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Wasserfall Ratte Balla (Foto: EMS/Fiedler)
Wasserfall Ratte Balla (Foto: EMS/Fiedler)
10. November 2022

Ein Rezept welches man besser nicht nachmacht

Tom

Tom

Indonesien
Einrichtung für Kinder mit Behinderung
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Selamat pagi

Wie merkt man eigentlich, dass man sich langsam an den Alltag hier gewöhnt hat? Indem der Kopf nicht mehr überrascht ist und hinterfragt, warum die ganze Stadt jetzt für eine halbe Stunde mal wieder kein Strom hat. Oder weshalb einen auf der Straße plötzlich 200 Motorroller umzingeln. Na klar, es findet mal wieder eine Zeremonie statt und alle sind auf dem Weg dorthin.

Ein typischer Arbeitstag fängt damit an, dass ich konsequent mein Frühstück skippe und mich direkt auf den Weg zur Schule mache. Dort sammeln sich die Kinder morgens alle zusammen vor dem Eingang. Im Klassenraum wird ein Begrüßungslied gesungen und ein kleines Gebet gesprochen. Anschließend wird den Kindern eine Geschichte aus der Bibel erzählt und begleitend dazu ein kurzer Abschreibtext auf ein Whiteboard geschrieben. Die Kinder, denen das Abschreiben aufgrund ihrer Einschränkung nicht möglich ist, werden einzeln oder zu zweit in anderen Räumen betreut. Auch ich nehme meistens ein oder zwei Kinder mit und übe mit ihnen beispielsweise die Zahlen. Allein die Zahlen abzumalen, verlangt „meinen“ Kids ein Höchstmaß an Konzentration ab. Da ich nicht an einer normalen Schule, sondern an einer Förderschule für Kinder mit sehr unterschiedlichen Beeinträchtigungen arbeite, findet der Unterricht auch nur halbtags am Vormittag statt. Und nach einer Schulstunde im Klassenraum wechseln die Kinder in eine praktische Tätigkeit. Im Handwerksraum fertigen sie Perlenketten und kleine Tiere. Meist setze ich mich dazu, bastele mit ihnen oder ich spiele draußen mit ein paar Kindern, die sich zwischendurch ein bisschen auspowern wollen, Fußball oder Badminton. Die Perlenketten und Tiere können die Kinder verkaufen und sich damit ein wenig Taschengeld hinzuverdienen.

Nach der Schule gibt es Mittagessen. Das wartet meist schon im Panti, in dem ich wohne, auf mich. Die indonesische Küche hat für mich nach wie vor ihre echt leckeren Stärken und gewöhnungsbedürftigen Schwächen. Über die Mengen an Reis und eingelegten Fisch habe ich ja in meinem letzten Blogbeitrag bereits erzählt. Geschmacklich nicht immer meins. Aber es gibt hier fantastischen frischen gegrillten Fisch, Nudeln oder Suppen. Allgemein lieben die Leute es hier, alles zu frittieren, egal was es ist, ob herzhaft oder süß. Und ich habe tatsächlich angefangen, Kaffee zu trinken. Etwas, was ich mir vorher nie hätte vorstellen können. 

Toraja, die Region, in der ich bin, ist sehr bekannt für Kaffee und die Leute sind auch mächtig stolz auf ihren Kaffee. Zu Recht. Ich setzte mich sehr oft in Restaurants und Cafés, esse und trinke dort eine Kleinigkeit und bin dort bis jetzt noch nie enttäuscht worden. Auch preislich ist hier alles sehr in Ordnung. Ans Umrechnen muss man sich erst gewöhnen, aber wenigstens kann ich jetzt sagen, dass ich Millionär bin – auch wenn eine Million indonesische Rupiah umgerechnet nur etwa 70 Euro sind.

Vor kurzem war ich das erste Mal auf einer indonesischen Hochzeit – stilgerecht in Jogginghose. Morgens bin ich noch davon ausgegangen, dass es wie fast jeden Freitag und Samstag auf Hausbesuche geht. Also rein in die Jogginghose und ein entspanntes T-Shirt übergeworfen. Als ich dann bei der Kollegin ankam und sie sehr schick angezogen vor mir stand, dachte ich mir erstmal nichts dabei. Auch nicht, als sie meinte, dass wir in die Kirche gehen. Okay, ein Gottesdienst. Hätte ich das gewusst, hätte ich vermutlich etwas anderes angezogen. Aber egal. In der Kirche wurde dann aber auch mir klar, dass dies kein normaler Gottesdienst wird. Überraschung, eine Hochzeit! Mein Versuch, mich underdressed in der letzten Reihe zu verstecken, scheiterte in dem Moment, als der Pastor auf mich zukam, um mich nach vorne in die erste Reihe zu holen. So ziere ich jetzt in Jogginghose die Hochzeitfotos eines Paares, das ich nicht kenne.

Das Ganze zeigt aber, wie unglaublich gastfreundlich die Menschen in diesem Land sind. Nach dem Gottesdienst hieß es dann, dass wir jetzt noch in ein Hotel fahren würden, um dort ein bisschen etwas zu essen. Aus dem kleinen Imbiss wurde eine Riesenfeier in einem Saal, der Platz bot für über 1.000 Menschen. Unter 1.000 Menschen fiel meine eine Jogginghose dann nicht mehr so auf und ich konnte sogar endlich entspannt die Show auf der Bühne genießen.

Anfang Oktober war ich einen Tag lang sehr plötzlich sehr krank, mit Aufenthalt in der Notaufnahme und Infusionen. Glücklicherweise haben die mich wieder auf die Beine gebracht. Meine Wochenendpläne waren damit allerdings leider erledigt. Da ich offensichtlich von der Notaufnahme noch nicht genug hatte, musste ich wenige Wochen später nochmal vorbeischauen, um das Ergebnis dieses wunderbaren Rezeptes verarzten zu lassen. Zutaten:

125 g Sturmregen
200 g Dummheit
100 g rutschiger Asphalt
1 Funken Übermut
1 Spur blockierendes Auto
2 EL zu viel Tempo aufm Roller!

Die Zutaten zu einer homogenen Masse vermischen und den Teig auf 28 C° Asphalttemperatur eine halbe Stunde backen. Genießen Sie dann ihre frisch gebackenen Wunden und die Kratzer am Roller.

Letzten Donnerstag musste ich mein Visum verlängern lassen. Dafür war ich mit Tandu zum ersten Mal in Palopo. Palopo ist die nächste größere Stadt am Meer. Wenn man von Rantepao nach Palopo möchte, sollte man flexibel sein, weil es sehr gut sein kann, dass die Straße halt mal drei Tage wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Umleitung Fehlanzeige. Nachdem ich die Straße gesehen habe, muss ich sagen, so ganz unnötig sind die Bauarbeiten nicht. Für die 60 Kilometer runter aus den Bergen zum Meer braucht man ca. drei Stunden. Das Visum zu beantragen, hätte ich ohne Hilfe nur sehr schwer geschafft. Mit Tandu hat es aber am Ende nach gut vier Stunden geklappt. Neuer Aufkleber im Pass und ich darf weitere zwei Monate bleiben. Außerdem hatten wir zwischendurch noch genug Zeit, um essen zu gehen und am Ozean vorbeizuschauen.

In meiner Freizeit bin ich ansonsten viel im Kinderheim, bei Stefanie, meiner Indonesisch-Lehrerin, oder im Gym, zum Sport machen. Die Sonntage, meine komplett freien Tage in der Woche, konnte ich die letzten Wochen auch sehr gut nutzen. Einen Sonntag bin ich mit meinem Roller zu einem etwa 50 Kilometer entfernten Wasserfall gefahren – das war beeindruckend und beängstigend zugleich. Beeindruckend schöne Landschaft und schon auch beängstigend, ganz allein durch die Berge zu fahren. Zudem war ich noch in Limbong an einem kleinen See und an einem Badesee in Tillanga. Aufs Baden habe ich jedoch verzichtet, weil meine Wunden nach dem Rollercrash noch nicht ganz abgeheilt waren.

In Pango Pango gibt es einen hohen Berg mit sehr schöner Aussicht. So wie in Londa ein Höhlengrab, in das man hineingehen kann und das immer noch als Grabstätte genutzt wird. Die traditionellen Gräber sind ein hoher Teil der Kultur in Toraja, sowie das Thema Tod generell. Dazu aber das nächste Mal mehr. Bei diesen Fahrten hat Google Maps mich nicht nur einmal in Stich gelassen und die falschen Wege angezeigt oder Straßen, die es gar nicht gibt. So stand ich des Öfteren im Nichts, fragend, wo es lang geht und dankbar, doch irgendwie immer wieder zurückgefunden zu haben.

Danke fürs Lesen, ich hoffe, es hat euch gefallen. Schaut auch gerne bei den anderen Freiwilligen und deren Blogs vorbei.

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Pango Pango (Foto: EMS/Fiedler)
Pango Pango (Foto: EMS/Fiedler)
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Londa Felsengrab (Foto: EMS/Fiedler)
Londa Felsengrab (Foto: EMS/Fiedler)

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