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10 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Unser Zelt auf dem Platz hinter der großen Aula (Foto: EMS/Dunker)
Unser Zelt auf dem Platz hinter der großen Aula (Foto: EMS/Dunker)
09. Dezember 2018

Wie die Erdbeben unseren Alltag verändert haben

Marie

Marie

Indonesien
arbeitet in der Kinder- und Jugendarbeit mit
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"Und die Jünger traten hinzu, weckten ihn auf und sprachen: Herr, rette uns, wir kommen um! Und er spricht zu ihnen: Was seid ihr furchtsam, Kleingläubige? Dann stand er auf und bedrohte die Winde und den See; und es ward eine große Stille." - Matthäus 8:25-26

Eigentlich wollte ich endlich mal einen Blogpost über meinen Alltag hier verfassen, aber irgendwie kommt doch immer etwas dazwischen. In diesem Fall jetzt ist es ein Erdbebenschwarm, der mit schon über 800 Erdbeben seit Anfang November Mamasa und Umgebung in Bewegung hält.

Weil wir schon, als das große Erdbeben in Palu passiert ist, hier etwas davon mitbekommen haben, hatte ich schon einmal gespürt, wie sich so ein Erdbeben anfühlt, und konnte die Situation daher direkt deuten als ich am 05.11. nachts aus dem Schlaf gerüttelt wurde. Direkt kam Meri ins Zimmer: „Marie, Erdbeben“ - weil ich aber nicht den Eindruck hatte, es wäre irgendwas kaputt gegangen gähnte ich nur „Jaa... doll, oder?“ und wollte schon wieder weiterschlafen, bis sie dann nochmal reinkam und meinte wir sollten doch vielleicht besser nach unten gehen, und ich solle meine wichtigsten Sachen zusammenpacken. 

Ich hab mir also meinen Rucksack geschnappt und ohne groß nachzudenken mein Handy, Festplatte, Bibel, Tagebuch, Flugticket, Pass & Portemonnaie und den Pulli von meinem Freund eingepackt, und bin mit nach unten gekommen, wo wir uns als Familie versammelt und zusammen gebetet haben. Als dann nochmal ein Beben kam, sind wir sofort nach draußen und haben uns mit ein paar Nachbarn zusammen auf deren Hof hingesetzt, und die restliche Nacht lang abgewartet.

Den nächsten Tag sind wir dann, wie viele andere auch, in große Zelte auf einem Feld umgezogen,  und haben dort einige Nächte übernachtet, was mir gezeigt hat, dass ich keine Probleme habe, ohne Dusche, Kleiderwechsel, mit Pappe als Schlafunterlage und Instantnudeln als Lebensmittel auszukommen. Vielleicht bereitet mich das ja aufs Studium vor, haha. 

Mamasa war erstmal gefühlt menschenleer, über 8000 Leute sind „geflohen“ und auch der Großteil meiner Familie ist zu Verwandten nach Makassar gefahren, weil Meris Papa es gesundheitlich hier nicht gut aushalten würde. Ich wurde auch gefragt, ob ich nicht mitkommen wollen würde, und auch die EMS war sofort informiert und hätte eine Alternative gefunden, aber es war mir irgendwie lieber, hier mit Meri und ihrer Schwester zu bleiben, was sich letztendlich auch als die richtige Entscheidung herausgestellt hat. 

Wir sind dann (nur noch zu dritt) noch einmal „umgezogen“, weil es im Haus nicht sicher genug gewesen wäre, da in der Nahe des Hauses ein Fluss ist und auch Gefahr besteht, dass Strommasten umfallen, und konnten großzügigerweise wie einige andere auch im Kantor BPS, dem Kirchenbüro, übernachten (zu dem Zeitpunkt sind wir übrigens schonmal zurück ins Haus um Wechselkleidung zu holen und alle Sachen sicher zu verstauen). Das Kantor BPS ist nämlich aus Holz gebaut und daher sicherer als die Steinhäuser.

Die nächsten 2 Wochen haben wir dann im Kantor kochen können, ich habe im Büro den Platz von Pak Wempi einnehmen können, der nach Makassar gefahren war, und konnte so Leute bedienen, die sich „rekomendasi“ abholen mussten. 

Wir sind auch mit dem Team „Peduli Kasih“ in umliegende Dörfer gefahren und haben dort in den Zelten zusammen mit den Leuten gebetet, haben Wasser & Instantnudeln verteilt. Daraus hat sich dann unser „Trauma Healing Team“ entwickelt, mit dem wir jetzt für Kinder im Umkreis ein Programm abhalten, in dem wir zusammen singen, tanzen, Ursachen der Erdbeben erklären und vermitteln, dass wir keine Angst haben brauchen, weil Gott immer bei uns ist. 

Das mag sich jetzt alles vielleicht anhören, als wäre es super schlimm, aber so heftig ist es wirklich nicht. Mittlerweile haben wir uns alle schon an die Erdbeben gewöhnt, jeden Tag kommen immer wieder welche auf, ich vergleiche das gerne mit einem Dino, der auf der Straße entlangspaziert. Alles wird einmal kurz erschüttert, dann ist es vorbei.

Bisher waren auch ein paar Erdbeben mit Magnitude >5 auf der Richterskala, und die sind tatsächlich länger und doller von der Stärke her, sodass zum Beispiel Rahel, Meris Schwester beim 5.5 Beben aus dem Bett gefallen ist, Möbel merklich wackeln und man das Grummeln auch laut hören kann. 

Wirklich kaputt gegangen ist bisher nicht viel, wir können uns noch wirklich glücklich schätzen, wenn man sich die Geschehnisse in Palu/Donggala anschaut, wo vor allem noch ein Tsunami dazukam und das Erdbeben viel viel stärker war.

Viele Häuser und Straßen haben Risse, in den Bergen sind Felsen abgebrochen, Teller die unsicher standen sind zu Bruch gegangen, und in einer Grundschule ist die Decke eines Klassenzimmers eingestürzt. Deshalb schlafen auch bis jetzt noch die meisten vor ihren Häusern in Zelten. 

Ich werde oft gefragt „Hast du nicht Angst? Fühlst du dich nicht unsicher? An deiner Stelle wäre ich schon längst wieder in Deutschland.“ - aber nein, habe ich nicht. Ich fühle mich hier wirklich sicher, wir haben übrigens die Hälfte unseres Hauses, die aus Stein gebaut ist, geräumt und schlafen alle zusammen in dem Teil, der aus Holz gebaut ist. Man merkt schon, dass das Thema „Erdbeben“ nach wie vor sehr präsent ist, fast jede Unterhaltung die ich mitbekomme dreht sich darum, und die Kindergartenkinder haben jetzt schon frei, weil viele der Eltern lieber erstmal bei ihren Kindern sind. 

Ich denke aber es ist mein Gottvertrauen, was mich schon die ganze Zeit so ruhig hält, ich sehe einfach keinen Grund, mich verrückt zu machen wenn ich an der Situation sowieso nichts ändern kann und Gott sicherlich etwas dabei beabsichtigt, uns zu sich ruft und erinnert, dass Er derjenige ist, der Macht über alles hat. 

Langsam kommen die meisten, so habe ich den Eindruck, zum gewohnten Alltag zurück. Ana und Toen, die erst auch in Makassar waren, sind auch schon wieder zurückgekommen, was das Haus ein ganzes Stück belebter stimmt.

Ich freue mich schon sehr auf Weihnachten, wo wir uns langsam drauf einstimmen, und was wir in Makassar gemeinsam mit der Familie verbringen werden, die ich schon schrecklich vermisse. 

Ich wünsche eine wunderbare Adventszeit!

LG, Marie

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Ibu Mini beim Trauma Healing (Foto: EMS/Dunker)
Ibu Mini beim Trauma Healing (Foto: EMS/Dunker)
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Wir am "Ubi" (Maniok) hacken um daraus Pommes zu machen (Foto: EMS/Mama Tius)
Wir am "Ubi" (Maniok) hacken um daraus Pommes zu machen (Foto: EMS/Mama Tius)