
Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

Puji Tuhan!
Ehre sei Gott!
Gerade jetzt – kurz nach Ostern – ist es höchste Zeit sich mal einem Thema zuzuwenden, was jeden hier in Indonesien betrifft und welches den Alltag mehr beeinflusst als vieles andere: die Religion. Sie ist ein Thema, mit dem ich mich in Indonesien früher oder später beschäftigen musste. Sie spielt im Alltag eine große Rolle, bei Christen genauso wie bei Muslimen oder Hindus. Mit diesem Artikel möchte ich einen kleinen Einblick geben, wie Religion im Alltag gelebt wird und wie ich andere Religionen auf ganz verschiedene Art und Weisen kennenlernen durfte.
Vorher aber noch kurz zum Hier und Jetzt: Seit Ende Februar ist der offizielle Freiwilligendienst vorbei und derzeit reisen wir Freiwilligen noch ein bisschen durch Sulawesi – die Insel, auf der auch unsere Einsatzstellen lagen. Anfang März mussten wir aufgrund von Visa-Bestimmungen erstmal ausreisen und haben zwei Wochen in Malaysia verbracht. Die meiste Zeit waren wir in Kuala Lumpur, am Ende noch ein paar Tage in den Cameron Highlands und in Melaka. Momentan sind wir seit etwas mehr als einer Woche in Toraja, wo Pina und Berit (zwei Mitfreiwillige) sechs Monate gearbeitet haben. In den nächsten Tagen werden wir weiter in den Norden fahren. Was wir da so erlebt haben und erleben werden, werde ich demnächst nochmal in einem meiner Rundbriefe beschreiben. Wer gern mit in meinen Mailverteiler möchte, kann sich gern melden oder einen Kommentar hinterlassen – da sind dann auch ein paar mehr Bilder dabei.
Aber zurück zur Religion: Bereits vor unserem Auslandsaufenthalt haben wir uns auf den Vorbereitungsseminaren intensiv mit dem Thema beschäftigt – insbesondere mit unserer Rolle als Christin/Christ als Teil einer religiösen Minderheit. Die Zahlen schwanken und sind auch nicht unbedingt die allerneuesten – aber etwa 88% der Indonesier bekennen sich zum muslimischen Glauben. Der Islam ist allerdings keine Staatsreligion, sondern jeder Indonesier und jede Indonesierin muss sich einer von fünf Religionen offiziell zuordnen: Islam, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus oder Christentum (katholisch oder evangelisch). Die Religion (indon. Agama) wird sogar auf dem Ausweisdokument festgehalten. Da andere religiöse Strömungen nicht erlaubt sind, kommt es auch vor, dass sich Atheisten oder Anhänger von Naturreligionen offiziell zwar einer anerkannten Religion zuordnen, heimlich aber ihren eigenen Glauben ausüben. Auch deshalb sind Religionsstatistiken nicht ganz korrekt, aber die große Mehrheit bildet in jedem Fall die muslimische Glaubensgemeinschaft.
Daneben gibt es ca. 1,8% Hindus (vor allem auf Bali) und etwa 8% Christen. In meiner Zeit als Freiwilliger hatte ich das Gefühl, bereits eine große Vielfalt indonesischer Kultur erlebt und entdeckt zu haben, musste aber immer wieder feststellen, dass ich mich größtenteils in einer Blase des christlichen Indonesiens bewegt habe und dadurch eigentlich nur das Leben dieser Glaubensgemeinschaft hier auf Sulawesi beschreiben kann.
No. 1: CHRISTENTUM
Nach sechs Monaten in meiner Gastfamilie (mein Gastvater Erasmus ist Kirchenpräsident, seine Frau Martha Pfarrerin und im Vorstand der Theologiehochschule) kann ich sagen, dass die christliche Religion im Alltag eine sehr viel größere Rolle spielt, als ich es von Deutschland kenne. Nicht nur für uns, weil ich mit zwei Pfarrern zusammenlebe, sondern auch für die vielen anderen Christen, die ich kennenlernen durfte, ist die Religion selbstverständlicher Mittelpunkt ihres Lebens. Ich möchte an der Stelle mal von einigen Situationen berichten, die ich als neu empfunden habe:
Vor jeder Mahlzeit wird ein Gebet gesprochen, in dem nicht nur für das Essen und Trinken, sondern auch für Mitmenschen, aktuelle Probleme und vieles weitere gebetet und gedankt wird. Es ist kein schnelles „Essen, danke, Amen“, sondern ein ernsthaftes Gebet ohne jede Eile. Auch in Gottesdiensten sind die Gebete deutlich länger. Was mich besonders beeindruckt ist, dass die meisten Pfarrer spontan beten, ohne jede Vorlage, was irgendwie ehrlicher als ein vorher notierter Text wirkt. In einer Predigt hat eine Pfarrerin hier mal gesagt: „Manche meinen, sie könnten nicht spontan beten. Dann frage ich sie: ‚Könnt ihr mit mir reden?‘ Das können sie 'Natürlich!' ‚Also redet einfach mit Gott, wie ihr mit mir redet.‘“ Einfach mit Gott reden, ohne große Worte, ein mir sehr sympathischer Ansatz.
Die (im Vergleich zu Deutschland) kleinen Kirchen sind dabei jeden Sonntag brechend voll. Jeder geht in den Gottesdienst. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber es besteht eigentlich keine Frage, ob man geht oder nicht, es ist einfach selbstverständlich. Hin und wieder stellt man sich als Beobachter dann die Frage, ob manche vielleicht auch nur wegen dieser „Pflicht“ in die Kirche gehen, oder ob sie es wirklich wollen. Eine eindeutige Antwort darauf lässt sich allerdings schwer finden.
Neben den sonntäglichen Gottesdiensten gibt es unter der Woche noch ein bis vier sogenannte Familiengottesdienste, an denen ich vor allem in der Anfangszeit oft teilgenommen habe. Das bedeutet, dass ein normaler Abendgottesdienst im Haus einer Familie der Gemeinde abgehalten wird. Er endet mit gemeinsamen Essen und Plauderei, bis alle wieder nach Hause (oder zum nächsten Gottesdienst) fahren. Bei größeren Anlässen werden unzählige Plastikstühle aufgestellt und sogar Teile der Straße gesperrt. Mehr oder weniger provisorisch aufgespannte Zeltplanen schützen vor Regen. Solche Anlässe sind z.B. Goldene Hochzeiten oder ‚Orang Matis' (Trauergottesdienste, orang bedeutet Mensch und mati ist indonesisch für tot).
Der Tod hat generell eine deutlich größere Bedeutung als bei uns. Sobald ein Familienmitglied gestorben ist, wird es vom Krankenhaus (oder einem anderen Ort) in einer großen Motorrad- und Autokolonne nach Hause begleitet, nachdem er oder sie bereits mit Formaldehyd injiziert und damit der Verwesungsprozess zunächst gestoppt wurde. Zu Hause wird die Person dann in einem Sarg in den Eingangsbereich der Wohnung aufgebart. Bis zur Beerdigung finden nun jeden Abend Gottesdienste statt, zu denen jeder kommen kann, um sich zu verabschieden. Da die meisten Menschen in Makassar ursprünglich von anderen Orten kommen, wird die Person nach drei oder vier Tagen zurück in die ursprüngliche Heimat gefahren, wo je nach Tradition verschiedene Begräbniszeremonien stattfinden. Besonders bekannt für ihre Totenfeiern sind die Bewohner des Toraja-Gebietes, in dem wir uns derzeit befinden. Wenn hier jemand stirbt oder eine verstorbene Person z.B. aus Makassar hertransportiert wurde, muss erstmal Geld für die richtige „Orang Mati“-Feier gespart werden. Manchmal dauert das ein paar Tage, manchmal Wochen, Monate oder sogar Jahre – je nachdem, wie groß die Feier werden soll, wie reich die Familie ist und wie viele Gäste eingeladen werden. Die Größe einer solchen „Orang Mati“ kann man gut an der Zahl der geopferten Wasserbüffel messen, die nur zu diesem Zweck gezüchtet werden. Die Preise eines Büffels hängen von Farbe, Hörnern, Pflege und anderen Faktoren ab. Ein Büffel kann dann gern mal so viel kosten wie ein Kleinwagen und bei einer „Orang Mati“ werden ein bis über dreißig Büffel und unzählige Schweine geschlachtet. Viele Familien sparen ein Leben lang für eine „Orang Mati“ und können sie sich dann doch kaum leisten. Die Büffelopferung findet dabei am „Schlachttag“ (einer von drei bis sieben Tagen Zeremonie) mitten auf dem Platz zwischen den vielen Bambushütten mit hunderten bis Tausenden von Gästen (viele wissen gar nicht, wer gestorben ist) statt. Ein gekonnter Stich ins Herz des Schweines oder durch die Kehle eines Büffels lässt die Tiere an Ort und Stelle ausbluten und sterben. Danach werden sie ebenfalls vor Ort gehäutet und ausgenommen. Das Fleisch wird oft später an die Besucher verteilt. An den anderen Tagen gibt es Büffelkämpfe, Gebete und natürlich die Grablegung, die meistens in Höhlen oder außen an einer Felswand stattfindet. Hier vermischt sich der traditionelle Glaube der Toraja mit dem Christentum, welches sie durch die „Religionspflicht“ annehmen mussten, jetzt aber auch wirklich und ernsthaft ausleben.
Wurden für einen Toten mindestens 24 Büffel geschlachtet, wird für ihn oder sie ein TauTau angefertigt. Ein TauTau ist eine täuschend echt aussehende geschnitzte Holzfigur, die den oder die Verstorbene meist in sitzender Haltung darstellt und die später zum Grab gestellt wird. Aufgrund von vielen Grabräubereien werden nun meistens alle TauTaus gemeinsam hinter ein Gitter gestellt – eine Art Gruppenfoto der Reichsten, die in diesen Felsen beigesetzt wurden. Es gibt nicht mehr viele TauTau-Schnitzer in Toraja. Zwei haben wir aber getroffen und einer von ihnen zeigte uns direkt ein Bild von sich in einem alten verstaubten deutschen Magazin und sogar in unserem Reiseführer entdeckten wir seinen Namen und eine Fotografie. Die Präzision, mit der er die Figuren schnitzt, war sehr beeindruckend und die Ähnlichkeit mit den Fotos als einzige Vorlage verblüffend.
Nun aber vom Tod zum Neuanfang: Neue Autos, Läden oder Cafés werden vor ihrer Eröffnung nämlich „getauft“. Bei einer solchen Taufe in Palu durfte auch ich dabei sein. Erasmus hat ein Gebet gesprochen und Gottes Segen für das Café erbeten. Danach hat er mit einer kleinen Schüssel etwas Wasser auf dem Boden verteilt. Auch die Grundsteinlegung eines neuen Hauses geschieht unter dem Segen Gottes.
Dies sind einige Erfahrungen, die ich mit Christen und Christinnen in Südsulawesi machen durfte. An die Angewohnheiten hat man sich allerdings tatsächlich schnell gewöhnt, vielleicht auch, weil in der Mehrheitsreligion – dem Islam – mit fünf Gebetszeiten am Tag der Glaube noch intensiver ausgelebt wird. Religion gehört also für jeden hier zum Alltag – egal ob Muslima, Christ oder Hindu.
Konflikte zwischen Christen und anderen Religionen habe ich in meiner Zeit nie erlebt. Obwohl die Christen in Makassar nicht selten auch öffentlich auftreten, gibt es keine Proteste oder ähnliches seitens der muslimischen Mehrheit. Zum Reformationstag beispielsweise haben sich die Christen der Stadt zum Sonnenaufgang am Pantai Losari (größte Strandpromenade Makassars) getroffen, einen großen öffentlichen Gottesdienst gefeiert und einen „Morgenspaziergang“ durch die Stadt gemacht, um Präsenz zu zeigen und 500 Jahre Reformation zu feiern. Außerdem habe ich im größten Versammlungssaal Makassars den Auftritt eines landesweit bekannten charismatischen Predigers erlebt, zu dem Tausende ins UpperHills strömten. Im gleichen Gebäude gab es auch eine ökumenische Weihnachtsfeier, zu der jeder eingeladen war. Es war in jedem Fall sehr spannend für mich, das Leben als Christ hier mitzu(er)leben. Manche Dinge sind mir positiv aufgefallen, andere gefallen mir in Deutschland besser.
No. 2: ISLAM
Ein wenig kann ich auch über den muslimischen Glauben berichten. Den Islam habe ich hier in Indonesien auf eine wunderbar positive Weise erlebt und vielleicht auch zum ersten Mal erst so richtig kennengelernt. Einerseits durch Begegnungen mit Muslimen, andererseits durch die Besuche des islamischen Kunstmuseums und zweier Moscheen in Kuala Lumpur und Makassar. Unser Guide Yohan hat uns viel erklärt, Fragen beantwortet und an einer Gebetszeit als Zuschauer/ -hörer teilhaben lassen. Fünf Mal am Tag beten Muslime, und insbesondere zum Freitagsgebet kommen tausende Banker, Büroangestellte usw. aus den umliegenden Wolkenkratzern in die Moschee geströmt. „Freitag haben wir full house“, erklärt uns Yohan. Für Touristen sei dann kein Platz mehr in der ältesten Moschee Kuala Lumpurs. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich mit dem Islam zu beschäftigen. Natürlich hat er nicht nur positive Seiten, aber ist eben auch niemals so negativ, wie er in Deutschland oft dargestellt wird. Yohan hat uns auch einen Flyer gegeben mit dem Satz: „Wenn man den Terrorismus mit dem Islam gleichsetzt, dann müsste man die Aktivitäten des Ku-Klux-Klans mit dem Christentum gleichsetzen.“
No. 3: HINDUISMUS
Den Hinduismus habe ich nur kurz während unserer Einführungswoche auf Bali kennenlernen dürfen. Aber Freunde haben uns von einer Besonderheit erzählt, die nicht nur die Hindus, sondern alle Menschen auf Bali betrifft. Am 17. März war der Nyepi-Tag, an dem kein Mensch vor die Tür darf, es muss Stille herrschen, das Internet funktioniert nicht und auch die meisten Leuchten bleiben aus. Die Straßen Balis sind menschenleer, nur wenige Polizisten in schwarz-weiß-karierten Sarongs kontrollieren die Einhaltung der Regeln. Da meine Mitfreiwillige Helena aber sechs Monate auf Bali verbracht hat, könnt ihr vielleicht in ihrem Blog mehr darüber lesen.
Über Konfuzianismus und Buddhismus kann ich kaum etwas berichten. Selten sieht man Tempel dieser Glaubensgemeinschaften – Mitglieder habe ich in meiner Zeit hier nicht kennengelernt.
Ich hoffe nun, dass ich euch meine Erlebnisse verständlich und realitätsnah schildern konnte. Es ist immernoch nur ein kleiner Einblick, aber meine vielen Erfahrungen lassen sich in einem Blogbeitrag auch kaum zusammenfassen. Ich wünsche euch noch ‚Selamat Paskah!' – unser Ostermorgen hat diesmal schon um drei Uhr morgens angefangen. Wir sehen uns im Mai in Deutschland!
Bis dahin, euer Johann

