Gegenteil von besinnlich vorkam, waren gewöhnungsbedürftig.
Aber auch das habe ich geschafft und zwar erfolgreich: Dieses laute, menschenreiche, freudenvolle Weihnachten war im Endeffekt, nachdem ich mich gedanklich von allem entfernt hatte, was ich normalerweise von Weihnachten in Deutschland kenne und erwarte, wunderbar und perfekt. Einzelheiten zu Weihnachten könnt ihr in Johannas Blog weiterverfolgen.

Silvester begann ähnlich wie Weihnachten mit dem Vorbereiten des Essens für den 1. Januar. Abends machten sich alle fertig und dann ging die ganze Familie in die Kirche, wobei es zum ersten Mal seit ich hier bin erlaubt war, Alltagskleidung anzuziehen und nicht etwas extra Feines wie an den Sonn- und Feiertagsgottesdiensten. Auf dem Weg zur Kirche wurden noch für alle Kerzen eingekauft.

Der Gottesdienst selbst war sehr anders als alle vorherigen in meiner Gemeinde; Reverend Kang Denis, der Pastor der Gemeinde, trat mehr auf wie ein Prediger als wie ein Pfarrer. Er trug einen vollkommen weißen Anzug und lief während der Predigt durch den gesamten Kirchenraum. Die Kanzel war durch ein Rednerpult aus Glas ersetzt worden und die Predigt wurde als Powerpointpräsentation an die vordere Kirchenwand gebeamt. Die Predigt enthielt neben den sprachlichen auch gesangliche und theaterreife Einlagen, ganz abgesehen von dem typischen Humor des Reverends.
Im Allgemeinen erinnerte mich der Gottesdienst ein bisschen an christliche Festivals in Deutschland oder an das, was ich mir unter Hillsong-Gottesdiensten vorstelle. Sehr charismatisch und interessant und imposant auf jeden Fall und ich schätze, genau das hatte man auch beabsichtigt.

Es wurde viel getanzt und gesungen, viel gebetet und dann wurden kurz vor zwölf von der ganzen Gemeinde lautstark alle negativen Ereignisse des letzten Jahres zurückgelassen und alle potenziell negativen Ereignisse des nächsten Jahres vertrieben. Zu diesem Zeitpunkt war die Kirche dann so energetisch geladen, dass es schwierig war, wieder zur Ruhe zu kommen. Wenige Minuten vor zwölf wurden dann nach und nach alle Kerzen angezündet und im Schein dieser Lichter gingen wir dann ins neue Jahr über.

Zum Schluss gingen dann alle noch nach vorne und ließen sich einzeln segnen. Man ging zurück zu seinen Sachen, gratulierte vielen, vielen Freunden, Verwandten und Bekannten zum neuen Jahr und fuhr nach Hause. Dort hatte ich dann die Ehre vor meiner ganzen Familie den Sekt aufzumachen. So gegen 1 Uhr gingen alle ins Bett.

Meine Gastmutter und (bis auf mich) alle anderen erwachsenen Frauen im Haus standen um 3 Uhr wieder auf, um weiter Essen vorzubereiten. Um 6 Uhr stand ich dann mit allen anderen auf, half noch beim Essen kochen bis 9 Uhr und machte mich dann fertig für den 2. Neujahrsgottesdienst. An den erinnere ich mich nicht mehr in Einzelheiten, ich weiß nur, dass er noch viel lebendiger war als der am Abend zuvor, es wurde nur gelacht und getanzt und gesungen und umarmt und noch Tage später berichteten sich alle Gemeindemitglieder begeistert von dem „tollsten Neujahrsgottesdienst aller Zeiten“ und auch ich war begeistert. Mit dem Wissen, dass ich wohl so schnell nicht noch einmal Silvester in Bafoussam feiern werden kann, genoss ich alles in vollen Zügen.

Nach dem Service wurden mein Gastbruder Gerard und ich noch von anderen Jugendlichen aus der Gemeinde eingeladen zum Essen.Wir aßen dort zu Mittag und gingen dann nach Hause.
Dort war die Feier schon im Gange; Nachbarn und Familienangehörige waren gekommen und alle genossen die Auswahl an Salaten, dem traditionellen Gericht Ashu, Desche und Getränken.
Ich war vor allem mit dem Servieren von Essen und Getränken an die Besucher beschäftigt, ähnlich wie die anderen Jugendlichen des Hauses.
Kurz danach kam auch meine Mitfreiwillige Johanna mit Mitgliedern ihrer Familie und Nachbarschaft vorbei. Sie half beim Servieren mit und als es nichts mehr zu tun gab setzten wir uns alle nach draußen auf unsere Veranda im ersten Stock, mit Sicht auf die Stadt.

Das sind meine schönsten Erinnerungen an Weihnachten und Silvester: Das gemütliche Zusammensitzen mit Freunden, während im Haus die große Party läuft. Aber bei der waren wir natürlich dann auch noch dabei: Getanzt wurde, von allen, zu traditioneller Musik aus dem Dorf meiner Gasteltern. Es war sehr, sehr schön.

„Happy New You“ war der Gruß, den sich alle Krankenhausangestellten gaben, nachdem sich die Predigt der ersten Morgenandacht des Krankenhauses nach Silvester um das Thema drehte, dass man, wenn man im neuen Jahr neu anfangen und alles besser machen will, einfach bei sich selbst anfangen muss.
Und natürlich betraf das auch mich; zu diesem Zeitpunkt wechselte ich gerade von meiner Arbeit im Krankenhaus zu der in der Schule, auch ich machte mir so langsam klar, dass bald die Hälfte meiner Zeit hier vorüber ist und was das für mich bedeutet.

Denn was in dieser Zeit und danach passieren wird bleibt ja auch für mich noch unbeantwortet.
Genauso wie die offene Frage: Und? Hat mich die Zeit hier schon verändert? Bin ich noch die Selbe? Oder ist es auch schon ein happy new me?

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Während des Neujahrsgottesdienstes kurz nach 00:00 Uhr (Foto: EMS/Günther)
Während des Neujahrsgottesdienstes kurz nach 00:00 Uhr (Foto: EMS/Günther)
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Ich und Johanna, während wir bei einer großen Gemeindeveranstaltung Teller sauber machen: unsere Jugendgruppe war in Uniform da und half aus (Foto: EMS/Elder Pascal, PCC Bafoussam)
Ich und Johanna, während wir bei einer großen Gemeindeveranstaltung Teller sauber machen: unsere Jugendgruppe war in Uniform da und half aus (Foto: EMS/Elder Pascal, PCC Bafoussam)