Weltweit erlebt
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14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

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Im Februar waren meine Eltern zu besuch. Meine Mama und Ich tragen einen Sari, die Mädels eine Kurta. Der Schal ist meist fatblich passend zur Hose. (Foto: EMS/Schmid)
17. April 2019

Als Frau in Indien

Nathalie

Nathalie

Indien
unterstützt ein Mädchenheim
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„Was willst du denn in Indien?!“

„Ist das als Frau nicht zu gefährlich?“

 „Hast du dir das auch gut überlegt?“

„Fühlst du dich sicher?“

„Alleine über Nacht mit dem Zug? – ist doch viel zu gefährlich!“

„Wie kannst du nur in so ein Land gehen?“

„Die Frauen werden unterdrückt und schlecht behandelt!“

 

 

...Vorurteile über Vorurteile und wie ich mich als Frau in Indien fühle...

Als ich meiner Familie, Freunden und Bekannten gesagt habe, dass ich für ein Jahr nach Indien gehen werde, wurde ich oftmals mit diesen Kommentaren konfrontiert. Hier in Indien, werde ich regelmäßig danach gefragt, ob ich mich denn sicher fühle. Da ich dieses Thema sehr wichtig finde und meiner Meinung nach, mit vielen Vorurteilen belagert ist, möchte ich in diesem Blogeintrag mal näher darauf eingehen.  Das Thema ist unendlich groß und ich hoffe ich kann euch einen kleinen Einblick geben, wie ich dazu stehe. Hierbei handelt es sich aber nur um meine persönlichen Einblicke und Erfahrungen und wie ich die Rolle der Frau wahrnehme.

Diese  Frage kommt oft, ob ich mich denn sicher fühle? Ja, ich fühle mich sicher! In den letzten sieben Monaten (Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht!) gab es bisher nur eine Situation, in der ich mich unwohl gefühlt habe. Dazu aber später mehr. Wenn ich in Nandyal unterwegs bin, fühle ich mich immer sicher und hatte noch nie eine Situation in der ich mich nicht wohlfühlte.

Hier in Nandyal oder auch allgemein in Indien, gelten für mich bestimmte Regeln. Auch wenn die Temperaturen mittlerweile bis auf 43° steigen, laufe ich nicht mit einer kurzen Hose oder einem Kleid rum. Mittlerweile trage ich nur noch „indische“ Kleidung. Leggings mit einem langen Oberteil, dass links und rechts ein langen Schlitz hat. Oftmals hat es auch längere Ärmel. Ich trage also immer lange Kleidung. Das verdecken der Schultern und der Beine der Frauen ist sehr wichtig. Wenn ich das Hostel verlasse, habe ich einen Schal um. Sollte ich den mal vergessen haben,  rufen die Mädels mich schnell zurück oder geben mir ihren Schal. Er wird genutzt um seinen Ausschnitt zu verdecken. Ich bin damals ziemlich schnell auf „indische“ Kleidung umgestiegen, da ich mich darin einfach wohler fühle.  Und Leggings sind auch viel bequemer als Jeanshosen. ;)

Wenn ich unterwegs bin, muss ich vorher immer Bescheid geben wohin ich gehe. Auch auf Reisen, melde ich mich bei meinen Ansprechpartnern, sobald ich im Bus oder Zug sitze, den Zug wechsle oder angekommen bin. Zu mir wurde auch gesagt, ich solle keine Selfies mit fremden Leuten, speziell  mit Männern, machen.

In der Ferienzeit, ist mein Hostel geschlossen und ich nutze die Zeit, um z.B. meine Mitfreiwilligen zu besuchen. Bei meiner ersten Nachtfahrt (mit dem Bus) zu Solveig nach Secunderabad im Oktober, war mir ein bisschen unwohl, denn er war meine erste Fahrt alleine über Nacht. Meine Zweifel waren aber völlig unbegründet. Mittlerweile reise ich gerne über Nacht, da man so einfach Zeit sparen kann. Bei langen Zugfahrten, nachts oder tagsüber, ist mir noch nie etwas passiert oder war mir unangenehm zumute. Im Zug hatte ich bis jetzt immer das Glück, bei einer Familie oder bei anderen Frauen zu sitzen. Oftmals ergaben sich dabei angenehme, lange Gespräche. Es gibt auch extra Frauenabteile, diese sind aber relativ schnell ausgebucht. Einmal, bei einer längeren Busfahrt, setzte sich ein Mann neben mich. Er wurde aber relativ schnell von einem anderen Mann darauf hingewiesen, sich umzusetzen. Frauen sitzen in der Regel in Bussen immer vorne und die Männer, hinten.

Die einzige Situation, in der ich mich bisher unwohl fühlte, war im Herbst in Mysore. Wir warteten circa vier Stunden auf die Parade mit den Elefanten (mehr dazu in meinem 2. Blogeintrag). Wir saßen auf einer Mauer und hinter uns versammelten sich immer, mehr und mehr Menschen (hauptsächlich Männer). Sie wollten natürlich auch die Parade sehen, dadurch dass wir auf der Mauer saßen, wurde ihnen die Sicht, versperrt. Irgendwann fingen sie dann an, uns anzufassen. Die Männer wollten uns ´zur Seite schieben´, immer wieder, um mehr zu sehen. Die Berührungen waren sehr unangenehm. Wir haben  versucht, mit den Männern zu reden, was aber nicht ankam und sich als aussichtslos heraus stellte.

Meiner Meinung nach, kann so eine Situation in jedem Land passieren. Wir waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, aber das kann überall vorkommen. 

Des Öfteren sind „Horror-Geschichten“ über vergewaltigte Frauen oder Unterdrückung in den Familien, zu hören.  Als ich  meiner Familie und Bekannten erzählt habe, dass ich nach Indien gehen werde, war vermutlich (der Reaktion nach), die grausame Gruppenvergewaltigung von 2012 in Delhi in den Köpfen. Vergewaltigungen gibt es auch in Deutschland, beziehungsweise in allen anderen Ländern der Welt. Wäre Indien ein so gefährliches Land, würde die EMS bestimmt nicht jedes Jahr die meisten (vor allem weibliche!) Freiwillige nach Indien schicken.

Ich bin der Meinung, dass viele Menschen Vorurteile gegen das Land Indien und Inder und Inderinnen haben, da sie meistens nur das Negative über das Land und die Leute hören. Auch finde ich es schade, dass so viele Leute sich auf die Vorurteile stürzen und somit keinen Platz mehr für das Positive haben. Indien ist so ein facettenreiches Land, indem die Gegensätze nicht größer sein könnten. Dadurch, dass ich mich hier sehr sicher und wohl fühle, hoffe ich die Vorurteile der Menschen etwas eindämmen zu können. Natürlich können Vorurteile auch ihre Vorteile haben, denn durch diese, können wir fremde Situationen schnell einstufen.

Allgemeines über die Frauenrolle in Indien

Durch einige Gespräche mit Bhagya erfuhr ich, dass 70-80% der Ehen (in Andhra Pradesh /Bundesstaat) arrangiert sind. Das bedeutet, die Eltern suchen den Ehepartner für ihre Kinder aus.  Wenn Eltern ihre Tochter verheiraten möchten, müssen sie oftmals eine hohe Mitgift zahlen. Seit 1961 ist die Mitgift, laut Gesetzt verboten, aber immer noch weit verbreitet. Durch diese Mitgift verschulden sich oftmals die Eltern, vor allem bei mehreren Töchtern.  Die Eltern statten ihre Tochter mit  Schmuck und anderen wertvollen Dingen aus. Die „Größe“ der Mitgift richtet sich unter anderem nach Aussehen, Hautfarbe, Kaste und das Einkommen der Eltern. Es gibt auch die sogenannten „Mitgift-Morde“. Wenn die Familie das Geld nicht für die Mitgift aufbringen kann und es für die Familien nur noch diesen, bzw. keinen Ausweg  mehr gibt. Bhagya sagt auch oft zu mir, das es in Andhra Pradesh nicht so viel Schutz für Mädchen gibt, wie in anderen Bundesstaaten.

Auch wenn Mann und Frau vor Gesetzt gleichgestellt sind, verdienen Frauen im gleichen Beruf deutlich weniger wie Männer, aber in Deutschland ist das ja ähnlich. Bhagya, die „Warden“ meines Hostels, ist verwitwet. Sie bekommt jeden Monat vom Staat eine gewisse Summe Geld, das sie auch wirklich benötigt. Das wiederum, finde ich sehr gut, dass verwitwete Frauen Unterstützung bekommen.

In Indien gibt es einen Männerüberschuss. Es fehlen nahezu 63 Millionen Frauen (Stand 2018). Das liegt daran, das weibliche Föten oftmals abgetrieben werden. Mittlerweile ist es Ärzten verboten, schwangeren Frauen das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes mitzuteilen. Für arme Familien sind viele Mädchen der finanzielle Ruin, wegen der teuren Mitgift. Arme Familien versuchen oftmals ihre Mädchen so früh wie möglich zu verheiraten, auch wenn sie noch nicht erwachsen sind. Kinderehen sind  eigentlich verboten,  dennoch wurde es vor einer Weile, auch für mich ein aktuelles Thema. Bhagya hat einen Anruf bekommen, dass ein Mädchen für eine Nacht, in unserem Hostel unterkommen muss. Das Mädchen war ein Waisenkind und ihre ältere Schwester hat sie mit 14 Jahren verheiratet. Sie war die zweite Frau eines Mannes. Da sie von ihrem Mann und den Schwiegereltern immer wieder geschlagen wurde, ist sie von Zuhause weggerannt. Von Polizisten wurde sie dann gefunden und zu uns gebracht. Am nächsten Tag wurde sie abgeholt und in eine sichere Einrichtung/Heim gebracht.

Wie ihr seht ist das Thema unendlich vielfältig und groß und ich könnte noch viel mehr dazu schreiben. Ich hoffe, dass ich euch einen kleinen Einblick geben konnte, wie ich zu diesem Thema stehe.

Zum Schluss noch ein kleines Update zu mir: Mittlerweile ist der Sommer (Hochsommer!) da! Tagsüber gehen die Temperaturen bis auf 43° und  werden  auch noch weiterhin steigen. In die Stadt gehe ich nur noch am Morgen, weil es später einfach zu heiß wird. Deshalb haben die Mädels auch nur noch vormittags Unterricht. Der Stundenplan wurde umgestellt. Zugleich merke ich immer mehr, wie sich das Ende meines Freiwilligendienstes bemerkbar macht. Die Sommerferien beginnen demnächst. Einige Mädels verlassen schon das Hostel. Somit wird auch meine Unterstützung im Unterricht nicht mehr benötigt. Die 10.“Klässler“ haben ihre Prüfungen hinter sich und sind bereits nach Hause gefahren. Aber auch die Intermediate (kommt nach der High School) und Degree-Schüler (nach Intermediate), sind mit ihren Prüfungen fertig und zurück zu ihren Familien. Der Abschied von den College- Mädels, mit denen ich mich sehr gut verstand, ist mir ziemlich schwer gefallen.  

Ostern steht auch schon vor der Tür und daher gehen wir, zusätzlich zu Sonntags, auch mittwochs und freitags in die Kirche. Diese Gottesdienste gehen aber nur circa eine Stunde. Nach Ostern kommt Lea vorbei und wir starten am 24. April unsere geplante Rundreise. Es geht los, Richtung Hampi und Mumbai, dann einen Zwischenstopp in der Wüste, weiter Richtung Norden nach Delhi und Agra…   Zusammen mit Lea, Katharina und Moritz sind wir einige Wochen unterwegs. Wenn ich im Juni wieder zurück im Hostel bin, berichte ich euch von meiner Reise durch Indien. Das Hostel ist in dieser Zeit dann geschlossen.

Anfang Juni werde ich wieder zurück nach Nandyal kehren und kurze Zeit darauf, heißt es dann auch für mich, Abschied nehmen.

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Ein paar der jüngeren Mädchen und Ich (Foto: EMS/Schmid)
Ein par der jüngeren Mädchen und Ich (Foto: EMS/Schmid)