Weltweit erlebt
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14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Selbst bei schweren Arbeiten wird meist der Sari von Frauen getragen (Foto: EMS/Kürzinger)
09. Juli 2017

Indien, Land der Kontraste - ein Klischee?

Katharina

Katharina

Indien
leistet ihren Freiwilligendienst in einem Kinderheim
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Klischee oder Wahrheit?

Ein großer Unterschied zwischen Arm und Reich, ein Land zwischen Moderne und Tradition – das wird häufig mit Indien assoziiert. Auch ich wurde natürlich mit diesen Themen konfrontiert und versuche darzustellen, wie ich ein paar Aspekte dieses Bildes Indiens aus meiner Perspektive erlebt habe.

Ein nicht zu leugnendes Vorurteil über Indien ist die Tatsache, dass es Millionen Menschen gibt, die in erbärmlichen Verhältnissen in Slums leben. Zum anderen gibt es die sehr wohlhabenden Inder, auch wenn dieser Teil der Gesellschaft ein geringer Prozentsatz ist. Aber das gesellschaftliche Bild Indiens befindet sich im Wandel: Die Mittelschicht im gesamten asiatischen Raum wächst und so auch in Indien. Dieses Beispiel lässt sich auf mein Lebensumfeld in Secunderabad anwenden. Denn der Großteil der Mädchen im Wesley Girls‘ Hostel wird durch KNH (Kinder Not Hilfe) unterstützt, da die Eltern die für ihre Verhältnisse hohen Gebühren für das Hostel und die Schule nicht aufbringen können. Viele Eltern sind nämlich geringverdienend, da sie zum Beispiel in der Landwirtschaft tätig sind oder der Vater als Elektriker. Doch die Mädchen des Hostels durchbrechen diesen Kreislauf des geringen Lohns: An ihre Schulzeit auf der English Medium Highschool neben dem Hostel, schließt sich in den meisten Fällen ein Besuch des Wesley Girls‘ College an, in dem die Unterrichtssprache auch Englisch ist. Sie haben viele Berufsmöglichkeiten offen und werden nach der Beendigung des Colleges, zum Beispiel in Banken oder als Ernährungsberaterin arbeiten. Auch war es das Ziel eigentlich aller Mädchen, zuerst ihren Collegeabschluss in der Tasche zu haben und in das Berufsleben einzusteigen und dann erst zu heiraten. Meiner Erfahrung nach, wird in den noch mehr traditionell geprägten ländlichen Gebieten Indiens sehr viel früher geheiratet.

Doch auch im großstädtischen Hyderabad wird noch sehr viel Wert auf Tradition gelegt. Dies spiegelt sich sehr deutlich in der Kleidung der Frauen wieder. Das Straßenbild dominiert die traditionelle indische Kleidung wie Churidars oder Kurtas, sowie der bekannte Sari. Der Sari wird im Alltag hauptsächlich von verheirateten Frauen getragen, denn nach der Heirat wird dies regelrecht erwartet. Doch viele der Hostelmädchen erzählten mir, ihre Mutter ziehe für den Alltagsgebrauch auch öfter einmal Kurtas an, da dies einfach praktischer als ein Sari sei. Doch ein nicht zu schlagendes Argument ist die Eleganz und ästhetische Erscheinung, die durch das Tragen der oft sehr farbenfrohen Stoffbahnen hervorgerufen wird. Deshalb ist dieses Kleidungsstück für Frauen auf Feiern ein regelrechtes Muss, auch unverheiratete junge Frauen tragen dann oftmals einen reich geschmückten Sari. Das Hostel selbst hatte auch eine konservative Vorstellung von der Kleiderordnung der Mädchen. Denn ein Kleidungsstück durfte nicht fehlen, egal ob die Mädchen traditionelle oder westliche Kleidung anhatten: Der Schal. Es hat sich mir nicht ganz erschlossen, weshalb es für die Mädchen unabdingbar war den Schal zu tragen, da sie ein reines Mädchencollege besuchten, aber die Wardens und die Hostelleiter konnten ganz schön ungemütlich werden, wenn sie ein Mädchen ohne Schal erwischten. 

Doch solche Gepflogenheiten differieren auch in den unterschiedlichen Städten. Zwei von der Größe her etwa vergleichbare Städte sind Hyderabad und Bangalore, in beiden spielt auch der IT-Sektor eine große Rolle (Hyderabad wird oft Cyberabad genannt). Wie schon erwähnt, wird in meiner zweiten Heimatstadt Hyderabad größtenteils traditionelle Kleidung von Frauen und auch jungen Mädchen getragen. Durch meine beiden Seminar- bedingten Besuche in Bangalore habe ich einen Eindruck der dort getragenen Kleidung gewonnen und beobachtet, dass westliche Kleidung von Frauen dort sehr viel häufiger getragen wird als in Hyderabad. Meine Theorie zur Begründung dieser Beobachtung ist, dass Bangalore schon über einen viel längeren Zeitraum internationale Betrieben primär aus dem IT Bereich beherbergt und somit westlichen Einflüssen schon länger ausgesetzt ist. Wie sich Hyderabad und andere indische Städte entwickeln wird die Zukunft zeigen. Doch ich persönlich finde es toll, wie die Inder ihre Traditionen pflegen und zelebrieren. Und ich hoffe, sie können diese behalten und bewahren und im unaufhaltbaren Fortschritt eine Balance zwischen den eigentlich gegensätzlichen Begriffen Tradition und Moderne schaffen.

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Eine Frau im Sari und eine im Churdidar: ein praktischer Sonnenschutz ist im Outfit integriert. (Foto:EMS/Kürzinger)
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Eine Prozession in einem Hindu Tempel wird mit dem Smartphone dokumentiert (Foto:EMS/Kürzinger)