Weltweit erlebt
ÖFP

Weltweit erlebt

10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

info_outline
Reisfelder um Rantepao (Foto: EMS/Thiel)
Reisfelder um Rantepao (Foto: EMS/Thiel)
29. Oktober 2018

Meine Gefühle und Erlebnisse der ersten Wochen

Merle

Merle

Indonesien
unterstützt eine Einrichtung für Kinder mit Behinderung
zur Übersichtsseite

Liebe Leser/innen!

Ich habe lange überlegt welchem Thema ich meinem ersten Blogeintrag widme, denn es gibt so vieles was mich seit ich hier bin beschäftigt und fast täglich kommen neue Eindrücke hinzu.

Letztendlich habe mich dafür entschieden meine verschiedenen Gefühle und Erlebnisse der ersten Wochen mit euch zu teilen. Es fällt mir wirklich schwer alles erlebte in Worte zu fassen, also falls ihr Fragen oder tieferes Interesse haben solltet, lasst es mich gerne wissen.

Meine ersten Wochen hier waren begleitet von ganz vielen unterschiedlichen Gefühlen doch gerade in meiner Zeit auf Bali hatte ich wirklich großes Heimweh. Den Abschied von Familie und Freunden habe ich lange vor mir hergeschoben und erst auf Bali realisierte ich dann wirklich, dass ich nun erstmal für längere Zeit weg bin.
Kurz vor meiner Weiterreise nach Sulawesi kam auch Angst hinzu und es schwirrten tausend Fragen, auf die ich keine Antwort finden konnte in meinem Kopf umher: Wird mein Heimweh in Rantepao noch schlimmer? Was mache ich, wenn ich mich dort nicht wohl fühle?

Lange Telefonate mit Familie und Skypegespräche mit Freunden, die auch gerade im Ausland sind oder ermutigende Nachrichten von meinen Vorfreiwilligen Pina und Berit, bauten mich wirklich auf und ich bin so froh die ersten, schwierigen Tage durchgehalten zu haben, denn Angst und Heimweh wurden schon kurz nach meiner Ankunft in Rantepao, von Freude, positiver Aufregung und Glückseligkeit abgelöst.

Dass ich mich hier so wohl fühle hat verschiedene Gründe und das "Panti Asuhan Kristen Tagari-Tagmentoe" ist einer davon. In dem Waisenhaus lebe ich zusammen mit 33 Kindern und Ibu Elis, Ibu Bertha und Pak Nofri, die sich um die Kinder kümmern. Fast alle Kinder kommen aus Dörfern rund um Rantepao und haben meist ein Elternteil verloren, wodurch die Kinder zu Hause, vor allem finanziell, nicht mehr ausreichend unterstützt werden können. Ich schlafe im Haus der Mädchen, wodurch ich von Anfang an die Möglichkeit hatte, am Leben teilzuhaben, was manchmal aber auch mit lauter indonesischer Popmusik um 5.00 Uhr morgens verbunden ist. ;)

Gerade das Zusammenleben mit den Kindern macht mir unglaublich viel Spaß, denn auch wenn sie einen streng getakteten Tagesablauf haben, der wenig Raum für eigene Interessen und Bedürfnisse lässt, versuchen wir die freie Zeit für umso schönere Dinge zu nutzen. Am liebsten wird dann Ukulele gespielt, gesungen, Uno gespielt, erzählt oder einfach über das Gelände getobt.
Die Samstagnachmittage und Sonntage haben eine besondere Bedeutung hier, denn dann steht Freizeit auf dem Programm und es werden Fußball und Badminton gespielt, zu lauter Musik in der Aula getanzt oder gemeinsam gekocht, oder eher gesagt frittiert, denn Frittiertes in allen Formen mögen die Kinder besonders gerne.

Im Panti lebe ich aber eigentlich nur, denn meine eigentliche Einsatzstelle ist das RBM, welches sich aus einer Schule für Kinder und Jugendliche mit geistigen und körperlichen Behinderungen und einem Besuchsdienst, bei welchem wir Kinder mit körperlichen Behinderungen (größtenteils Spastiken) in abgelegeneren Gegenden besuchen, zusammensetzt. Gerade die Besuche bei den Kindern zu Hause liegen mir sehr am Herzen, auch wenn mich die Schicksale der Kinder sehr bewegen und oft nachdenklich stimmen, denn viele Kinder sind in gesundheitlich schlechten Zuständen und die medizinische Versorgung ist oftmals nicht ausreichend.

Dass bis Januar ein Physiotherapeut aus den Niederlanden im RBM arbeitet, hilft mir sehr, denn wir besuchen die Kinder meist zusammen und so kann Lucas mir nicht nur viel zu medizinischen Sachverhalten erklären, sondern wir können auch über Gesehenes reden, was an manchen Tagen wirklich gut tut. Ich würde gerne zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich noch mehr Erfahrungen auf Arbeit gemacht habe, einen ausführlicheren Blogpost dazu schreiben und dann auch auf die Schule eingehen.

Auch abseits meines Lebens im Panti und meiner Arbeit im RBM habe ich schon einiges erlebt, vor allem seitdem ich meinen eigenen Roller habe. Auch wenn die morgendlichen Autofahrten zur Schule des RBM, die gerade wenn der 7-Sitzer mit 20 Lehrerinnen und Schülern vollgepackt wurde, mit Spaß aber auch Hitze verbunden waren, freute ich mich sehr auf meinen eigenen Roller. Als mein Mentor Pak Tandu mich dann Anfang Oktober mit einem neuen Roller im RBM überraschte, war ich froh, dass mein Onkel mir in Deutschland auf einem Acker das Wichtigste gezeigt hatte, denn der Druck einen neuen Roller und wenig Fahrkenntnis zu besitzen war recht groß, doch irgendwie meisterte ich den Weg vom RBM zum Panti durch halb Rantepao, wenn auch schweißgebadet. Mittlerweile habe ich meinen Fahrstil so weit optimiert, dass sich auch immer öfter Kolleginnen trauen mit mir mit zu fahren. ;)

Am liebsten erkunde ich mit dem Roller die Umgebung Rantepaos und dabei stoße ich immer wieder auf total schöne Orte mit tollen Aussichten und beeindruckender Natur.
Vor 2 Wochen wurden meine Fahrkenntnisse dann auf die Probe gestellt, als ich zusammen mit Lucas, seiner Mutter Maggie, die für 3 Wochen zu Besuch in Toraja war, Ibu Bertha und 2 ihrer Studenten zum Mount Lolai fuhr. Als ich auf der Arbeit und im Panti von unserem Vorhaben erzählte, guckten mich alle ein bisschen entsetzt an und meinten, dass es sehr steil sei und fragten, ob ich mir sicher wäre. Als wir dann freitagabends im strömenden Regen losfuhren, konnte ich erahnen, was sie mit steil meinten. Die Dunkelheit, gepaart mit starkem Regen und Schlamm der die Bergwege runterfloss, machte die Fahrt wirklich abenteuerlich und ich kam nicht selten in wadentiefen Pfützen zum Halten. Umso größer war die Freude, als wir dann bei der Familie der Studenten ankamen und endlich trockene Kleidung anziehen konnten. Bei Kerzenschein aßen wir dann gemeinsam Abendbrot, erzählten und lauschten dem Unwetter, bevor wir dann dick eingepackt, denn es war wirklich kühl, einschliefen. Den Sonnenaufgang am nächsten Morgen verschliefen wir, aber um ehrlich zu sein störte mich das nicht weiter, denn so konnten wir das letzte Stück wenigstens im Hellen fahren.
Nach einer kurzen Wanderung kamen wir dann ganz oben an und ich verstand, warum Mount Lolai auch "land above the clouds" genannt wird, denn der Blick über die Wolken im Tal war total beeindruckend, aber Bilder sagen hier mehr als Worte.

Neben der unglaublichen vielen schönen Natur hier in Toraja, erlebte ich aber auch die furchteinflößende und unkontrollierbare Gewalt der Natur, als am 28. September ein Erdbeben der Stärke 7,5 Teile Sulawesis erschütterte. Ich saß gerade draußen vor meinem Raum im Panti und konnte die wackelnden Wände erst nicht einordnen, bis die Kinder rausliefen und ich verstand, dass das gerade ein Erdbeben war. Welche Folgen das Erdbeben und der dadurch ausgelöste Tsunami in der Küstenregion um Palu haben würde, war zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen. Erst als mich die nächsten Tage zahlreiche besorgte Nachrichten erreichten, ich die Medien verfolgte und die ersten Bilder im indonesischen Fernsehen sah, konnte ich erahnen, was in diesen Regionen passiert war, realisieren aber nicht.

In den nächsten Wochen war ein großer Zusammenhalt in Rantepao zu spüren. Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit sah ich wie unglaublich viele junge Menschen an den Straßen Geld für die betroffenen Regionen sammelten und auf dem Hauptgelände der zentralen Kirche wurden Berge von Lebensmitteln und Kleidung in Kisten verpackt, die dann weiter in die betroffenen Regionen gebracht wurden. Die Kirche organisierte letzte Woche einen Abend, der Überlebenden aus Palu die Möglichkeit gab, von ihren Erlebnissen zu berichteten und Kontakt zu anderen Betroffenen aufzubauen. Ein Familienvater berichtete davon, wie er seinem Sohn erlaubte in einen Einkaufsladen zugehen und alles Essbare was er finden kann zu stehlen, denn die Familie hungerte. Eine andere Frau erzählte, wie sie eine Nacht im Dunkeln, halbnackt auf der Straße verbrachte, weil der Tsunami ihr alles genommen hatte. Die Menschen zu sehen, wie sie unter Tränen über ihre Schicksale und Verluste reden, hat mich sehr bewegt, aber auch nachdenklich gemacht und es fiel mir schwer, das alles für mich zu verarbeiten. Doch dass die Menschen danach zusammen tanzten, lachten und aßen, machte mir auch etwas Hoffnung.

Meine ersten sechs Wochen hier in Rantepao waren wirklich facettenreich und sind viel zu schnell vergangen. Umso gespannter bin ich auf die nächste Zeit und freue mich meine weiteren Eindrücke mit euch zu teilen.

Bis bald!
Merle

info_outline
"land above the clouds" (Foto: EMS/Thiel)
"land above the clouds" (Foto: EMS/Thiel)
info_outline
Hauptstraße in Rantepao (Foto: EMS/Thiel)
Hauptstraße in Rantepao (Foto: EMS/Thiel)