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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Der Virupaksha Tempel in Hampi - Bei dem Gopuram (Tempelturm) sieht man die Stierhörner! (Foto: EMS/Gieseke)
Der Virupaksha Tempel in Hampi - Bei dem Gopuram (Tempelturm) sieht man die Stierhörner! (Foto: EMS/Gieseke)
12. März 2019

Der Hinduismus

Miriam

Miriam

Indien
arbeitet in einem Mädchenheim mit
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Om Gam Ganapataye Namaha

Mit diesem Mantra wird Ganesh, die rundliche freundliche Gottheit mit dem Elefantenkopf angerufen. Der gemütliche Gott genießt nicht nur gutes Essen, wie die Namen der indischen Restaurants in Deutschland versprechen. Ganesh ist der Gott des Anfangs, der alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Deswegen hat er gleich am Anfang dieses Blogs seinen Platz.

Auch mein Tag beginnt mit Mantren von Ganesh und anderen Göttern. Zu Sonnenaufgang hört man die gesungenen und mit (oft quäkenden) Lautsprechern verstärkten Mantren der umliegenden Tempel, die sich gegenseitig überlagern.

Ungefähr 80% der Bevölkerung Indiens sind Hindus. Die größte Minderheit sind die Muslime mit etwa 13%. Die indische und hinduistische Geschichte ist so eng miteinander verflochten, dass ursprünglich religiöse Praktiken zu gesamtindischem Kulturgut werden und auch von Muslimen und Christen praktiziert werden.

Die Götterwelt ist im Hinduismus sehr vielfältig, oder anders gesagt: Es gibt über 330 Millionen verschiedene Götter. Man kann aber auch sagen: Der Hinduismus ist sehr vielfältig. Er ist nämlich der Sammelbegriff für alle lokal entwickelten Glaubensvorstellungen Indiens – und dabei bedenke man die Größe Indiens. Die riesige Götteranzahl kommt also zu einem durch die vielen lokal unterschiedlichen Götter und lokale Namen für die Hauptgötter zustande. Außerdem werden diese auch in ihren verschiedenen Inkarnationen, das heißt in ihren Lebenskreisläufen verehrt. Die vielen Gottheiten werden aber auch als symbolhafte Gestalten oder Facetten der ewigen Lebensenergie oder Weltseele Brahman gesehen. Man kann sagen, dass Monotheismus und Polytheismus in gewissen Weise koexistieren.

Ich versuche mal meinen groben Überblick weiterzugeben und erzähle euch den Ursprungsmythos der drei Hauptgötter wie er mir erklärt wurde. Bestimmt gibt es hier auch lokale Unterschiede.

Zunächst gab es die Göttermutter und zugleich Todesgöttin Kali. Sie besaß das dritte Auge, was quasi das Energiezentrum des Menschen darstellt. Sie erschuf zunächst Brahman als ihren Ehemann. Dieser jedoch lehnte die Ehe ab, weil sie quasi seine Mutter sei. Aus Wut öffnete Kali das dritte Auge und Brahman zerfiel zu Asche. Deswegen erschuf sie Vishnu, den sie um das gleiche bat. Auch er lehnte ab und erlitt das gleiche Schicksal. Schließlich schuf sie Shiva. Shiva ist für seine Schlauheit bekannt und nahm die Ehe unter zwei Bedingungen an. Zunächst wünschte er sich Kalis Waffen und schließlich ihr drittes Auge. Anschließend tötete er die schutzlose Kali mit dem dritten Auge. Shiva ist nicht nur der Gott der Zerstörung, sondern auch der Gott des Neuanfangs, der auf die Zerstörung folgt. So konnte er Brahman und Vishnu wiedererwecken und teilte die Asche Kalis in drei Teile. Aus der Asche entstanden die drei Ehefrauen der Hauptgötter: Saraswati, Lakshmi und Parvati.

Die drei Hauptgötter haben unterschiedliche Bedeutungen: Brahman ist der Schöpfer, der die Erde erschaffen hat. Vishnu ist der Erhalter, der dafür sorgt, dass die Erde sich weiter dreht und das Leben beschützt wird. Shiva ist wie oben erwähnt der Gott der Zerstörung aber auch des neuen Anfangs. Verehrt werden im Hinduismus aber nur Vishnu und Shiva.

Wie ihr in der Geschichte seht, können die symbolhaften Götter auch heiraten, sich streiten oder Kinder kriegen. Ganesh zum Beispiel ist einer der Söhne Shivas. Die Geburten oder Hochzeiten werden auch in den religiösen Ritualen aufgenommen. Das heutige Dorf Hampi, früher Hauptstadt des letzten Hindugroßreichs, rühmt sich zum Beispiel damit, sowohl der Geburtsort Shivas zu sein, als auch Ort der Hochzeit mit Parvati. Diese wird auch in einem großen Festival gefeiert.

Die Götter können in verschiedenen Inkarnationen, das heißt Lebenskreisläufen auftreten. Gautama Buddha, der Gründer des Buddhismus gilt als eine der zehn Inkarnationen Vishnus. So sind im Buddhismus ein paar Glaubensinhalte und Traditionen ähnlich dem Hinduismus. Ein Glaubensinhalt des Hinduismus wie des Buddhismus ist die Wiedergeburt von Menschen und auch Göttern in verschiedenen Formen. Nach der Karmalehre steigt man mit guten Taten (gutem Karma) mit jeder Wiedergeburt immer weiter in der Hierarchie der Welt auf, bis man mit der Erlösung wieder mit Brahman, dem Schöpfer und der ewigen Lebensenergie vereinigt wird. Die Hierarchie geht hierbei von Pflanzen über Tiere durch das ganze Kastensystem bis zu den Priestern, der oberen Kaste. Durch die Karmalehre ist die indische Gesellschaft auch von starken Hierarchien geprägt, wie zum Beispiel vom Kastensystem. Wenn du in einer niederen Kaste geboren wirst bist du durch die Karmalehre erstens selbst schuld, weil du in deinem letzten Leben nicht genug gutes Karma gesammelt hast und lehnst dich zweitens nicht gegen das Kastensystem auf, weil das jede Menge schlechtes Karma und somit eine Wiedergeburt in noch schlechteren Umständen oder gar als Tier droht.

Was dafür gutes Karma bringt: Tempelbesuche. Das Gebetsritual wird dabei als Puja bezeichnet. Und die Puja erlebt man mit allen Sinnen. Das finde ich sehr spannend, weil es ganz anders als im Christentum ist. Wenn wir beten entlasten wir unsere Sinne: Wir suchen einen ruhigen Ort, wir schließen die Augen. Bei einem Besuch im Tempel ist das anders. Du hörst etwas: Die Glocken die am Eingang oder im Tempel hängen und von den Gläubigen geläutet werden, genauso wie kleinere Glocken, die die Priester bei der Puja läuten. Du riechst etwas: In vielen Tempeln werden Räucherstäbchen als Teil der Puja angezündet. Du siehst etwas: Die Götterstatuen aus Stein werden prachtvoll mit Kleidung, Schmuck und Blumenketten verziert. Du fühlst etwas: Die Priester führen eine Öllampe in Mustern am Gottesbild vorbei, während sie mit den Glocken läuten. Die Gläubigen fühlen mit den Händen die Wärme der Lampe und führen die Hände dann zu Stirn oder Lippen. Du schmeckst etwas: Nach dem Ritual gibt es in vielen Tempeln eine der heiligen Speisen. Dazu gehört Kokosnuss oder Kokosnusswasser oder Laddus, das sind Süßigkeiten aus Zuckerrohrsirup und ghee, geklärter Butter. Nach dem Ritual bekommt man meist eine Tilaka, einen Punkt aus meist rotem Farbpulver zwischen die Augen, die das dritte Auge andeutet und schützt.

Es gibt auch besondere Pujas für bestimmte Anlässe. Außerdem gibt es eine Zeit, in der die Götter symbolhaft von den Priestern gewaschen und gepflegt werden. Bei manchen besonderen Pujas dürfen nur Priester anwesend sein. Bei manchen Tempeln gibt es aber eine Art "Abfluss" aus dem Sanctum: Heilige Flüssigkeiten wie Ghee oder Kokosnusswasser, die in der Puja genutzt werden, werden dort von den Gläubigen aufgefangen.

Obwohl der Hinduismus so unterschiedlich sein kann, gibt es ein paar Symbole, die allgemein als rein oder heilig gelten. Oft ist das historisch aus dem hohen Stellenwert und Respekt entstanden. Das bekannteste Symbol ist wohl die Kuh, die in Indien sowohl in Großstädten als auch auf dem Land frei herumlaufen kann. Ab und zu begegne ich auch Kühen, die mit einer Tilaka (dem roten Punkt zwischen den Augen) oder dem dafür genutzten Farbpulver geschmückt sind. Einen besonderen Stellenwert haben auch alle Kuhprodukte, vor allem ghee, geklärte Butter. In der obersten Kaste wird ghee (angeblich) in jedem Essen verwendet. Viele Hindus verzichten auch auf Kuhfleisch. Unter der Regierung der hindu-nationalisitischen BJP ist die "Beef Ban"(Rindfleischverbot)- Bewegung politisch sehr groß geworden. Sie will den Verzehr von Rindfleisch für alle strafbar machen. Die Kuh ist das Reittier Shivas, weshalb sich in vielen Tempeln Kuhstatuen befinden. Ihnen werden zum Beispiel auch Gebete ins Ohr geflüstert.
Auch im Gopuram, das ist der Turm, der sich über den Tempeleingängen befindet, kann man manchmal seitlich die Hörner angedeutet sehen. Der Name Gopuram leitet sich aus den Sanskrit Wörtern go (Kuh) und puram (Stadt) her. Auch echte Kühe (vor allem besonders große) werden in Tempeln gehalten. In einem Tempel konnte ich sehen, wie Gläubige unter einer Kuh durchgeklettert sind, weil dies den Segen Shivas und Wohlstand bringen soll.
Ein weiteres wichtiges Tier ist der Elefant, das Reittier Lakshmis, die für Schönheit und Wohlstand steht. Neben Tempelbullen gibt es deswegen auch Tempelelefanten, die auf dem Tempelgelände leben.

Wichtig für die Puja ist außerdem die Kokosnuss, die die wohl beliebteste Opfergabe darstellt. Insgesamt werden sehr viele Opfergaben gebracht wie Blumen, mit denen das Götterbild geschmückt wird, Bananen oder eben Kokosnüsse. Vor jedem Tempel sieht man Stände und Straßenhändler, die diese Dinge verkaufen. Auch neue Motorräder oder Rickshas werden vor der ersten Fahrt zum Tempel gebracht und dort mit Symbolen bemalt und mit Räucherstäbchen bestückt. Mit der Puja wird das Gefährt von den Göttern gesegnet.

Als Äußerliches Merkmal im Hinduismus fällt einem vor allem die Tilaka auf, die viele Leute tragen. Meist ist sie in roter Farbe, aber es gibt viele Variationen. Drei weiße horizontale Striche stehen beispielsweise für die Verehrung Shivas. Auch ist es eine Hochzeitstradition, dass das rote Farbpulver der Braut in den Scheitel eingerieben wird. Ein paar verheiratete Frauen tragen dies auch im Alltag. Kleinkindern wird manchmal ein großer schwarzer Punkt ins Gesicht gemalt. Wahrscheinlich gilt das nicht als Tilaka, weil der Punkt immer auf einer Seite, nicht mittig zwischen den Augen ist. Er soll die Kinder vor bösen Mächten beschützen oder zum Beispiel bei Schmerzen eine schnelle Heilung herbeiführen. Die Tilaka ist heute oft als Schmuck verwendet, dafür wird dann der Begriff Bindi verwendet. Frauen haben oft kleine Glitzerstein-Sticker oder mehrere Punkte farblich passend zu ihrer Kleidung aufgemalt – ich finde das sehr schön.

Eine weitere schöne Tradition finde ich die Rangoli. Das sind aus Reismehl oder Farbpulver gestreute Muster, die man vor Haus- oder Tempeleingängen findet. Sie gelten insbesondere der Göttin Lakshmi und sollen sie ermutigen, den Hausbewohnern gut zu tun. In hinduistischen Häusern sind auch oft die Türschwellen in gelb und rot bemalt. Der Grund ist, dass Vishnu in seiner Inkarnation als Narasimham (Halblöwe) einen Dämonenkönig tötete. Der Dämonenkönig hatte zuvor aus List von Brahman die Eigenschaft bekommen, weder drinnen noch draußen, weder von Mensch noch von Tier, weder tagsüber noch nachts getötet werden zu können. Vishnu tötete ihn also als Halbmensch in der Dämmerung auf der Türschwelle, was der Grund dafür ist, dass sie in Häusern geschmückt werden. Auch Tempel haben eine große Türschwelle, über die die Gläubigen aus Respekt einen großen Schritt machen und nicht draufsteigen.

Viele Traditionen werden auch von den Christen in meinem Umfeld praktiziert. Denn die Traditionen sind nicht nur hinduistisch, sondern ein wichtiger Teil der indischen Kultur, die über Jahrtausende gemeinsam mit dem Hinduismus gewachsen ist. Ich bin sehr froh, einen (kleinen) Teil dieser Kultur kennengelernt zu haben und die Andersartigkeit dieser Religion erstaunt mich immer wieder. Mindestens genauso sehr erstaunt mich aber der Frieden und die Akzeptanz, der hier meist zwischen den Religionen herrscht.

Wer noch Lust hat, etwas die Stellung des Glaubens zu lesen kann gerne noch in meinem anderen Blogeintrag vorbeischauen!

Bis Bald, eure Miri

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Beim Sanskrati Fest im Januar waren die Rangoli besonders schön! (Foto:EMS/Gieseke)
Beim Sanskrati Fest im Januar waren die Rangoli besonders schön! (Foto:EMS/Gieseke)
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Im Dezember und Januar pilgern viele junge Männer zum Sabarimala Tempel im südwestlichen Kerala (Foto:EMS/Gieseke)
Im Dezember und Januar pilgern viele junge Männer zum Sabarimala Tempel im südwestlichen Kerala (Foto:EMS/Gieseke)