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Das Gruppenfoto von Family 1 (Foto: EMS/Schnaittacher)
Das Gruppenfoto von Family 1 (Foto: EMS/Schnaittacher)
17. August 2023

Abschied?

Edgar

Edgar

Jordanien
Internat
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Ich bin wieder in Deutschland. Bleibt das so?

Seit anderthalb Monaten bin ich nun zurück in Deutschland. In einer Woche wird es ein Jahr her sein, dass meine Zeit in Jordanien begonnen hat. Es war mein ereignisreichstes, vielfältigstes und abenteuerlichstes Lebensjahr. Ich wurde enorm geprägt, und merke selbst, wie sehr ich mich in dieser Zeit verändert habe.

Als ich in Jordanien ankam, hatte ich frisch mit einem langen Kapitel abgeschlossen, und war bereit, mich in ein neues zu stürzen. Im Frühling hatte ich mein Abitur gemacht. Zehn Tage vor Abreise feierte ich meinen 18. Geburtstag. Sechs Tage vor der Abreise bestand ich (mit Ach und Krach) meine Führerscheinprüfung. Ich war, auf eine für mich neue Weise, frei. Und so bewegte ich mich von einem ekstatischen Sommer in eine neue Welt.

Meine Erwartungen für das Auslandsjahr waren zwar positiv, aber weder groß noch konkret. Ursprünglich erhoffte ich mir nur etwas Entfernung von meiner gewohnten Umgebung, einige Grundkenntnisse über die arabische Sprache, und Zeit, über meine Zukunft nachzudenken.

Stattdessen wurde ich überwältigt von Erfahrungen, schlechten und guten, Menschen, die ich nie vergessen werde, Aufgaben, Pflichten und Herausforderungen, denen ich mich noch nie gestellt hatte, Blickwinkeln, die ich neu einnehmen musste, Möglichkeiten die sich für mich auftaten, und Geschichten, die mir für ein Leben reichen werden. 

Die Theodor-Schneller-Schule trägt dafür einen großen Teil der Verantwortung. Mit Kindern zu arbeiten ist, aus zwei Hauptgründen, für einen selbst wertvoll. 

Grund eins: Es bildet.

Kinder sind Menschen. Kinder sind Individuen. Kinder verhalten sich anders als andere Kinder. Auch wenn es sehr simpel erscheint, dass einer besser in der Schule ist, oder einer nur für Fußball lebt, oder für seine Freunde, oder für die Befreiung Palästinas - es ist enorm faszinierend. Manche Kinder sind schwerer im Umgang. Manchmal hat das erkennbare Gründe, manchmal nicht. Man merkt oder hört oder deduziert bei einigen, was für Probleme sie haben, und was für einen Einfluss das hat. Bei anderen gar nicht. Manche Kinder sind einfach anders. Niemand kommt als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Manche Dinge haben wir im Blut. Andere Dinge sind erlernt.

Kinder sind echt. Sie sagen Dinge, die wir nicht sagen würden, und hinterfragen Dinge, die wir nicht Hinterfragen. Ihre Ziele sind klar und nachvollziehbar, für sie selbst und andere. Kinder sind komplex und unfreiwillig mysteriös. Zu dem, was man über Kinder, und Menschen im allgemeinen, lernt, kommt, dass die schulischen Aspekte der Arbeit einen dazu nötigen, ab und zu seine Schulbildung aufzufrischen.

Grund zwei: Es bestätigt.

Was könnte erfüllender sein, als von Kindern umgeben zu sein? Kinder sind, nach allgemeinen Maßstäben, unschuldig. Die Arbeit mit Kindern bietet einen einfachen Weg sich über die Richtigkeit seines Tuns im Klaren zu sein. Dadurch, dass Kinder mit einem kommunizieren, wird man als Bonus auch für die korrekte Ausführung seiner Tätigkeit gelobt, und zwar vom Objekt der Tätigkeit selbst! Man wird durch Nähe und Dankbarkeit belohnt. 

Die Arbeit machte mir also Spaß. Meine Arbeitszeiten variierten dabei von sechs bis 16 Stunden am Tag. Einen Teil dieser Arbeit habe ich mir freiwillig (meinend: Jenseits der Pflichten des Freiwilligendienstes) auferlegt. Meine Pflicht war meine Arbeit im Internat. Hier sollte ich meist um 13:30 Uhr erscheinen, um bis ungefähr 20:00 Uhr verweilen. Diese Zeit war um plus minus eine Stunde flexibel. Allerdings stand es mir immer frei, meinen Feierabend früher anzutreten. Anfangs machte ich von dieser Möglichkeit mehr Gebrauch, gegen Ende des Schuljahres gar nicht mehr. 

Da das Internat für das Wochenende schließt, findet es auch am letzten Schultag nicht statt. Faktisch hatte ich also ein dreitägiges Wochenende. 

Doch trotz meiner natürlichen Lethargie, aufgrund der Freude, die mir die Arbeit machte, ging ich oft in die Schule, um im Unterricht zu helfen. Dies brachte mehrere Vorzüge, die das Internat nicht bot. Die Notwendigkeit, früh aufstehen zu müssen, mag durch den Akt des Aufstehens sehr lästig sein. Früh wach zu sein, statt bis Mittag dösen zu können, bietet einem jedoch einen Grund zum Stolz. Ebenso empfand ich es als bedeutend, wenn ich mich morgens mit den Lehrern im Lehrerzimmer befand, wo ich doch wenige Monate zuvor noch selbst Schüler war.

Ein weiterer positiver Aspekt der Arbeit an der TSS waren, neben flexibler Arbeit, flexibler Urlaub. Obwohl wir von diesem keinen übermäßigen Gebrauch machten, war der Fakt, dass es uns oft freistand, (mit Vorwarnung) uns frei zu nehmen, bei Besuchen von Außerhalb, nützlich. 

Die TSS bot, trotz einiger Probleme genau die Flexibilität und Freiheit, die die Beschwerden des Freiwilligendienstes für mich minimierten, während die Schüler und Schülerinnen der Einrichtung dafür sorgten, dass sich meine Arbeit oft gar nicht wie Arbeit anfühlte. 

Auch jenseits der Arbeit hat Jordanien viel zu bieten. Der Freiwilligendienst ermöglichte es mir, mich im riesigen Amman einzuleben, sowohl in seinen angenehmen wie auch seinen rasanten Ecken. Amman ist so weitläufig, und eine Stadt großer Kontraste, zwischen reich und arm, sauber und dreckig, kuriert und natürlich, kalt und herzlich, Ruhe und Trubel, dass man sich an dieser Stadt kaum satt-leben kann. 

Während meines Auslandsaufenthalts gelang es mir, fast das gesamte Land zu bereisen. Die grünen Wälder Adschlouns taten es mir dabei ebenso an wie der rote Sand und die gewaltigen Felsen Wadi Rums. Ich sah touristische Attraktionen wie Petra, das tote Meer, Akaba und Gerasa. Dabei sah ich auch vieles, was mir sonst entgangen wäre. Ich sah jedes Gouvernement Jordaniens, und saß in einem Park in Ma’an, besichtigte einen Bahnhof in Mafraq, und erreichte das abgelegene Ruwaisched. 

Zu allem Überfluss bereiste ich auch andere Länder im Nahen Osten und hatte das Glück, große Teile Ägyptens, des Heiligen Landes und Beiruts zu sehen. Die Fülle an Dingen, die ich erleben durfte, lassen sich gar nicht in Worte fassen. Doch da Erinnerungsfähigkeit des Menschen begrenzt ist, und da das Vergessen unvergesslicher Erlebnisse einem doch Sorge bereiten, begannen mein Mitfreiwilliger Benedikt und ich relativ früh, die Geschehnisse unserer gemeinsamen Zeit zu dokumentieren, und zwar in Form eines Kalenders. Die meisten Witze, Pannen, Odysseen etc. sind dort festgehalten. Gerne gucke ich mir noch Fotos des Kalenders an, und gucke nach, was an bestimmten Tagen denn passiert ist. 

Und da ich so viel erleben durfte, und da ich so glücklich war, fiel es mir bereits zu Beginn des Frühlings schwer, mir eine Zeit nach Jordanien vorzustellen. Somit entschied ich mich, mit Unterstützung einer ehemaligen Freiwilligen, der ich in dieser Tat folge, meine Rückkehr nach Jordanien zu sichern. Denn ich werde schon bald nach Jordanien zurückkehren und weiter an der TSS werken. So schnell möchte ich mich noch nicht ganz von Jordanien verabschieden. Ich würde zu vieles zu sehr vermissen. Die rasanten Busfahrten im ammaner Berufsverkehr, die Cafés von Jabal al-Lweibdeh, die Kinder und Kollegen, mit denen ich so viel Zeit verbracht habe, und einiges mehr. 

Ich glaube, dass mir das letzte Jahr vieles gebracht hat, ich vieles gelernt habe, und ich als Mensch gewachsen bin. Ich bin enorm froh, nicht sofort nach dem Abitur mit dem Studium begonnen zu haben, und obwohl ich es schön fände, in der Hinsicht langsam Fortschritte zu machen, bin ich mir sicher, dass jeder Tag, den ich in Jordanien verbracht habe, und den ich nicht verbringen werde, ein Geschenk ist, dass sich nicht aufwiegen lässt. 

Ich bin dankbar für die Möglichkeit, die ich in diesem Freiwilligenjahr wahrnehmen konnte, möchte mich bei allen bedanken, die mich auf diesen Weg geleitet und mich dabei begleitet haben, ob in Jordanien oder in Deutschland, und hoffe, dass noch viele andere diesen Weg des FIJs wählen werden. 

Das war’s für den Blog :)

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Der Bahnhof von Mafraq ist schön, aber kein beliebtes Touristenziel. (Foto: EMS/Schnaittacher)
Der Bahnhof von Mafraq ist schön, aber kein beliebtes Touristenziel. (Foto: EMS/Schnaittacher)
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Die Feier zum Unabhängigkeitstag in Akaba war toll. (Foto: EMS/Schnaittacher)
Die Feier zum Unabhängigkeitstag in Akaba war toll. (Foto: EMS/Schnaittacher)

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