Weltweit erlebt
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14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Der Mysore Palace wird immer zwischen 19 und 21 Uhr erleuchtet. (Foto: EMS/Hasting)
Der Mysore Palace wird immer zwischen 19 und 21 Uhr erleuchtet. (Foto: EMS/Hasting)
18. November 2019

Religionen und Events am laufenden Bande

Benjamin

Benjamin

Indien
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Namaskara!

Seid gegrüßt!

Nachdem ich jetzt ein wenig mehr als zwei Monate in meiner Einsatzstelle bin, habe ich einiges an neuen Erfahrungen gemacht, die ich mit euch teilen möchte. Die Jungs haben mich bis jetzt durch drei Phasen gejagt, indem sie erst ein wenig auf Distanz waren und mich kennenlernen wollten, um mich danach auf die Probe zu stellen und zu schauen, wie ich mich in gewissen Situationen verhalte. Manche erfreuen sich bis heute daran, mich reizen zu wollen, wobei die meisten mich jedoch bis jetzt vollkommen akzeptiert haben und ich mit ihnen außerordentlich gut klarkomme.

Bisher dachte ich, dass ich einer der Menschen wäre, der morgens erst ein wenig Zeit braucht um in Fahrt zu kommen, jedoch sind bei den Jungs immernoch ein paar Anläufe mehr nötig um aufzustehen. Genau deswegen, muss ich mir jeden Morgen aufs neue eine Taktik ausdenken, wie ich sie aufwecke. Das reicht von „einfach-die-Decke-wegziehen“, bis hin zu „ein-Sirenengeräusch-auf-maximaler-Lautstärke-abspielen“. Besonders freundlich hört sich das jetzt nicht an, aber das anfängliche „nett-Wachrütteln“ funktioniert nicht mehr und dauert auch einfach viel zu lange. Einmal war der nächste Tag ein Feiertag und ich wurde von den Jungs gebeten, sie doch ein wenig später aufzuwecken. Wir einigten uns nach langem Überreden auf eine halbe Stunde mehr. Am nächsten Morgen wurde ich jedoch früher als normalerweise wach geschrieen und geklopft. Die Jungs hatten sich ihre Revanche geholt und seitdem machen wir beim Aufstehen immer den ein oder anderen Witz.

In meiner bisherigen Zeit ist mir auch aufgefallen, dass sich alle Jungs größtenteils gut verstehen, wenn man von den ein oder anderen Auseinandersetzungen absieht. Die Religionsangehörigkeit jedes Einzelnen spielt hier so gut wie keine Rolle. Manchmal ziehen sie sich spaßeshalber gegenseitig mit den Traditionen der Religion des jeweils Anderen auf, wobei es aber nie ernst wird. Beim Gottesdienst, der Prayertime oder einem Gebet zwischendurch, machen alle ohne Ausnahme mit, auch wenn manchen bei der eine Stunde langen Predigt ab und zu die Augen zufallen.

Im öffentlichen Bereich habe ich persönlich noch keine Auseinandersetzungen bemerkt. Bisher sind mir aber die muslimischen und christlichen Rikshaw-Fahrer stets mehr entgegenkommen, wenn es um den Preis ging, der sonst für Fremde ein wenig höher ist. Zwei Fahrer bei uns am nächsten Cafe kennen mich jedoch schon und geben mir daher die Preise, die auch normale Anwohner zahlen würden, wofür ich ihnen sehr dankbar bin.

Die Religionszugehörigkeit wird im Alltag auch immer stets offen mit Stickern an der Front- oder Heckscheibe bzw. Anhängern präsentiert und nicht versteckt. Dass Christen jedoch nicht unbedingt immer gerne in der Gesellschaft gesehen werden, merkt man an kleinen unterschwelligen Details. Als ich mit meinem Freund James und seiner Familie auf einer Art Jahrmarkt waren, gab es auch einige Austellungen zu Nachhaltigkeit und dem „Dorf der Zukunft“. In dem Dorf gab es allerlei kleine und bis ins Detail dekorierte Häuser, einen hinduistischen Tempel, eine Moschee, aber keine Kirche weit und breit. Ich habe James darauf angesprochen, woraufhin wir ins Feedbackbuch am Ende geschrieben haben, dass immer von der religiösen Gleichberechtigung in der Regierung geredet wird, diese aber in dieser offiziellen Ausstellung offensichtlich nicht beachtet wurde. Wir haben beide unsere Witze darüber gemacht und unterschrieben. Später habe ich mit seiner Frau, weil James sich nicht traute, noch die ein oder andere Schwindelfahrt gemacht und haben uns durch diverse Essensstände durchprobiert.

James habe ich auf dem Youth Festival der CSI (Church of South India) in Trichy kennengelernt. Ich habe mit ihm, zwei seiner Freunde und zwei meiner Jungs im gleichen Zimmer geschlafen, da wir aus dem gleichen Kirchenkreis kommen. Aus Zufall wohnt er auch in Mysore und besitzt zusammen mit seinem älteren Bruder zwei Fotostudios, in welchen ich sie auch schon einmal besucht habe. Das Festival wurde von 1850 jungen Christen aus ganz Südindien, fast allen Bischöfen der Kirchenkreise und nahezu allen Angestellten des CSI Synod Centre in Chennai und des CSI BCC aus Bangalore besucht. Als „Weiße“ waren wir Freiwilligen zwischen den einzelnen Programmpunkten die Attraktion und ich konnte mich kaum zehn Meter bewegen, ohne nach einem Foto gefragt zu werden. Meistens blieb es aber nicht bei einem Foto, sondern dann wurde noch ein Gruppenfoto, ein Selfie, sowie ein Gruppenselfie verlangt. Meinen Fotoanfragenrekord, der anfangs aus drei Anfragen in 30 Minuten in Mysore bestand, habe ich somit schnell in den Schatten gestellt. Ich wollte anfangs noch zählen, irgendwann habe ich es dann aber aufgegeben. (Ich schätze aber auf 20 Anfragen in zehn Minuten.) Ich habe somit in drei Tagen einen Schnupperkurs bekommen, wie es sich anfühlt „berühmt“ zu sein. Mein Lachen war dabei jedoch meistens nicht künstlich, da mich Avinash, Prajwal (die zwei Jungs aus meinem Boarding Home) und James immer ausgelacht haben. Auf Dauer wurde es jedoch erstaunlicherweise sehr anstrengend und ich hatte den ein oder anderen Krampf in den Wangen. Das Festival war aber abgesehen von der ungewohnt vielen Aufmerksamkeit mit sehr interessanten Themen und Vorträgen ausgeschmückt und ich konnte die unerschöpfbare Energie der südindischen Jugend hautnah erleben und bewundern. Die Hin- und Rückfahrt zog sich jeweils über circa 15 Stunden, wobei ich die ersten Erfahrungen mit Schlafbussen machte.

Im letzten Monat jagte ein Event das andere. Anfang Oktober war in Mysore das Dasara Festival, bei dem die Hindus den Sieg eines Gottes, der von der Region abhängig ist, über das Böse feiern. Während dieser eineinhalb Wochen war ganz Mysore geschmückt und von 7 bis 9 Uhr abends wurde aller Schmuck erleuchtet, was mich sehr an die deutsche Städte während der Advents- und Weihnachtszeit erinnerte. In dieser Zeit wurde ich jeweils von Rahel und Lea, aber auch von Magdalena und Sarah besucht, wodurch ich in den Ferien nicht wegfahren musste, um mit den Anderen etwas zu unternehmen. Jeden Sonntag wird etwas anderes gefeiert und die Gottesdienste werden entsprechend ausgeschmückt. Des öfteren sind in der Region von Mysore Youth Retreats, an denen ich mit der Jugend der Hardwicke Church teilnehme. Dort gibt es auch öfter Song-Competitions, wobei wir einmal den zweiten Platz belegt haben.

Mit Mr. Devarathna, oder Uncle, wie ihn die Jungs nennen, habe ich ausgemacht, dass ich an mindestens einem Sonntag im Monat den englischen Gottesdienst in der Bartholomew’s Church in Mysore besuche. Dieser erinnert mich, von seinem Ablauf und den verwendeten Liturgien, Sprüchen und Liedern oder Melodien, sehr an die Art von Gottesdiensten, die ich aus Deutschland gewohnt bin. Der Besuch hat mir sehr gut getan, da es mir ein Stück Heimat vermittelt hat.

Generell kann ich mit gutem Bewusstsein sagen, dass ich mich gut eingelebt habe und den anfänglichen Kulturschock, mit allen Höhen und Tiefen, so gut wie überwunden habe.

So langsam bereiten sich schon alle auf die Advents- und Weihnachtszeit vor und ich bin gespannt auf den Ablauf der Weihnachtsfeierlichkeiten, sowie auch auf ein Weihnachten bei 25°C+.

Mit den wärmsten Grüßen aus Mysore,

Euer Benjamin.

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Die Hardwicke School, in der ich ab und zu unterrichte. (Foto: EMS/Hasting)
Die Hardwicke School, in der ich ab und zu unterrichte. (Foto: EMS/Hasting)
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Valerie, Magdalena und ich bei einer Demo während des CSI Youth Festivals. (Foto: EMS/Hasting)
Valerie, Magdalena und ich bei einer Demo während des CSI Youth Festivals. (Foto: EMS/Hasting)