Weltweit erlebt
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14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Vor dem Hosteleingang haben die Mädchen aus farbigem Pulver ein Bild gelegt. (Foto: EMS/Janke)
27. Dezember 2016

Weihnachten ohne Advent

Paula J.

Paula J.

Indien
absolviert ihren Freiwilligendienst in einem Internat
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Weihnachtsstimmung, wo bist du?

Weihnachten. Bis jetzt habe ich das immer mit der Avdentszeit, mit Adventskranz, Plätzchen backen, Weihnachtslieder singen, eiskalten Temperaturen, im Dunkeln über den Weihnachtsmarkt laufen und einem Adventskalender verbunden. Doch dieses Jahr, in Indien, gab es davon nichts. Schon zu Beginn des Dezember merkte ich, dass Weihnachten wohl dieses Jahr ganz anders ablaufen würde, als ich es gewohnt war. Es wurden zwar vereinzelt Weihnachtslieder gesungen (etwa in der prayer time im Hostel) aber gerade die fehlende Weihnachtsdekoration und die doch sommerlichen Temperaturen (ja, ich habe mir oft gewünscht, dass es kälter als 30 Grad ist!) trugen dazu bei, dass bei mir lange keine Weihnachtsstimmung aufkommen wollte. Dazu kam auch noch, dass ich krank wurde und dann war natürlich das Heimweh nicht weit. Sehnsüchtig betrachtete ich die vielen weihnachtlichen Fotos in den sozialen Netzwerken und wünschte mir, das auch erleben zu können.

Das klingt jetzt aber zu negativ, im Monat Dezember gab es nämlich für mich, genau wie in den drei vorherigen (schon wahnsinnige vier Monate bin ich in Indien!), wieder viel zu entdecken und zu erleben. So durfte ich unter anderem meine erste indische Hochzeit erleben. Für die große Weihnachtsfeier im Hostel bekam ich die Aufgabe, mit vier Mädchen einen "German Dance" einzustudieren. Am Anfang nicht so ganz glücklich damit, bekam ich schnell Gefallen an dieser Aufgabe und verbrachte viele lustige Abende mit meinen "Tanzmädels". Diese fanden jedoch meistens sämtliche Gegenstände in meinem Zimmer viel interessanter als mir zuzuhören, wodurch ich oft ziemlich erledigt war, wenn ich mit meiner Tanzstunde fertig war. Auch wenn es anstrengend war, hatten wir doch viel Spaß und Freude. Auch andere Mädchen übten Tänze ein, wodurch das Hostel in dieser Zeit fast immer mit lauter Musik beschallt wurde und man jemand tanzen sehen konnte.

Zehn Tage vor Weihnachten ging es dann Schlag auf Schlag los - die Weihnachtsfeiern fingen an. Die Schulen, das Hostel, die Kirche, die Sunday School, das Youth Meeting, jeden Tag war ich auf einer anderen "Supposed Christmas" Function eingeladen und brachte es so auf die unglaubliche Anzahl von neun Feiern, auf denen ich war. Der Ablauf einer jeden Feier ist immer ähnlich, zuerst wird eine Bibelstelle vorgelesen und die Bischöfin liest eine christmas message vor. Dann gibt es verschiedene Tänze, meist ein Krippenspiel, und die Ehrengäste (wie die Bischöfin, Pfarrer und andere wichtige Leute) werden geehrt und bekommen (wie hier in Nandyal üblich) einen Schal und eine Blumenkette überreicht. Danach gibt es meistens noch etwas zu Essen.

Am 20. Dezember war es dann soweit, die große Weihnachtsfeier im Hostel stand an. Schon vorher wurde das Hostel neu angestrichen, alles auf Hochglanz gebracht und alle Mädchen, die von der Kindernothilfe gesponsort sind, bekamen neue Kleider. Auch ich bekam von der 'warden' Bhagya und dem 'in-charge warden' Solomon einen neuen Sari als Weihnachtsgeschenk, worüber ich mich sehr gefreut habe. Der Tag der Feier war sehr stressig und es war jede helfende Hand nötig: es wurden Umengen an Gemüse geschält und gezupft, das Hostel dekoriert und letzte Vorbereitungen getroffen. So musste ich zu Beispiel kurz vor Beginn noch das Programm schnell abtippen. Ja, hier in Indien ist alles sehr spontan! Dann kamen die Gäste und die Function konnte losgehen. Auch die Jungs vom benachbarten "boys hostel" waren gekommen und nahmen an der Feier teil. Der schönste Teil war für mich der candle-light-service, der den Abschluss einer jeden Christmas Function bietet. Dabei wird mit einem Gebet eine Kerze angezündet und das Licht dann an alle weitergegeben. Im Kerzenschein singen dann alle das bekannte Weihnachtslied "Locamanthata velugu", was auf Deutsch soviel wie "Licht für die ganze Welt" bedeutet. Nach der Function gab es dann noch Essen, colour rice mit chicken.

Als am 23. Dezember alle Mädchen nach Hause zu ihren Familien gingen, wurde ich zu "bishop amma" gebracht, wo ich die nächsten zwei Tage verbringen durfte. Dort half ich anderen Jugendlichen, den Campus und das Haus zu schmücken, durfte auf die Eröffnung eines Jahrmarktes mitgehen und war dabei, als Kindergruppen am 24. Dezember abends vorbeikamen und Weihnachtslieder sangen. Der 25. Dezember - der Tag, an dem hier in Indien Weihnachten gefeiert wird - begann für mich sehr früh, nämlich um Mitternacht, denn um diese Uhrzeit begann der midnight service, zu dem ich mit der Bischöfin gegangen bin. Der Weihnachtsgottestdienst war eigentlich wie jeder andere, genau wie in Deutschland konnte ich auch in Indien beobachten, dass deutlich mehr Leute als an normalen Sonntagen in die 'Holy Cross Cathedral' gekommen sind. Nach dem Gottesdienst hatte ich eine halbe Stunde (!) Zeit um mich auszuruhen und wurde dann gegen 5 Uhr völlig übernachtigt zu Vikram, einem Mitarbeiter der Gemeinde gefahren. Da bishop amma noch weitere Gottesdienste zu halten hatte, wurde ich von ihm und seiner Familie eingeladen, den Weihnachtstag mit ihnen zu verbringen. Ich durfte den Morgen über schlafen und konnte so ausgeruht zum großen Mittagessen kommen, zu dem befreundete Familien und sogar ein hinduistischer Freund kamen. Nachmittags wurde Fernsehen geschaut und ich spielte mit der Tochter und dem Schwiegersohn Karten. Der Weihnachtstag war also für mich ziemlich entspannt, so etwas wie Geschenke austauschen oder groß Feiern gibt es hier nicht, das wird dann eher an den Geburtstagen gemacht. Ich fand die ruhige Athmosphäre sehr angenehm nach der doch sehr stressigen Woche davor und als Vorbereitung auf meine Reise nach Goa.

Am 26. frühmorgens ging es nämlich für mich los, erst zu Johanna nach Gadag und dann weiter nach Goa, wo ich mich mit anderen Freiwilligen getroffen habe. Zusammen haben wir uns ein paar schöne Tage gemacht, den Strand und das freie Leben genossen, zum ersten Mal seit Monaten wieder europäisch gegessen und natürlich auch Silvester gefeiert. Und plötzlich war ich dann doch wieder glücklich über das Wetter - dass ich Ende Dezember bei 30 Grad an einem paradiesischen Strand liegen kann und nicht in Deutschland frieren muss. Nach dieser kleinen "Indien-Auszeit" bin ich nun aber froh wieder in Nandyal bei "meinen" Mädchen zu sein. In diesem Sinne wünsche ich euch allen ein frohes neues Jahr!

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Die "Supposed-Christmas" Function bei mir im Hostel. (Foto: EMS/Janke)
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In Goa habe ich mit anderen Freiwilligen am Strand Silvester gefeiert. (Foto: EMS/Janke)