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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Große Auswahl: Puri, Chapati und Papu, Chutney, Curry und Joghurt (Foto: EMS/Gieseke)
Große Auswahl: Puri, Chapati und Papu, Chutney, Curry und Joghurt (Foto: EMS/Gieseke)
19. Dezember 2018

Annam tinnava? (Hast du schon Reis gegessen?)

Miriam

Miriam

Indien
arbeitet in einem Mädchenheim mit
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Nach drei Monaten habe ich mich jetzt doch noch entschieden, ein bisschen über das Essen zu schreiben, beziehungsweise eher über die Bedeutung des Essens.

Statt mit einem "Wie geht's?" wird man hier mit einem freundlichen "Tiffin chesara?" oder "Annam tinnava?" begrüßt, also der Frage, ob man schon sein Frühstück bzw. seinen Reis gegessen hat. Am Anfang konnte ich mich nie daran erinnern, was ich am Abend zuvor oder zum Frühstück gegessen habe. Dafür waren aber Gemüsearten sowie sämtliche Formen des Wortes "essen" mit die ersten in meinem Telugu-Wortschatz.

Dass der Smalltalk hier sich so auf das Essen konzentriert macht aber auch Sinn, weil der Zusammenhang zwischen Essen und Krankheit hier sehr eng gesehen wird. Bei Erkältung sollte man keine Guaven essen, bei Fieber keinen Reis und bei Magendarmproblemen kein scharfes Curry oder erstaunlicherweise Bananen (im Gegensatz zu unserer Gewohnheit in Deutschland). Wenn man also keinen Reis oder kein Curry ist, kriegt man über den Smalltalk auch schnell raus, dass es jemandem nicht gut geht - letzendlich fragt man indirekt also auch "Wie geht es dir?". Andersherum wird zuerst auch immer nach dem Essen gefragt, wenn man krank wird und kriegt dann auch viele Ernährungstipps: Milch bei Fieber, Tee (mit gefühlt 50% Zucker) bei Müdigkeit und Erkältung, Reis mit Joghurt bei Magenproblemen und und und. Ob meine Erkältung jetzt von der Guave am Vortag kommt oder davon, dass ich nach der Gurke Wasser getrunken habe, sei jetzt mal dahingestellt...

Essen hat aber noch mehr gesellschaftliche Bedeutung. Es wird wie bei uns auch meist zusammen gegessen, doch zum Beispiel bei Besuchen von wichtigen Persönlichkeiten wird diesen zuerst in einem Raum mit Tischen serviert, während die anderen warten oder draußen im Stehen essen. Auch ich wurde am Anfang immer in ein extra Zimmer zum Essen geführt, wo eine von den Mädchen dann wartete, bis ich fertig war.  Als Gast kriegt man meist Unmengen von Reis und Curry auf den Teller und auch nach einem bestimmten "Chalu" ("genug") bekommt man oft noch einen großen Löffel hinterher. Nicht nur bei Besuchen, sondern auch bei Veranstaltungen wie Vorträgen oder christlichen Treffen werden einem ungefragt Früchte, Getränke oder Snacks in die Hand gegeben - das ist ein Teil der Gastfreundschaft. Es bedeutet, dass man sich um dich kümmert. 

Repräsentativ dafür ist auch eine Geburtstagstradition: Das Geburtstagskind schneidet den Kuchen an und wird dann zuerst mit einem Stück gefüttert, bevor der Kuchen verteilt wird. Bei meinem Geburtstag letzte Woche durfte ich auch erfahren, dass man auf diese Art deutlich mehr isst, als wenn man sich ein Stück runterschneiden würde. Die Bedeutung dahinter sind gute Wünsche zum Geburtstag, man kümmert sich um das Geburtstagskind, indem man ihm gutes Essen gibt. Bei Hochzeiten wird dem Brautpaar auch eine Mischung aus Reis und Blumen auf Schultern und Kopf gestreut, als Segenswunsch für eine (materiell) sorglose und glückliche Zukunft.

Zum Schluss rede ich jetzt doch noch kurz über das Essen selbst. Grundsätzlich gibt es Reis mit einem oder mehreren Currys. Aber Reis morgens, mittags, abends ist überhaupt nicht langweilig. Es gibt ganz verschieden Arten, Reis zuzubereiten: Gekocht, gekocht und mit Gewürzen angebraten, Reis mit Linsencurry zusammengekocht (Puli Hora) und natürlich durch Kochzeit und Reissorte unterschiedliche Konsistenz. Außerdem gibt es zum Frühstück auch oft Upma, einen Brei aus grobem Reismehl oder Grieß, Idly, dickere runde Fladen aus Reismehl oder Dosa, das sind Pfannkuchen aus Reismehl. Abends gibt es bei mir öfters Chapati, das aus Weizenmehl hergestellt wird und dann mit oder ohne Öl in der Pfanne zubereitet wird. Das sind jetzt nur ein paar Beispiele, damit es hier nicht zu lang wird.

Auch die Currys sind durch die vielen Gewürze sehr unterschiedlich - die Gemüsesorten sind zum Teil gleich, zum Teil sehen sie aber ganz anders aus, als ihre Verwandten in Deutschland oder schmecken anders. Ein ganz typisches Curry ist Papu, ein Linsencurry, das auch oft noch als zweites Curry gegessen wird - und auch Papu kann sehr unterschiedlich sein. Zum Teil wird zum Ende noch Reis mit Joghurt gegessen, der mit Salz oder Zwiebeln gewürzt wird.
Vor allem morgens und nachmittags wird auch sehr gerne Tee oder Kaffee getrunken. Weil so viel Zucker darin ist trinkt man jeweils nur eine ganz kleine Tasse. Auch die Süßigkeiten sind hier meistens süßer als in Deutschland.

In der Küche von Hema und Jeevan, meiner kleinen Gastfamilie, habe ich auch schon ab und zu gekocht. Den Kaffee ohne Zucker zu trinken stieß dabei nicht auf Verständnis. Mein Geburtstags-Marmorkuchen ist aber sehr gut angekommen. Außerdem habe ich einmal Kaiserschmarrn mit Apfelchutney gemacht, was ihnen auch gut geschmeckt hat. (Etwas süßes als ganzes Frühstück zu essen wollten sie trotzdem nicht :D)


Entgegen der Erwartung, vor allem weil alle meinten in Telangana wäre das Essen so scharf, hatte ich eigentlich kaum Probleme mit der Schärfe. Man kann ja auch selbst entscheiden, in welchem Verhältnis man Reis und Curry mischt. Auch mit den Händen und ohne Tisch zu essen ist schnell ganz normal geworden - jetzt könnte ich mir nicht mehr vorstellen in einem indischen Restaurant mit Besteck zu essen.


Ich mag das Essen hier total gerne und bin fleißig am kochen lernen - langsam kenne ich die ganzen Gewürze schon besser und so unterschiedlich ist der Rest der Zubereitung meistens nicht.


Damit liebe Grüße aus dem jetzt winterkalten Khammam bei etwa 25°,

Miriam

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Mein Lieblingsobst - Guaven aus dem Garten (Foto: EMS/Gieseke)
Mein Lieblingsobst - Guaven aus dem Garten (Foto: EMS/Gieseke)
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Hier kommt das Gemüse her - mangels Kühlschrank immer frisch! (Foto: EMS/Gieseke)
Hier kommt das Gemüse her - mangels Kühlschrank immer frisch! (Foto: EMS/Gieseke)