info_outline
Blick auf die kleine Bergstadt Mamasa Kota (Foto: EMS/Isterheld)
Blick auf die kleine Bergstadt Mamasa Kota (Foto: EMS/Isterheld)
04. November 2024

Ankommen, Kulturschocks überleben & wohlfühlen

Hanna

Hanna

Indonesien
Kindergarten
zur Übersichtsseite
 

Meine ersten zwei Monate in Kurzfassung

Es ist Wochenende, ich habe eine lange Nacht mit meinen neuen Freunden hinter mir und nun sitze ich vor meinem Laptop und starre auf ein leeres Worddokument. Während der Regen laut auf die Wellblechdächer meines neuen Zuhauses prasselt, sodass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht, die Hunde laut bellen, der Hahn ununterbrochen kräht und nur der Muezzin mit seinem Gebetsruf diese Geräuschkulisse durchbricht, versuche ich die letzten zwei Monate in Worte zu verfassen.
Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht. Vorher dachte ich, das sei nur Gerede der Leute, aber es ist tatsächlich so. Immerhin sind jetzt schon zwei Monate, also ein Fünftel meines Freiwilligendienstes hier vorüber und ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, weil ich schon so viel erlebt habe.
Doch am Besten beginne ich einfach mit dem Anfang :)

Am 8. September ging es los. Gemeinsam mit Emil und Micha machten wir auf der Reise nach Indonesien diverse Flughäfen der Welt unsicher (ja okay, eigentlich nur den in Frankfurt, Abu Dhabi und Bali). Nach 15 Stunden Flug kamen wir mittags in Denpasar, Bali an. Hier drängelten wir uns durch laut rufende Menschenmassen, die uns „preiswerte“ Angebote machen wollten für Taxifahrten, Handyverträge, Hotelübernachtungen und und und. Dabei versuchten wir die richtigen Leute zu finden, die uns abholen würden. Es hat eine Weile gedauert, aber am Ende waren wir erfolgreich und wurden von Pak Yudi herzlich willkommen geheißen.
Nachdem die SIM Karte gekauft war und wir das erste Mal Indonesisch gegessen hatten, fuhren wir zum Kinderheim „LKSA Widhya Asih“ in Badung, wo wir für eine knappe Woche für das Orientierungsseminar bleiben würden. Eigentlich ist das nicht so weit vom Flughafen entfernt, aber der Verkehr ließ uns zwei Stunden länger auf den Straßen Denpasar´s verweilen.
Der Verkehr wirkte auf mich wie das reinste Chaos. Es scheint keine Regeln zu geben, Straßenbemalungen und Blinker werden gekonnt ignoriert. Verkehrsschilder gibt es schon gar nicht mehr, während Motorroller jede kleinste Lücke als Gelegenheit nutzen, um sich durchzudrängeln oder hinter einem Krankenwagen hinterher zu fahren. Für Autos gibt es dann erstmal kein Weiterkommen mehr. Wie wir es am Ende tatsächlich bis zum Ziel geschafft haben, weiß ich auch nicht mehr.

Das Orientierungsseminar war (wider gegen die eigentliche indonesische Spontanität) voll durchgeplant mit Sprachkurs und kleinen Einführungen in das Leben und die Kultur, Kochen, Motorroller-Fahrstunden, Gartenarbeit und Markteinkauf. Nebenbei durften wir den Alltag der Kinder hier erleben, mitgestalten und dabei unsere ersten Indonesisch-Skills trainieren. Wir hatten sehr gastfreundliche und hilfsbereite Menschen um uns herum, die uns den Einstieg so leicht wie möglich gestalteten. Und Schwupps, war die Woche auch schon vorbei. Ich hatte schon so viele Eindrücke gesammelt, dass es sich tatsächlich länger angefühlt hat.

Und jetzt ging jeder seiner eigenen Wege, was sich am Anfang echt seltsam angefühlt hat. Während sich Micha zu seiner Einsatzstelle in Bali aufmachte, hatten Emil und ich nochmal einen zweistündigen Flug nach Makassar, der Hauptstadt Sulawesis vor uns. Am Flughafen wurden wir von Leuten unserer jeweiligen Einsatzstellen abgeholt. Nachdem ich auf der Fahrt zum Hotel als erstes nach meiner Religion gefragt wurde, herrschte mehr oder weniger Stille, was mir in diesem Moment auch ganz recht war, um selbst erstmal anzukommen. Im Hotel wurde ein Zimmer für mich gebucht. Dabei hatte ich das Gefühl wie ein rohes Ei behandelt zu werden, dass seine Koffer nicht tragen durfte, Essen geliefert, den Fernseher erklärt bekam und sich dann einfach nur für den Rest des Tages ausruhen sollte. Hier spürte ich das erste Mal diesen gewissen Status, den ich hier als Europäerin hatte, was nicht gerade angenehm war.
Am nächsten Tag besuchte ich das erste Mal einen Gottesdienst und war überrascht, wie viele Melodien mir doch von den deutschen Gemeindeliedern bekannt vorkamen. So hörte ich was Vertrautes und fühlte mich gleich wohler.

Den Tag darauf ging es endlich los Richtung Norden in die Berge nach Mamasa mit dem Auto, was überfüllt war mit einer mir völlig fremden, fröhlich drauflos plappernden Gesellschaft und haufenweise Essen. Die Fahrt war also keineswegs langweilig ;) Nach ca. 10 h Fahrt kam ich um Mitternacht an.

Jetzt startete mein Leben hier in Mamasa, einer kleinen Stadt, umgeben von dichtbewaldeten hohen Bergen und versteckten Erlebnissen, die noch auf mich warteten.

Da meine Vorfreiwillige Anni zufälligerweise gerade noch zu Besuch bei unserer Gastfamilie war, zeigte sie mir in der ersten Woche alles , z.B. wie ich mich bloß mit einem Eimer Wasser und einer Schöpfkelle dusche oder wie man die Wäsche hier von Hand wäscht. Außerdem empfahl sie mir gute Warungs ( = kleine schlichte Restaurants), wo man z.B. das beste „nasi goreng“ (=gebratener Reis) bekommt und vermittelte mir die ersten Kontakte zu Freunden. Sie bereicherte mich durch ihre Erfahrungen und ich bin ihr so dankbar für ihre Unterstützung in meiner ersten Woche.

Nachdem sie dann wieder nach Deutschland zurückkehrte, dachte ich zunächst, dass ich jetzt ganz auf mich allein gestellt bin. Doch da hatte ich nicht mit meiner Gastfamilie gerechnet. Sie nahmen mich so herzlich auf, dass ich mich sofort als Familienmitglied fühlte anstatt als Gast. So verbringe ich die meiste Zeit nicht unbedingt in meinem Zimmer, sondern eigentlich mit meiner neuen Familie. Wir haben sehr viel Spaß und ich lerne so die Sprache schneller. Besonders mit meiner Gastmutter (bzw. Schwester) Meri reden wir lange über Gott und die Welt. Sie achtet immer darauf, dass es mir gut geht, lässt mich allein, wenn ich mal meine Ruhe brauche, aber ist auch immer da, wenn ich was loswerden möchte. Auch jetzt gerade klopft sie mir motivierend auf die Schulter und ruft: „Semangat!“, was so viel heißt wie „Halt durch“ oder „Du schaffst das!“.

Ob die ersten Wochen hart waren? Und ob! Viele Dinge sind anders, ich musste mich an so Vieles neu gewöhnen, was mich nicht nur mental sondern auch körperlich angestrengt hat. 10 Monate erschienen mir da ewig lang und keineswegs machbar. Meri riet mir, alle Kulturschocks aufzuschreiben und mit ihr darüber zu sprechen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie lang die Liste geworden ist. Hier ein ganz kleiner Einblick, was mir besonders aufgefallen ist und beschäftigt hat:

Als erstes war es ungewohnt, so viel Müll überall auf den Straßen, in der Natur, am Strand und auch in den Häusern zu sehen. Da es keine oder nur vereinzelte Müllabfuhren gibt, die auch nicht unbedingt regelmäßig kommen, verbrennen die meisten Haushalte am Ende des Tages ihren Abfall vor dem Haus. Der Geruch ist dementsprechend nicht sehr angenehm. Auch wenn man in seinem Haushalt den Müll trennt, bringt es nicht viel, da es am Ende sowieso von der Müllabfuhr alles zusammengeschüttet wird. Eine Sackgasse also.

Eine andere Sache, ist mein Promidasein als „Bule“ (= Weiße). Da nach Mamasa eigentlich nie Touristen und damit potenzielle Weiße kommen, bin ich hier inzwischen eine kleine Attraktion geworden. Ausrufe wie von „Good morning, Mister!“ (egal welche Tageszeit gerade ist) bis „I love you, will you marry me?“ ist alles dabei. Anfangs war es bisschen verstörend, aber mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt. Die Leute sind alle freundlich, also nehme ich es auch mit Humor. Außerdem hört man nicht alle Tage, dass man „cantik sekali“ (= sehr schön) ist, auch wenn ich weiß, dass das mit dem hier vorherrschenden Schönheitsideal einer weißen Haut, hellen Haaren und einer großen Nase begründet ist.
Unangenehmer finde ich tatsächlich das ständige Foto- und Videomachen. Wenn die Leute mich danach fragen, dann habe ich es ja noch selbst in der Hand. Aber wenn versucht wird, bspw. beim Selfie den „Bule“ möglichst unauffällig mit drauf zu bekommen und das auch noch auf alle möglichen Social Media Plattformen gepostet wird, wird es kritisch. Anfangs habe ich noch kläglich versucht, mich zu verstecken. Mittlerweile grinse ich unerwartet in die Kamera und ernte verlegenes Kichern. Da habe ich wenigstens auch meinen Spaß dran ;)
Einmal wurden dann aber doch meine Grenzen überschritten, als ich bei einer Geburtstagsfeier eingeladen war. Zwar wurde hier ein Kind erst unfassbare zwei Jahre alt, was aber nicht bedeutete, dass nur im Familienkreis gefeiert wurde. Ganz im Gegenteil. Um zu meinem Platz im Festzelt zu gelangen, musste ich mich durch eine dichte Menschenmenge schlängeln. Dabei ging ein Raunen durch die Masse, als sie mich erblickten. Sofort wurde das Gedrängel noch dichter und Leute begannen, meine Haut anzufassen und an meinen Haaren zu ziehen. Ich fühlte mich immer mehr wie ein Objekt als ein Lebewesen und war zum ersten Mal dankbar, meinen separaten Sitzbereich für den „Bule“ zu haben.

Generell sind die meisten Leute hier aber sehr liebenswert. Wenn man mit einem Lächeln im Gesicht aus dem Haus geht und immer schön freundlich grüßt, hat man schon mal alles richtig gemacht. Was Weihnachten angeht, weiß ich noch nicht, in welcher Familie ich am Ende landen werde, da ich schon unzählige Einladungen bekommen habe. Ich lass mich einfach überraschen, so wie ich es eigentlich zurzeit mit jedem neuen Tag hier angehe. Denn wenn ich morgens aufwache, kann ich nicht genau sagen, was heute passieren wird. Manchmal erfahre ich erst kurz vorher, dass ich z.B. zu einer Hochzeit eingeladen bin oder ich entscheide selbst spontan, was ich aus dem Tag machen möchte. Die Art und Weise das Leben mit Spontanität und Lässigkeit anzugehen wie es so manche hier in Indonesien tun, gefällt mir gerade sehr gut und hat mir schon viele unerwartete, aber schöne und unvergessliche Momente beschert. Aber dazu später mehr…

Inzwischen ist es bereits dunkel geworden, der Muezzin hat schon längst den letzten Gebetsruf des Tages hinter sich und es ist zum ersten Mal für heute ganz still. Mit dieser angenehmen Ruhe klappe ich jetzt den Laptop zu und verabschiede ich mich fürs erste.

Im nächsten Blog wird es dann um meine Arbeit und Aufgaben im Kindergarten gehen und was ich noch alles in meiner Freizeit veranstalte…
Also bleibt dran, ich verspreche auch, dass der nächste Eintrag schneller kommen wird ;)

info_outline
Mit den Kindern und Mitarbeitern des "LKSA Widhya Asih" in Bali junge Auberginensprösslinge einpflanzen (Foto: EMS/Isterheld)
Mit den Kindern und Mitarbeitern des "LKSA Widhya Asih" in Bali junge Auberginensprösslinge einpflanzen (Foto: EMS/Isterheld)
info_outline
Mit meinen Gastgeschwistern "kasafa" (=Rüben) schneiden (Foto: EMS/Isterheld)
Mit meinen Gastgeschwistern "kasafa" (=Rüben) schneiden (Foto: EMS/Isterheld)

Kommentare

Kommentar schreiben

Hanna 05. November 2024 Indonesien
Super Schreibstil für diesen Blog - danke für's Teilhaben,
die Sissi
Lara 05. November 2024 Deutschland
Ich freue mich riesig, über deine Schreibkunst. Der Blog ist sehr detailliert, aber auch humorvoll geschrieben.
Ich freue mich, hoffentlich alsbald wieder von dir zu lesen.

LG, Lara (Uni)