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Ein großes Werbeplakat mit einer eher westlich aussehenden Frau auf dem Cover (Chennai) (Foto: EMS/Roeckle)
Ein großes Werbeplakat mit einer eher westlich aussehenden Frau auf dem Cover (Chennai) (Foto: EMS/Roeckle)
05. April 2023

Indien und die Sache mit den Hautfarben

Lisa

Lisa

Indien
Mädchenheim
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„Was ist deine liebste Hautfarbe ?“ 

Das war eine der ersten Fragen die mir die Mädchen gestellt hatten, nachdem sie sich etwas mehr an mich gewöhnt hatten. Nun würde manch einer nicht weiter über diese Frage nachdenken, es ist ja eine recht simple Frage. Andere wiederum würden sich mit dieser Frage unwohl fühlen - aus den verschiedensten Gründen. Ich weiß nicht mehr genau ,wie ich mich gefühlt habe, als ich diese Frage das erste mal gestellt bekommen habe, aber ich weiß ,dass sie mein Interesse geweckt hat. Weniger Interesse hatte ich jedoch an Leuten, die mir rieten mich von der Sonne fern zu halten, weil dadurch meine Haut dunkler werden würde.

Ich war mir schon darüber im klaren, dass der Großteil von Asiens Schönheitsideal nach heller Haut verlangt, aber war doch nicht ganz auf diese Direktheit gefasst gewesen. Viele Firmen hier werben ausschließlich mit Menschen mit einem hellen Hautton, manchmal auch gleich mit weißen Menschen. Hier gibt es populäre Filter in den sozialen Medien, die die Haut erst dunkel erscheinen lassen. Dabei macht die benutzende Person ein unglückliches Gesicht bis der Filter wegfällt um zu zeigen wie hell die eigene Haut doch eigentlich ist und wie glücklich man dadurch ist. In Filmen und TV Sendungen spielen ebenfalls ausschließlich Menschen mit hellem Hautton mit oder ein seltsamer Filter wird über die Schauspieler*Innen gelegt um sie heller erscheinen zu lassen. Werbecampagnen für Kosmetikprodukte werben mit Slogans wie „fair and handsome“, das heißt so viel wie „Hell und schön“. 

Die multimilliarden Dollar schwere Hautaufhellungs- Schönheitsindustrie ist omnipräsent, aber das ist nicht nur in Indien der Fall. Dennoch muss ich wirklich darauf achten, nicht aus versehen eine Body Lotion mit „hautaufhellenden“ Inhaltsstoffen zu kaufen, welche nachweislich schädlich für die Haut ist und Langzeitschäden verursachen kann. 

Vor allem in den modernen Teilen der westlichen Gesellschaft werden alle Hautfarben die die Welt zu bieten hat zelebriert (oder wenigstens akzeptiert), auch wenn das nicht schon immer der Fall gewesen ist. Auch wenn sich viel getan hat, hat Europa doch eine lange Geschichte in Dingen blasse weiße Haut als Schönheitsideal. Es ist allseits bekannt, dass es sich nur bestimmte Gesellschaftsschichten (z.B. der Adel, Menschen mit Reichtum, etc.)  leisten konnten im Haus zu bleiben. Durch ihre Diener und Sklaven mussten sie so gut wie nie draußen arbeiten. Durch diese Umstände hatte die Oberschicht einen helleren Hautton im Vergleich zum Rest der Bevölkerung. Da Schönheitsideale scheinbar immer das verlangen ,was ein Großteil der Gesellschaft nicht besitzt, eiferten alle diesem Ideal nach. Denn durch Schönheit kam Aufmerksamkeit und durch Aufmerksamkeit kamen Gelegenheiten für bessere Umstände. 

Man darf nicht vergessen, dass auch eine gute Portion rassistisches Gedankengut dieses Ideal befeuert hat, aber das ist ein Thema für einen anderen Tag. 

Diverse Studien befassen sich damit, wie sich dies auf die generelle Wahrnehmung von Schönheit auswirkt. Da es mittlerweile nicht mehr diese klare Linie zwischen arm und reich gibt und es viel mehr Möglichkeiten für die Meisten (inklusive Frauen und Menschen anderer Geschlechter) gibt, einen Job zu finden und genug Geld zu verdienen und vielleicht sogar das ein oder andere mal in den Urlaub zu reisen, hat sich viel verändert. Sobald die  Modeindustrie mit an Bord war, stand dem „Tan/gebräunte Haut“ Trend und Lifestyle nichts mehr im Wege. Dies ist nur ein kleiner Versuch die Geschichte der Schönheitsideale in Verbindung mit Hautfarben zu erklären, schließlich bin ich kein Experte auf diesem Gebiet und dies soll auch keine wissenschaftliche Arbeit werden. 

Wenn wir nun den Fokus von Europa weg und auf Asien lenken, scheint jedoch vieles anders zu sein und ich möchte wissen warum.

Für das Folgende wäre es gut für euch zu wissen, dass meine Hautfarbe deren der meisten Leute hier in Indien ähnelt. Auch wenn ich nicht von hier komme und auch nicht den selben ethnischen Hintergrund habe, wird hier, wie zuhause in Deutschland auch, gerne geraten von wo ich her sein könnte. Die meisten Leute sehen mein Äußeres und meine Hautfarbe und denken „ Ja, sie muss wohl von dort sein.“  

So ist es zuhause und so ist es irgendwie auch hier. Der Unterschied ist, dass ich tatsächlich nicht von hier bin und dass die meisten in Deutschland der Meinung waren, dass ich oder meine Eltern von irgendwo ganz weit weg kommen mussten. Manchmal war ich Brasilianerin, manchmal war ich aus Südafrika oder den USA. Manchmal kam ich sogar aus Indien. Hier meinten auch schon manche, dass ich Inderin sei (meistens bis ich angefangen habe zu reden :D). Seltsamerweise scheinen hier aber viele zu denken ich sei aus Frankreich oder Spanien, was mich nachdenklich werden lässt, denn somit sind die Leute hier um einiges näher an der Wahrheit, als die Leute in meinem eigenen Land. Ist das nicht interessant? 

Wenn ich alleine unterwegs bin, errege ich nicht viel Aufmerksamkeit. Es passiert aber durchaus, dass manche Blicke länger an mir haften bleiben, mit einer Spur Verwirrung in den Augen. Ich kann den Gedankenprozess beinahe hören, der von „Na, einfach eine Frau von hier“ zu „Sie sieht aber irgendwie anders aus,“ irgendwie komisch“ zu „Hm, wo sie wohl herkommt“ springt. Das mag für manch einen vielleicht irritierend sein, aber ich bin daran schon gewöhnt. Und diese besonderen Umstände geben mir eine etwas andere Perspektive und Erfahrung hier in Indien. 

Dies ist etwas anders für meine Mitfreiwilligen. Sie erregen sehr wohl Aufmerksamkeit durch ihre helle Hautfarbe, die doch sehr viel schneller verrät, das sie höchst wahrscheinlich nicht von hier sind. Auf Reisen mit meinen Mitfreiwilligen hatte ich gute Möglichkeiten zu erleben, wie anders sie im Vergleich zu mir behandelt werden. 

Viele Menschen in Indien scheinen eine seltsame Faszination von weißen Menschen zu haben. Die Mädchen in dem Student‘s Home indem ich arbeite, wie auch Schulkinder auf der Straße werden schüchtern und gleichzeitig furchtbar aufgeregt, wenn sie eine weiße Person sehen. Wenn wir draußen unterwegs sind, möchten viele mit meiner weißen Begleitung reden oder laden sie zu sich nachhause ein um Tee zu trinken, Kuchen zu essen und ihre Familien kennen zu lernen. Und immer, wirklich immer Selfies!! Es gab fast keinen Tag, an dem nicht irgendjemand ein Bild mit ihnen machen wollte. 

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich bin recht froh, dass ich nicht diese ganz spezielle Art von Aufmerksamkeit bekomme (obwohl das ganze auch seine Vorteile hat), genieße ich meine „Verdecktheit“ dann doch sehr. Aber es lässt mich nachdenken. Woher kommt das alles? Ist es die Neugier und Faszination von etwas das so anders ist als sonst? Liegt es an diesem destruktiven Schönheitsideal? Oder steckt mehr dahinter? 

Ich erinnere mich an eine Konversation mit einem sehr dunkelhäutigen Auto-Rickshaw Fahrer. Er sprach von seiner Frau und dass diese ihn liebt und für gutaussehend hält. Bei einem Blick in den Rückspiegel meinte er dann zu Luka (ein anderer Freiwilliger aus Deutschland, mit dem ich unterwegs war), dass dieser bestimmt keine Probleme haben würde, jemanden zu finden, der ihn gut findet, da er ja weiße Haut habe und diese so viel schöner sei als dunklere Hauttöne. Der Mann sah mich kurz an bei diesem Statement und ich weiß bis heute nicht, ob er meine Zustimmung haben wollte oder etwas anderes in meinem Blick gesucht hatte. Ich aber blieb still, während sich ein ekliges Gefühl in mir breit machte und ich darüber nachdachte, wie falsch sich diese ganze Situation anfühlte.  

Internalisierter Rassismus und Colorism waren zwei Stichworte, die mir bei diesem Zwischenfall und ähnlichen Situationen in den Kopf kamen. Und ich habe die Befürchtung, dass dieses Problem um einiges tiefer verankert ist als ich ursprünglich dachte. Also lasst mich (oder Menschen aus dem Internet, die um einiges besser im Erklären sind als ich) erklären, was internalisierter Rassismus und Colorism ist.

Internalisierter Rassismus: Dabei handelt es sich um die Akzeptanz von negativen gesellschaftlichen Überzeugungen und Stereotypen über sich selbst, als marginalisierte  Bevölkerungsgruppe. Sprich: Du bagatellisiert Rassismus, obwohl du davon betroffen bist. Gleichzeitig unterstützt du es. (1)

Oder:

Der internalisierte Rassismus, der auf der Einstellungsebene angesiedelt ist und selbst keine Verhaltensweise darstellt, bildet häufig die Grundlage der rassistischen Diskriminierung. Internalisierter Rassismus prägt den Selbstwert von Menschen: Die Person fühlt sich dann als (gegenüber anderen) berechtigt privilegiert (internalisierte Privilegien). Er kann ebenso den Selbstwert von negativ kategorisierten Mitgliedern der Gesellschaft prägen: Die Person übernimmt die negativen Zuschreibungen und empfindet sich tatsächlich als minderwertig (internalisierte Unterdrückung). (1.1)

Mit Colorism ist gemeint, dass die weiße Hautfarbe als Maßstab genommen wird, womit eine Zuweisung von Privilegien und Vorteile für hellere Hauttöne und Nachteile für dunklere Hauttöne verbunden sind. Colorism tritt sowohl innerhalb als auch zwischen rassifizierten und ethnischen Gruppen auf. (2)  

Oder: 

Colorism ist eine Form von Diskriminierungen und Vorurteilen, bei denen Menschen derselben “Race” unterschiedliche behandelt werden. Das wird ein wenig einfacher mit einem Beispiel: Ein Beispiel für Rassismus wäre, wenn ein Unternehmen sagt, wir möchten kein schwarzen Menschen einstellen. Beim Colorism wäre es so, dass das Unternehmen schwarze Menschen generell einstellen würde, aber schwarze Menschen mit einem helleren Hautton vor einer dark skinned People of Color bevorzugt.(2.1)

Immer wenn ich jemanden hier gefragt habe: „Warum sind die Leute in Indien so besessen von heller Haut?“ meinten sie entweder sie wüssten es auch nicht oder es wäre ein Überbleibsel aus früheren Zeiten. Asien hat, wie Europa, eine ähnliche Geschichte, was ihre Aristokraten und deren helleren Hauttöne angeht.  Auch hier musste das gemeine Volk draußen in der Sonne arbeiten und hatten daher einen dunkleren Hautton. Hier wurde der Hautton also auch zum Statussymbol. 

In Indien machen viele Leute einen Unterschied zwischen Menschen aus Nordindien und Menschen aus Südindien. Auf meinen Reisen in nördlicheren Gegenden Indiens ist es mehr als einmal vorgekommen, dass lokale Leute meinten, dass die Menschen im Süden ja so viel dunkler seinen als sie. Nun mag das womöglich eine einfache, unschuldige Feststellung sein, wenn da nur nicht dieser Unterton und Indiens Vorgeschichte mit colorism und rassistischen Vorurteilen wäre. Was sie damit nämlich andeuten ist, dass sie mit ihrer helleren Hautfarbe automatisch besser oder schöner seien als die Leute aus dem Süden. 

Auch habe ich mich schon öfters gefragt, ob Indiens koloniale Vergangenheit eine Rolle in dem Ganzen spielt. Ich habe mich nun schon mit ein paar Leuten darüber unterhalten und viele meinten, dass der Kolonialismus sehr große Auswirkungen auf colorism habe und wie die Menschen in Indien sich und ihrer Hautfarbe wahrnehmen. Zu den Zeiten als die Engländer Indien regierten, war es gängig, dass Inder*Innen mit hellerem Hautton im allgemeinen besser behandelt wurden als ihre Mitmenschen mit dunklerer Haut. Trotzdem unterstanden sie alle ihren „Eroberern“ und vielen anderen schrecklichen Dingen, die im Kolonialismus vorgefallen sind. Dies sorgte für diese schreckliche Mischung aus schädlichem Gedankengut und Idealen, die bis heute bestehen. 

Die Menschen damals waren tagtäglich diesem Verhalten ihnen gegenüber konfrontiert und es ist in der Gesellschaft hängen geblieben, bis es zur generationsübergreifenden Akzeptanz und einem Trauma geworden ist. Natürlich und zum Glück, gibt es viele Menschen, die sich dessen bewusst sind und aktiv dagegen vorgehen. Die bekannte „Dark is Beautiful“ (also „Dunkel ist Schön“) Kampagne Indien, welche 2019 ihr zehnjähriges Jubiläum feierte, wurde von den „Women Of Worth (WOW)“ gegründet .Die Kampagne ist angelehnt an das Konzept der „Black is Beautiful“ Bewegung in den USA. Die Bewegung setzte sich für die Gleichberechtigung von Amerikanern mit Afrikanischer Herkunft ein.Sie kämpften für eine ebenbürtige Wahrnehmung des Afro-Amerikanischen Äußeren und arbeiten aktiv gegen negative Ideale die aus der Zeit der „weißen Vorherrschaft“ stammen. Die „Dark is Beautiful“ Kampagne Indien, leitet viele Workshops und Events über diese Themen. Ihre Message lautet „a person‘s self-worth does not depend on the colour of their skin“.(3) Also, der Wert oder Selbstwert einer Person wird nicht durch ihre Hautfarbe bestimmt. Sie organisieren auch verschiedene Initiativen zum Mitmachen, um aktiv gegen Diskriminierung  vorzugehen. Wenn Sie, werte Leser, an der Kampagne und Themen wie diesen Interesse haben sollten, können sie gerne die Website www.darkisbeautiful.in besuchen um mehr zu erfahren.

Ich weiß, das ist ein schweres Thema, aber ich halte es für wichtig darüber zu schreiben und zu reden. Nich nur im Kontext Indien sondern auch in Deutschland, bei uns ist nämlich auch nicht alles perfekt.

Tschüss,

Lisa

 (1)   https://rosa-mag.de/rosapedia-was-bedeutet-internalisierter-rassismus/

(1.1) https://www.den-menschen-im-blick.de/download/

        Grundlagen_Material_3.pdf_MatrixRassistischeDiskriminierung_Matrix.pdf?m=1629274896&

(2)    https://vielfalt.uni-koeln.de/antidiskriminierung/glossar-diskriminierung-rassismuskritik/.     

(2.1) rosa-mag.de/rosapedia-was-bedeutet-colorism/

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Auch in animierter Form scheint helle Haut bevorzugt zu sein. (Zeitung auf Malayalam, Kannur) (Foto: EMS/Roeckle)
Auch in animierter Form scheint helle Haut bevorzugt zu sein. (Zeitung auf Malayalam, Kannur) (Foto: EMS/Roeckle)
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In TV Sendungen wird oft ein Filter über die Schauspielenden gelegt um ihre Haut heller erscheinen zu lassen (Drama Serie im Fernsehen, Kannur) (Foto: EMS/Roeckle)
In TV Sendungen wird oft ein Filter über die Schauspielenden gelegt um ihre Haut heller erscheinen zu lassen (Drama Serie im Fernsehen, Kannur) (Foto: EMS/Roeckle)

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Lisa 28. April 2023 Deutschland
Liebe Lisa,

Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel. So gut geschrieben und sehr genau auf den Punkt gebracht.