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Eine Auswahl von Abbildungen Saddam Husseins, die mir in Jordanien begegnet sind (Foto: EMS/Schnaittacher)
Eine Auswahl von Abbildungen Saddam Husseins, die mir in Jordanien begegnet sind (Foto: EMS/Schnaittacher)
09. Mai 2023

Ein allgegenwärtiges Gesicht

Edgar

Edgar

Jordanien
Internat
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Warum Saddam Hussein in Jordanien überall ist

Der Name Saddam Husseins mag im Westen aus dem kollektiven Gedächtnis schwinden; in Jordanien ist er nicht zu umgehen. Auf den Straßen Ammans sieht man sein Gesicht fast immer. Der irakische Potentat klebt auf Taxis, Bussen, Handyhüllen, den Schaufenstern von Bäckereien, und vielem mehr. Die Frage nach dem „Warum“ verfolgt mich schon lange.

Seine erste Erscheinung vollzog der verschiedene Präsident gleich während meiner ersten Woche in Jordanien. Bei einem ersten Ausflug in die Innenstadt Ammans, auf der Heckseite eines geparkten Toyota-Hilux, traf ich ihn zum ersten Mal an. Der Aufkleber zeigte einen grimmigen, in Zivil gekleideten Mann mit Vollbart; ein Bild das während seines Prozesses, also nach seiner Entmachtung durch die amerikanische Invasion, gemacht wurde. Dieses Motiv ist wohl das beliebteste in Jordanien, im Kontrast zu den martialischen Bildern eines Diktators in Uniform, die im Westen unsere Vorstellung des Mannes prägen. Bei dieser plötzlichen Entdeckung schaffte ich es nicht, ein Foto zu machen. Darüber, dass mir diese Kuriosität entgangen war, ärgerte ich mich zuerst. Rückblickend war dies, ob der Häufigkeit solcher Momente, die sich mir später offenbaren sollte, unnötig.

Auf dem Rückweg fragte ich unseren Begleiter, einen Angestellten der Theodor-Schneller-Schule, zu dem Sticker. Er, Katholik, pries Saddam in einer langen Ration, wobei er besonders die Vorzüge, die Jordanier während seiner Amtszeit erhielten, hervorhob. So sollen jordanische Studenten kostenfrei im Irak studiert haben können. Sein Fazit: „Saddam Hussein war der größte arabische Staatsmann.“

Auch von anderen wurde beim Thema Saddam besonders das irakische Bildungssystem gelobt. In der Zeit zwischen seiner Machtübernahme und der amerikanischen Invasion stieg die Alphabetisierung des irakischen Volkes von 24% auf 90%. Schulbildung wurde kostenfrei und verpflichtend gemacht. Das Bild Saddams als „starker Mann“, der „streng aber fair“ und frei von Korruption sei, spielt ebenso eine enorme Rolle. Mit einem „Corruption Perception Index“ von 47/100 scheint die Situation in Jordanien besser als in anderen Ländern der Region sein, doch im Vergleich zu westlichen Ländern sind Unterschlagung und Bestechlichkeit viel relevanter. Dass sich das Problem hier in den letzten Jahren verstärkt habe, verärgert viele Jordanier, mit denen man spricht. 

Gründe für das jordanische Husseinfieber sind jedoch vielfältig und variieren von Person zu Person, wobei der familiäre und religiöse Hintergrund oft eine Rolle spielt. Ein gut situierter jordanischer Christ, mit dem ich sprach, legte besonderen Wert auf die relative religiöse Freiheit und Vielfalt im Irak unter Saddam. Er erzählte mir von einem irakischen Bekannten, der als sunnitischer Moslem im Irak nach der Invasion auf große Probleme stieß. Er musste sich wohl zwei ID-Karten zulegen, um sich in den verschiedenen Vierteln Baghdads fortbewegen zu können. Die eine zeigte den schiitisch anmutenden Namen „Ali“, die andere das sunnitischere „Omar“.

Tatsächlich war der irakische Ableger der Ba’ath („Renaissance“) Partei nominell säkular. Schiiten und sogar Kurden hatten hohe Posten in Saddams Militär und Regierung. 2003, im Jahr der westlichen Invasion, lebten noch über eine Million Christen im Irak. Im Zuge der folgenden Bürgerkriege, Verfolgungen und generellen Instabilität sank die Zahl auf ca. 500.000. Dass der Irak nun seit über zehn Jahren von religiös-schiitischen Parteien regiert wird, sehen viele Christen und Sunniten als Rückschritt. 

Auch viele Kinder verehren Saddam Hussein, wobei einige erst über ein Jahrzehnt nach dessen Hinrichtung 2006 geboren wurden. Der Potentat ziert Facebookposts und Profilbilder. Ein Achtklässler, den ich zu dem Thema fragte, begründete die Liebe des jordanischen Volkes zu Saddam: „Saddam Hussein und der jordanische König waren Freunde.“ Tiefer konnte ich an dieser Stelle leider nicht graben, da ein Siebtklässler ihn mit der Behauptung, der König sei ein Amerikaner, unterbrach. 

Dennoch weist die Aussage auf einen besonderen Umstand hin: Die Beziehungen zwischen dem baathistischen Irak und dem Haschemitenreich waren fast durchgehend hervorragend. Jordanien unterstützte Saddam, wie fast alle arabischen Staaten, in seinem Krieg gegen den Iran in den 80er Jahren. Als die Stimmung im Zuge des ersten Golfkriegs, und der irakischen Invasion Kuwaits, kippte, blieb Jordanien an Iraks Seite. Jordanien stimmte in der Arabischen Liga gegen eine Verurteilung der Invasion, und beteiligte sich nicht an der amerikanisch geführten Koalition, die Kuwait befreite. 

Aufgrund von wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Irak, und aufgrund der Popularität Saddams, blieben die Beziehungen stark. Auch während des Irakkrieges, der Saddam Husseins Entmachtung und Hinrichtung zur Folge haben sollte, lies Jordanien keine Angriffe auf irakisches Territorium von jordanischem Boden zu.

Einer die wichtigsten Faktoren bei der Frage nach dem Ursprung der Popularität Saddams ist, wie bei fast jedem politischen Thema in Jordanien, die Position der Palästinenser. Araber, die nach der Gründung des israelischen Staates 1948 nach Jordanien gekommen sind, und ihre Nachkommen, machen einen großen Teil der jordanischen Bevölkerung aus. Manche Schätzungen sehen sie sogar in der Mehrheit. Saddam Hussein gilt als entschiedener Verfechter der palästinensischen Sache. Die Baath-Partei verfolgte einen panarabischen Nationalismus, der Israel komplett ablehnte. Saddam selbst nannte Israel selten beim Namen, er bevorzugte den Begriff: „Die zionistische Entität“.

Als 1972 der Jom-Kippur-Krieg ausbrach, war Saddam Hussein zwar noch nicht Präsident des Irak, hielt jedoch als Vizepräsident und Vizevorsitzender des Revolutionären Kommandorats der Baath beträchtliche Macht inne. Im späten Oktober wurde der israelische Vormarsch nach Damaskus vor allem durch die überraschende Intervention irakischer Hilfstruppen abgewendet.  Während des ersten Golfkrieges ließ Hussein Israel, obwohl es nicht direkt an der internationalen Intervention beteiligt war, mit Scud-Raketen beschießen, was, direkt oder indirekt, zum Tod von dutzenden Israelis führte. Indes unterstützte die palästinensische Fatah unter Jasser Arafat die irakische Invasion Kuwaits und verurteilte arabische Staaten, die die westliche Befreiung Kuwaits unterstützten. Saddam Husseins Position bezüglich des Nahostkonfliktes ist also mit der jordanischen Mehrheitsmeinung auf einer Linie. 

Hervorzuheben ist aber, dass das jordanische Volk kein uniformer Block ist, in dem alle die gleiche Meinung haben. In meinen neun Monaten in diesem Land habe ich insgesamt mit drei Jordanierinnen geredet, die nicht gut auf Saddam zu sprechen waren. Hier variiert jedoch die Freiheit, mit der diese Meinung kundgetan werden kann. Während eine vor ihrer Familie offen sagen könne: „Er hat bekommen, was er verdiente!“ (In Anspielung auf Saddam Husseins Hinrichtung), haben andere wohl Probleme auf diesem Gebiet. Eine Jordanierin sagte, wenn auch im Scherz: „Als ich sagte: ,Saddam Hussein war ein Mörder’, wurde ich fast ermordet!“ 

Als Fazit: Dass Saddam Hussein so populär in Jordanien ist, liegt an der Verschlechterung der Situation im Irak seit der amerikanischen Invasion 2003, der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Jordanien und dem Irak, dem jordanischen Antizionismus, und der demographischen Zusammensetzung Jordaniens, beziehungsweise der Abwesenheit eben jener ethnischen und religiösen Minderheiten, die unter Saddam besonders litten, und die in anderen arabischen Staaten viel präsenter sind. 

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Dieser Autofahrer scheint zwischen der britischen Flagge und dem Antlitz Saddam Husseins keinen Konflikt zu sehen (Foto: EMS/Schnaittacher)
Dieser Autofahrer scheint zwischen der britischen Flagge und dem Antlitz Saddam Husseins keinen Konflikt zu sehen (Foto: EMS/Schnaittacher)
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"Sie bleiben in unseren Herzen" -Die Heckscheibe eines jordanischen Verkehrsteilnehmers (Foto: EMS/Schnaittacher)
"Sie bleiben in unseren Herzen" -Die Heckscheibe eines jordanischen Verkehrsteilnehmers (Foto: EMS/Schnaittacher)