Weltweit erlebt
14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)
Jetzt bin ich in Indien.
Ein indischer Nachtzug fährt gerade vom südlichen Bengaluru Richtung des noch südlicheren Tuticorin. Darin sitze ich, an der offenen Zugtür (@Papa: mit ausreichend Abstand), 6h30 Morgengrauen, von Stunde zu Stunde verändert sich die Landschaft. Da es sich in solchen Zügen (trotz erster Klasse) eh schlecht schlafen lässt schreibe ich jetzt meinen ersten Blogeintrag.
Seit fünf Wochen bin ich jetzt schon hier in Indien – gefühlt. In Wahrheit sind es gerade einmal fünf Tage. Fünf Tage voller neuer Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen.
Die Ankunft
Um also mit dem Anfang anzufangen, so landen wir am Vormittag des 2. Septembers 2016 im an der Ostküste Indiens liegenden Chennai. Außer des tamilischen Films hat der Langstreckenflug nichts Außergewöhnliches an sich gehabt, und so ist der Moment des Begreifens schlagartiger als erwartet; als wir nämlich mit dem kleinen Bus (der gerade einmal Platz hat für: uns elf Freiwillige samt 400kg Gepäck + unseren Mentoren Solomon + den Fahrer) vom Flughafenparkplatz auf die Hauptstraße biegen, ist alles plötzlich neu. Endlich. Jetzt bin ich in Indien.
Die Fahrt beginnt mit einem langen Hupen durch unseren Bus. „Achtung, hier biegt gleich einer auf die Straße ein.“ Tatsächlich scheint das Hupen hier ebenso zum Verkehr zu gehören wie woanders das Blinken. Die Straße besitzt keine Spurentrennlinien, also fahren Autos, Rikschas (diese kleinen gelben Dreirad-Taxis), Busse und Motorroller (davon gibt es hier mehr als Autos) wie es gerade passt, jede Lücke wird gefüllt, bremsen tut man immer erst in letzter Sekunde und trotzdem fügt sich alles ─ selbst an Kreuzungen ohne Ampel. Aus deutscher Sicht ziemlich beeindruckend und vor allem ziemlich Adrenalin-kickend, wenn ich das so sagen kann.
Neben unserem Gehör und unseren Nerven sind auch unsere anderen Sinne dauerbeansprucht. Jeder Atemzug bringt einen neuen Duft. Es ist heiß, heiß und schwül. Die Farben sind anders, die Kleidung ist anders, das Stadtbild ist anders.
Als wir nach einer guten Stunde im Center der Church of South India (CSI), unserer Gastorganisation ankommen, werden wir sehr herzlich empfangen. Mit Blumenketten um den Hals lauschen wir Vorträgen über die indische Gesellschaft und die CSI. Auch üben wir uns zum ersten Mal im Essen mit der Hand (das Essen lecker und scharf) und bekommen zum ersten (und bei weitem nicht letzten) Mal den Nachmittagskaffee serviert (sehr süß mit sehr viel Milch).
Tourizeit in Chennai und Bengaluru
In den nächsten Tagen dürfen wir uns dann erst mal noch wie Touris fühlen. In der Nähe von Chennai bestaunen wir das eindrucksvolle Welterbe Mammalapuram: Hier haben Steinmetze im 7. Jahrhundert eine große Tempelanlage geschaffen, bestehend aus kleinen Hindu-Tempeln und in den Felsen gemeißelten Tempelsälen. Den Ozean begrüßen wir durch ein halbes Bad in Kleidung (wie die meisten Menschen hier) und in Gesellschaft von gartenzwerggroßen hinduistischen Statuen, die immer wieder durch die Wellen an den Strand gespült werden. Wir lernen, die Straße zu überqueren, gewöhnen uns an das Tragen von langen Hosen trotz der 38°C und duschen uns morgens-mittags-abends mithilfe von Eimer und Becher.
Am dritten Tag geht es dann weiter nach Bengaluru. Sechs Stunden Zugfahrt, bequeme Sessel, jede Stunde wird Essen oder Tee serviert. In Bengaluru dann für ein Drittel der Gruppe eines der aufregendsten Erlebnisse bisher: Der Besuch auf einem Markt (das zweite Drittel besah sich währenddessen einen Bahnhof, das dritte einen Park). Schon beim Verlassen des Busbahnhofs ist es geradezu so, als würden wir uns in ein Meer aus Rikschas und Motorrollern, Ständen und Menschen werfen. Menschen überall. Drei Religionen, die meisten Wohlstandsgruppen, alle Altersklassen. Hier verkauft ein Junge (Alter: einstellig) Luftballons und rosa Zuckerwatte; da feiern in Orange gekleidete Menschen das katholisch-lokale St. Mary’s Festival; dort begutachtet eine Gruppe Frauen in Burkas die Waren eines Schmuckstandes. Alle Farben und Formen, ein Paradies fürs Fotographenherz. Viele Frauen tragen weiße Blumen in den Haaren und Saris in allen Abstufungen, in der Luft hängt Fischgeruch und Hindutempelmusik, in den ausgetrockneten Straßenkanälen (Monsunzeit ist erst nächsten Monat) liegt Müll. Erst als unsere Kapazitäten an Eindrücken und Fotospeicher ausgeschöpft sind, verlassen wir den Markt, zu fünft auf der Rückbank eines Taxis.
Außerdem gehen wir sowohl in Chennai als auch in Bengaluru shoppen. Die Einkaufszentren sind hier kaum von den europäischen zu unterscheiden, Jack&Jones und Vero Moda präsentieren die gleiche Mode obwohl wir bisher fast niemanden mit diesem Kleidungsstil gesehen haben. Trotzdem gibt es ein paar Läden die auch Chudithars („Tsudidar“ ausgesprochen) anbieten, hier kaufen wir in Hinblick auf unsere Einsatzstellen gut ein.
Die Gemeinschaft
Die Atmosphäre in unserer Gruppe von Freiwilligen, und auch mit unseren zahlreichen Mentoren und Begleitern ist allgemein sehr schön ─ das äußert sich zum Beispiel in gemeinsamen Lagerfeuer-Abenden mit Singen und Spielen. Auch lernen wir durch meist sehr charismatische Referenten viel, das uns durch die zehn Monate durch von gutem Nutzen sein wird, beispielweise zur „Safety in India“ oder bezüglich der „Golden Rules for volunteers“ .
Auch ins Kirchenleben werden wir schnell eingebunden: In Chennai bitten uns die Pastoren nach dem Erntedankgottestdienst, ein deutsches Lied vorzusingen; in Bengaluru nehmen wir an den zweimal täglich stattfindenden Andachten teil und werden sogar dazu aufgefordert, die Morgenandacht des letzten Tages (7. September = gestern) selbst zu gestalten.
Am gestrigen und letzten Abend wurden wir dann schließlich nach der feierlichen „valedictory function“ von unseren jeweiligen Einsatzstellenleitern abgeholt. Für mich ist das: Kasthuri akka (akka=Schwester), die mir schon jetzt sehr sympathische Leiterin des Women Workers‘ Training Centres (WWTC) in Nagalapuram. Dem Abschied folgte eine durchaus aufregende Rikscha-Fahrt zum Bahnhof (auf eine 1m breite Bank gequetscht zu zweit mit einem Monsterkoffer), wo wir inmitten des ganzen Trubels eine Avocado verzehrten. Und nun bin ich also im Zug und ziemlich gespannt auf meine Einsatzstelle.
Mit ganz viel Liebe aus Indien, Eure Clara